Schwetzingen. Die Stimmung im Palais Hirsch war gut. Bei so ziemlich allen Themen schien beim Bürgerdialog der AfD in Schwetzingen mit den beiden Bundestagsabgeordneten Dr. Malte Kaufmann (Heidelberg) und Marc Bernhard (Karlsruhe) unter den Zuhörern große Eintracht zu herrschen. Immer wieder quittierten die rund 50 Zuhörer die Reden der beiden Mitglieder des Bundestages mit großem Applaus. Vor allem dann, wenn es kurz und einfach zuging.
Der Euro sei schuld an der Inflation. Der Titel Exportweltmeister sei mit der Einheitswährung leichtfertig aus der Hand gegebenen worden. Die Energiekosten seien weltweit die höchsten. Weil die deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet worden seien, müsse nun französischer Atomstrom importiert werden. Die Anti-AfD-Proteste seien inhaltlich und personell regierungsgesteuert. Der Bericht des Recherchenetzwerkes „Correctiv“ sei „erstunken und erlogen“, wie das Landgericht Hamburg jüngst festgestellt habe. Und dann natürlich der Fahrradweg in Peru für über 300 Millionen Euro.
Es ist ein Narrativ, das immer wieder darauf abzielt, dass die Systemparteien inkompetent seien und nicht das Interesse Deutschlands verfolgen. Dementsprechend einfach sei deswegen auch das Gegensteuern, einfach die AfD wählen. Doch auch einer AfD in Verantwortung könnte die Komplexität dieser Welt sehr schnell sehr klar werden. Die Wirklichkeit ist weit sperriger als ein Parteiprogramm. Einfache Antworten wären sicher schön, aber sie sind wohl nie zielführend.
Ganz im Gegenteil, der Autor dieser Zeilen ist sich sicher, dass Vereinfachungen und Pauschalisierung eine Gesellschaft auf lange Sicht immer schaden.
Inflation in Deutschland und der Euro
Inflation ist dem Euro geschuldet: Nach allem, was sich in den Wirtschaftswissenschaften zeigt, ist das Gegenteil der Fall. Eingeführt wurde der Euro zu anfangs als Buchgeld am 1. Januar 1999 und dann, drei Jahre später, zum 1. Januar 2002 als Bargeld. Es folgte eine unauffällige Inflationsrate bis mindestens 2021. Ja, die Europäische Zentralbank (EZB) machte sich vor allem zwischen 2013 und 2020 Sorgen wegen einer zu niedrigen Inflationsrate.
Bundesbank und EZB befürchteten eine Deflation, den allgemeinen Rückgang des Preisniveaus, mit katastrophalen Folgen für die Wirtschaft. Die aktuelle Inflation ist, genau wie in den 1970er Jahren im Kontext des Jom-Kippur-Krieges und dem folgenden Boykott von Öllieferungen, wegen des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine eskaliert. Man spricht dabei von einer energiegetriebenen Inflation. Der Euro hat damit nichts zu tun.
Einheitswährung versus Exportweltmeistertitel: Auch hier gilt das Gegenteil. Ohne den Euro hätte Deutschland diesen Titel nie erreicht. Ein Europa mit vielen Währungen hätte den Wert der Deutschen Mark (DM) vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Stärke des Landes unweigerlich nach oben getrieben.
Und die Länder mit weniger wirtschaftlicher Schlagkraft hätten ihre Währung noch künstlich abgewertet - was bis zur Währungsunion übrigens Usus war. Die Folge: Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hätte enorm gelitten. Und der Exportweltmeistertitel wäre in weite Ferne gerückt. Darüber hinaus gehen Wirtschaftswissenschaftler davon aus, dass die Währungen Europas ohne Euro wilden Spekulationen ausgesetzt worden wären, was wieder vor allem Deutschland geschadet hätte. Man denke an die Turbulenzen, ausgelöst durch Spekulationen rund um das britische Pfund Sterling und die italienische Lira im Jahr 1992.
Energiekosten in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern
Energiekosten weltweit am höchsten und deshalb geht es der Wirtschaft schlecht: Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) sind die europäischen Energiekosten hoch. Deutschland ist da keine Ausnahme. Der EU-Durchschnitt bei den Industriestrompreisen lag 2023 bei 19,4 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Deutschland liegt nach Italien (31,8 Cent), dem Britischen Königreich (24,5 Cent) und Spanien (23,3 Cent) mit 20,3 Cent auf Platz vier - deutlich höher als in den USA, Kanada oder China mit je rund 8,4 Cent. Diese Länder mussten aber auch nicht ihr Energieliefersystem im Zuge des russischen Angriffskrieges komplett umbauen. Und auch bei den privaten Verbraucherpreisen belegt Deutschland 2023 mit 41,2 Cent Platz vier in Europa. Ganz oben stehen die Niederlande (47,5 Cent), Belgien (43,5 Cent) und Rumänien (41,9 Cent). Deutschland hat hier ohne Frage ein Problem, ist damit aber nicht alleine.
Atomkraftwerke in Deutschland und importierter Strom
Strom muss importiert werden, weil deutsche Atomkraftwerke abgeschaltet wurden: 2022 trugen die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke noch sechs Prozent der Stromproduktion Deutschlands. Die gestiegen Importe Deutschlands 2023 nur auf die Abschaltung der AKWs zurückzuführen, greift trotzdem zu kurz. Der europäische Strommarkt ist eng vernetzt und so organisiert, dass Strom immer dort produziert wird, wo er am günstigsten ist. Und so machen Im- und Exporte je nach Lage wirtschaftlich Sinn. Das heißt, Strom zu importieren, geschieht nicht aus Versorgungsgründen, sondern weil es wirtschaftlich sinnvoll ist.
Demos gegen Rechts und Berichte von „Correctiv“
Die Proteste sind regierungsgesteuert: Es ist einfach extrem unwahrscheinlich, dass Millionen Menschen von der Regierung animiert werden, für sie auf die Straße zu gehen.
Die Berichte von „Correctiv“ wurden vom Landgericht Hamburg in Gänze als unwahr erklärt: Das stimmt so nicht. Das Gericht gab dem Juristen und Teilnehmer des Treffens in Potsdam, Ulrich Vosgerau, lediglich in einem Punkt recht. So habe er eben nicht vorgeschlagen, für die kommenden Wahlen ein Musterschreiben aufzusetzen, um die Rechtmäßigkeit der Wahlen in Zweifel zu ziehen. Bei dem Punkt mit der Ausbürgerungsidee habe das Gericht klar erklärt, dass bei dem Treffen über Remigration gesprochen worden sei.
Deutschland investiert in einen Fahrradweg in Peru
300 Millionen Euro für einen Fahrradweg in Peru: Auch das stimmt so nicht. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erklärte, dass 2020 ein Zuschuss von 20 Millionen Euro für den Aufbau eines Fahrradschnellwegenetzes in Lima bewilligt wurde. Im Jahr 2022 wurde weitere 24 Millionen Euro zugesagt. Für ein umweltschonendes Bussystem seien Peru im Jahr 2015 rund 55 Millionen Euro als Kredit gewährt worden. Und 2022 sei noch einmal ein Kredit in Höhe von 100 Millionen Euro bewilligt worden. Zusammen sind das 199 Millionen Euro, die Peru für Radwege und ein Bussystem bekommt. Wichtig, 155 von diesen 199 Millionen Euro sind Kredite von der KfW-Entwicklungsbank. Heißt, das Geld kommt mit Zinsen zurück nach Deutschland.
Und dann stammt das Ganze noch aus der Feder des CSU-Entwicklungsministers Gerd Müller. Ist also kein rot-grünes Projekt.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-afd-buergerdialog-in-schwetzingen-das-steckt-hinter-den-aussagen-_arid,2180733.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-afd-buergerdialog-in-schwetzingen-die-ampel-ist-die-wahre-gefahr-fuer-die-demokratie-_arid,2180505.html