Reilingen. Sehr viele Gespräche mit einzelnen Schülern oder in kleinen Gruppen über deren Probleme, wofür den Lehrkräften die Zeit fehlt, Beratungen und Spiele zum Verbessern des Klassenklimas, des Sozialverhaltens und der zwischenmenschlichen Kompetenzen sowie gezielte Arbeit in einer Klasse, wenn diese einen spezifischen Bedarf anmeldet: So beschrieb Rektorin Alexsandra Misra bei der jüngsten Zusammenkunft des Reilinger Gemeinderats die vielfältigen Aufgaben, die Schulsozialarbeiter Tobias Dorn an der Friedrich-von-Schiller-Gemeinschaftsschule wahrnimmt.
Ihre Liste war damit längst nicht erschöpft. Der Experte begleite nämlich auch die Streitschlichterausbildung und anschließend die Streitschlichter, biete jedes Jahr mehrere Arbeitsgemeinschaften an und helfe der Schülermitverantwortung. Darüber hinaus bespreche er jeden Montag mit ihr alles, was vorgefallen ist, lote gegenseitige Unterstützungsmöglichkeiten aus, beteilige sich am Präventionsangebot und tausche sich mit allen Lehrern aus.
Oder wie es Konrektorin Christina Maier ausdrückte: Er sei eine sehr wichtige Kraft, um Probleme der Jungen und Mädchen in der Familie oder untereinander abzufangen. Seit er im Schuljahr 2018/2019 an die Reilinger Bildungsstätte kam, habe sich die Gesamtanzahl der Schüler auf 700 verdoppelt, in der Sekundarstufe 1 – also von der fünften bis zur zehnten Klasse – habe sie sich sogar verdreifacht, hob Schulleiterin Misra hervor. Mit anderen Worten: Dorn benötige Unterstützung. „Wenn man das proportional sieht, müssten eigentlich drei Schulsozialarbeiter eingestellt werden, aber das fordern wir gar nicht“, sagte sie um die klamme Gemeindekasse wissend.
Gemeindeverwaltung Reilingen: Eine weibliche Besetzung wäre ideal
Die Gemeindeverwaltung schlug passenderweise vor, die Schulsozialarbeit „nur“ um eine Vollzeitstelle zu erhöhen - und diese möglichst mit einer Expertin zu besetzen. Zwar könne Dorn selbstverständlich sämtliche Fragen der Schülerinnen beantworten, doch bei bestimmten Themen wie Sexualität, Gewalt oder Familienkrisen falle es Mädchen ab einem gewissen Alter leichter, sich einer Frau anzuvertrauen als einem Mann. Von diesem Geschlechteraspekt abgesehen verbessere die Arbeit mit zwei Fachkräften die Erreichbarkeit und die Präsenz im Schulalltag. Außerdem ließen sich Urlaubs- oder Krankheitszeiten besser auffangen und so eine konstante Betreuung aufrechterhalten.
In seinem ersten Jahr in Reilingen habe es 150 Beratungstermine gegeben, im vergangenen Schuljahr schon 250, berichtete Dorn. „Das sind nur die größeren Termine, die erfasst werden. Gespräche zwischen Tür und Angel, Konfliktschlichten auf dem Pausenhof et cetera fallen da gar nicht mit rein“, erläuterte er. Das Problem beschrieb er so: Je mehr Beratungsgespräche er durchführe, desto weniger Prävention könne er leisten. Weniger Prävention münde wiederum in einen erhöhten Beratungsbedarf. Diese Dynamik verselbständige sich irgendwann, sodass er als Schulsozialarbeiter nicht mehr gestalten könne, sondern nur noch auf Problemlagen reagieren. Deshalb sei es absolut angemessen, die Stelle zu erweitern.
Lars Kunitsch von dem Verein Postillion, der zurzeit 28 Schulsozialarbeiter an Schulen im Rhein-Neckar-Kreis einsetzt, bestätigte, dass bei weiterführenden Schule die Mädchen spätestens ab Klassenstufe sieben oder acht wegbrechen, wenn dort ausschließlich ein Mann in der Schulsozialarbeit tätig ist. „Die kommen dann nur noch, wenn das Kind buchstäblich schon in den Brunnen gefallen ist.“ Von daher wäre es dringend erforderlich, an der Schiller-Schule ein Tandem hinzubekommen.
Wie andere Kommunen das regeln
„Wieso brauchen wir einen Schulsozialarbeiter, wenn es doch Vertrauenslehrer gibt?“, reichte Bürgermeister Stefan Weisbrod eine von Bürgern an ihn herangetragene Frage weiter. Diese Funktion gebe es noch, räumte Misra ein. Doch ein Vertrauenslehrer halte 27 seiner 36 Stunden in der Woche Unterricht, den er auch noch vorbereiten müsse. Dazu komme die Pausenaufsicht, sodass der Betreffende im Grunde keine Zeit habe. Dafür sei Dorn da, der diese Zeit zum Glück meist habe.
Eine andere Bürgerfrage lautete, ob sich durch die zusätzlichen Ausgaben für eine zweite Stelle die Vandalismusschäden im Umfeld der Schule verringerten oder das Erscheinungsbild des Jugendplatzes verbesserten. Die Antwort lieferte Weisbrod gleich selbst: Das werde nicht eins zu eins so sein. Könnte die Aufstockung zeitlich begrenzt werden, zum Beispiel auf zwei Jahre? „Sie können aus Ihrem Vertrag mit dem Postillion jährlich aussteigen“, machte Kunitsch auf das überschaubare Risiko für die Gemeinde aufmerksam.
Eine gute Schulsozialarbeit sei unersetzlich, fand Patricia Faber (FW). Ungeachtet dessen sei die finanzielle Lage der Kommune schwierig. Deshalb wollte sie wissen, wie viele Schulen in vergleichbarer Größe ein Frau-Mann-Duo als Schulsozialarbeiter haben. Die Grund- und Gemeinschaftsschule in Eppelheim, die 490 Schüler besuchen, habe ein solches Tandem, antwortete Kunitsch. Als weiteres Beispiel nannte er die Theodor-Heuss-Realschule in Hockenheim, die für 775 Schüler ebenfalls zwei Schulsozialarbeiter habe. „Um an die Fördermittel zu kommen, brauchen Sie mindestens eine halbe Stelle“, betonte er einen anderen wichtigen Faktor.
Barbara Vogel (CDU) interessierte, ob die Lehrer in diesen Themen fortgebildet und Angebote anderer wie der Polizei genutzt werden. Das Programm der Integrationsbeauftragten umfasse Themen wie Mobbing und Cybermobbing, zudem gebe es Gesundheitserziehung, Drogenprävention und Selbstbehauptungskurse, sagten Konrektorin Maier und Dorn, hier werde die bestehende Zusammenarbeit mit der Polizei möglichst verstärkt. „Letztes Jahr konnten wir ein sehr gutes Medientraining durchführen, dieses Jahr ist Gewaltpräventionstraining vorgesehen“, merkte der Schulsozialarbeiter an. Christdemokratin Vogel unterstützte zwei mit beiden Geschlechtern besetzte Stellen. Sie schlug aber vor, die zusätzliche Stelle zunächst nur als halbe auszuschreiben und nach einem Jahr zu prüfen, ob das reicht und andernfalls später aufzustocken.
Angeschlagene Psyche – eine Folge der Pandemie
„Die Schule ist uns sehr wert und teuer“, bekräftigte Dieter Rösch (SPD). Angesichts der Haushaltslage sei es schon ein Privileg, keine Kürzungen vorzunehmen – wie es der Rat in anderen Personalfragen bereits getan habe. Daher bat er die Schulleitung darum, zu unterscheiden, was wirklich notwendig ist. „Wir wissen, dass Reilingen ein toller Schulträger ist und uns immer unterstützt“, sagte die Rektorin. Der deutliche Zuwachs an Schülern und deren verändertes Verhalten brächten die Lehrer aber an ihre Grenzen. Es sei wirklich schwieriger geworden, zu unterrichten. „Deswegen ist es wichtig, dass wir Schulsozialarbeit haben und Tobias Dorn eine Unterstützung bekommt“, sagte Misra.
Jochen Lochner (Linke) bat um eine Kostenschätzung für externe Präventionsangebote und Auskunft darüber, wie die Schule hinsichtlich des kommenden Ganztagsanspruchs aufgestellt ist und ob die von Corona-Pandemie betroffenen Jahrgänge die Folgen mittlerweile überwunden hätten. Diese Angebote würden zum großen Teil vom Förderkreis bezahlt oder auf die Schüler umlegt, informierte die Schulleiterin. Sie seien allerdings ziemlich teuer geworden, weshalb ein viele Jahre lang genutztes gecancelt wurde. Einen neuen Selbstbehauptungskurs habe die Trainerin kostenlos abgehalten, sodass hierdurch keine zusätzliche Belastung entstanden sei, merkte Dorn an. Seit der Pandemie seien Familienkonflikte und Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit sehr stark angewachsen.
Den letztgenannten Punkt bestätigte Dr. Stefan Reschke (FDP) anhand seiner Erfahrungen als Arzt. In seiner Praxis sehe er täglich, dass die psychische Gesundheit der Jugendlichen in den vergangenen Jahren stark gelitten habe. Sozialarbeit sei bei Jugendlichen und Erwachsenen sehr wichtig, eine entsprechende Betreuung in der Schule umso bedeutender. Wegen der Kosten sei er hin- und hergerissen, zumal der Rat zuletzt an anderer Stelle hätte einsparen können, von der menschlichen Seite fände er das angeregte Aufstocken super. Es sei nützlich und sinnvoll.
Zwischen Herzensangelegenheit und Sparzwang
Zurzeit falle das Verhältnis Schulsozialarbeiter zu Schüleranzahl unterdurchschnittlich aus, allein um auf den Durchschnitt im Land oder im Kreis zu kommen, seien eineinhalb Stellen nötig, erklärte Simon Schell (Grüne). Ob eine dann zumindest durchschnittliche Versorgung ausreiche oder gar gut sei? Das lasse sich einfach beantworten, da Fachverbände für Schulsozialarbeit für eine Schule in dieser Größenordnung drei oder mehr Stellen empfehlen. „In Anbetracht der finanziellen Lage und des eher ländlichen Einzugsgebiets sollten zwei Stellen jedoch gerechtfertigt sein“, fand er.
Damit könnten alle Schüler adäquat betreut werden. Der einzige Nachteil bestehe darin, dass die unschätzbare Arbeit Dorns und seiner Kollegen eben auch gutes Geld koste. Obwohl der Haushalt nicht besonders gut dastehe, sei es nicht angebracht, die Lage zu dramatisieren oder als stetes Argument gegen sinnvolle Entscheidungen anzuführen, sagte Schell in Anspielung auf Reschkes Kritik an vorherigen Ratsbeschlüssen, ohne dessen Namen explizit zu nennen. Der Ausbau der Schulsozialarbeit sei seiner Fraktion eine Herzensangelegenheit, weshalb die Grünen für eine zusätzliche Vollzeitstelle seien.
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Diese Ausführungen „hätte wohl gerne jeder von uns“ unterschrieben, merkte Rösch an. Daneben wies er darauf hin, dass die Gemeinden mit zwei Stellen für Schulsozialarbeit diese schon vor vielen Jahren geschaffen hätten. Wenn die Schiller-Schule eine weitere Stelle unbedingt brauche, werde sie die bekommen. „Denn sie liegt uns allen am Herzen, nicht nur den Grünen“, hob er hervor.
Eine zusätzliche Vollzeitstelle befürworteten am Ende nur drei Ratsmitglieder, zwei enthielten sich. Danach stimmten alle geschlossen für Vogels Vorschlag mit der halben Stelle, die später aufgestockt werden kann. Rektorin Misra begrüßte die Entscheidung: „Vielen Dank. Wir freuen uns darüber sehr.“
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