Gemeinderat

Geplante Flüchtlingsunterkunft in Reilingen: „Ablehnung ist ein Hilferuf“

Die geplante Flüchtlingsunterkunft in der Reilinger Carl-von-Drais-Straße beschäftigt den Gemeinderat schon seit dem Sommer. Von Anfang an stieß das Vorhaben auf eine breite Ablehnung – und das nicht, weil geflüchtete Menschen hier nicht willkommen sind.

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Andreas Wühler
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Die Containeranlage ist errichtet, die Erteilung der Baugenehmigung durch die Behörde ist nur noch eine Frage der Zeit. Gegen der Willen der Gemeinde. © Lenhardt

Reilingen. Nicht nur für Dieter Rösch war es eine dunkle Stunde in der Geschichte des Gemeinderates. Der Sozialdemokrat, zu dessen politischen Grundüberzeugungen Solidarität mit den Armen und Schwachen unabdingbar dazugehört, hätte sich selbst nie träumen lassen, wie er in seiner Stellungnahme bekennt, einmal einer Flüchtlingsunterkunft seine Stimme zu versagen. Doch in diesem Fall blieb ihm keine andere Wahl. Denn zur Willkommenskultur, wie sie in der Gemeinde gepflegt wird, gehört es in seinen unabdingbar dazu, die Flüchtlinge angemessen und menschenwürdig unterzubringen: „Das ist hier nicht der Fall“, schimpfte Rösch und bedauerte es zutiefst, dass Flüchtlingshilfe hierzulande zu einem reinen Investitionsgeschäft verkommen sei. Die Ablehnung der geplanten Unterkunft durch den Rat ist in Röschs Augen „ein Hilferuf nach oben“, die Kommunen nicht im Stich zu lassen.

Die geplante Flüchtlingsunterkunft in der Carl-von-Drais-Straße beschäftigt den Rat schon seit dem Sommer. Von Anfang an stieß das Vorhaben auf eine breite Ablehnung: 270 Menschen, verteilt auf 90 Wohncontainer, eingepfercht auf einem 2300 Quadratmeter großen Grundstück im Gewerbegebiet, schien dem Rat und Anrainern zu massiv und den Flüchtlingen nicht zumutbar. Zumal die Gewerbetreibenden fürchten, mit Einschränkungen für den Anlieferverkehr, überwiegend Schwerlastfahrzeuge, rechnen zu müssen und Beeinträchtigungen durch Lärm und Emissionen für die Bewohner fürchteten.

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Weshalb der Rat dem Vorhaben auch im September die Zustimmung verweigerte. Gleichwohl Bürgermeister Stefan Weisbrod, stets betonte, dass das Vorhaben wohl nicht zu verhindern sei, die gesetzlichen Vorgaben es erlauben würden. Zumal er auch den Druck sieht, unter dem der Kreis steht, Flüchtlinge unterzubringen. Der Rhein-Neckar-Kreis ist es auch, der die Unterkunft, die von einem privaten Investor errichtet wird, als Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge betreiben wird.

Geplante Flüchtlingsunterkunft in Reilingen: Bauabnahme gefordert

Womit Weisbrod recht behielt, die Baurechtsbehörde ersetzte das Einvernehmen der Gemeinde und will die Baugenehmigung erteilen. Weshalb der Rat nun aufgefordert war, erneut über das Vorhaben zu entscheiden. Mit einem kleinen Unterschied: Nun soll die Containeranlage, bei weiterhin 90 Einheiten, nur noch für 178 Menschen dienen.

Weisbrod forderte den Rat auf, bei seinem Nein zu bleiben und das Versagen der Einwilligung nochmals deutlich zu begründen. Als Gründe, die von der Gemeinde erneut vorgebracht werden müssen, nannte er den Schutz der Gewerbebetriebe, die Risiken, die durch den Andienungsverkehr ausgehen, die fehlende Einfriedung zur Von-Drais-Straße hin und grundsätzlich die Frage, ob die Vermaßungen eingehalten wurden, wie planerisch vorgegeben. Wenn die Anlage dennoch in Betrieb gehen sollte, die Container sind schon errichtet, seien ein 24-Stunden-Security-Dienst und eine soziale Betreuung der Flüchtlinge unabdingbar.

Der Zaun ist zu, der Autokran abgebaut – in der von-Drais-Straße ruhen die Arbeiten, bis die Baugenehmigung vorliegt. © Lenhardt

Obendrein, so Weisbrod, müsse die Zahl von maximal 178 Personen festgeschrieben werden und müsse sowohl eine Bauaufsicht als auch eine Bauabnahme angeordnet werden.

Peter Kneis (CDU) sah eine Diskrepanz zwischen Bauplan und Ausführung und wollte für die Zukunft jede Verantwortung von sich weisen, sollte es rund um die Unterkunft zu Unfällen kommen, die in seinen Augen wegen des starken Lkw-Verkehrs nur eine Frage der Zeit sind.

Grundsätzlich hatte Kneis seine Zweifel an der zugesagten Zahl von 178 Flüchtlingen, angesichts der Kapazität von 270 Betten. Ein zu kleines Grundstück und fehlende Stellplätze sind weitere Gründe für Kneis, die Unterkunft den Flüchtlingen nicht zumuten zu wollen. Obendrein bleibe die Frage offen, woher die Gemeinde die zusätzlichen Kindergarten- und Schulplätze bekommen soll. „Wir erfüllen alle Anforderungen“, sah Kneis die Gemeinde bei der Aufnahme von Flüchtlingen im Soll und wunderte sich „immer mehr aufs Auge gedrückt zu bekommen.“

Wie Kneis so wies auch Rösch jeden Gedanken der Fremdenfeindlichkeit von sich, hier gehe es nur um die Frage einer menschenwürdigen Unterbringung, um den Umstand, dass die Dimension der Unterkunft und die Größe der Gemeinde nicht zusammenpassen.

Bürgermeister Stefan Weisbrod (v. l.), Markus Kaletka, Bauamtsleiterin Ramona Drexler, Beate Zimmermann, Christian Antoni, Andreas Raab, Oliver Raab, Tobias Hardtmann (Bauamt), Beate Hecker (Ordnungsamt) und Diana Mehner signalisieren ihren Unmut mit Stopschildern. Im Hintergrund ist das Kranfahrzeug zu sehen, dass auf die weiteren Wohncontainer wartet, für deren Aufbau es noch keine Genehmigung gibt. © Lenhardt

Er sei stolz, betonte Rösch, dass es die Gemeinde mithilfe der Verwaltung und vieler Ehrenamtlicher stets hinbekommen habe, Flüchtlinge dezentral und vernünftig unterzubekommen. Weshalb die Ablehnung nun ein Hilferuf und ein Appell zugleich sei. Ein Appell an die anderen Gemeinden, die nach dem St.-Florians-Prinzip handeln würden, von denen keine Solidarität zu erwarten sei.

Natürlich werde die Unterkunft in Betrieb gehen, machte sich Rösch keine falschen Hoffnungen. Und genauso sicher und gute Tradition in der Gemeinde sei es, die Menschen, die zu ihr kommen, gut zu behandeln und alles zu tun, um für ihre Sicherheit zu sorgen. Denn die Flüchtlinge treffe keine Schuld, ihnen verweigere man sich nicht, Humanität sei die erste Pflicht. Das Nein richte sich allein gegen die Menschen unwürdige Unterkunft.

Geplante Flüchtlingsunterkunft in Reilingen: Erfahrungen nicht berücksichtigt

Diese deutlichen Worten schloss sich Sabine Petzold (FW) voll und ganz an. In ihrer 20-jährigen Ratszeit sei es das erste Mal, dass ein Einvernehmen versagt werde – „obwohl wir gerne Flüchtlinge aufnehmen würden“. Doch im konkreten Fall passt nichts, erst müssten die Vorgaben erfüllt werden, bevor man dem Vorhaben zustimmen könne.

Petzold bedauerte, „dass die Behörde über unsere Köpfe hinweg entscheiden wird. Wir wissen, was unser Ort verkraften kann, doch die Behörden nehmen unsere Erfahrungen nicht zur Kenntnis“, sprach sie von einem traurigen Tag und wiederholte ihre Aussage, Flüchtlinge gerne unterzubringen – „aber gut und qualifiziert“.

Lisa Dorn (Grüne) stieß ins gleiche Horn. Die Gemeinde habe in vielen Jahren seit 2015 gezeigt, dass sie Flüchtlinge unterbringen wolle und könne – „wir leben eine Willkommenskultur“. Vor diesem Hintergrund fühlt es sich für sie nicht gut an, dem Vorhaben ihre Stimme zu versagen. Diese Container würden keinen Menschen Heimat bietet, stimmte sie gegen die Pläne: „Wir lehnen nicht die Menschen ab, sondern das Bauvorhaben.“ Jens Pflaum (FDP) schloss sich seinen Vorredner ausdrücklich an – „wir unterstreichen alles gesagt“. Dennoch ist es auch für ihn traurig, dem Vorhaben seine Stimme versagen zu müssen.

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