Schwetzingen. Unter dem Titel „Was hält mich, wenn ich mein Leben nicht mehr aushalte?“ beleuchtete eine Podiumsdiskussion im Palais Hirsch am Mittwochabend das Thema Suizidalität aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Veranstaltung des Bündnisses gegen Depression Rhein-Neckar Süd war sehr gut besucht. Die Ärztliche Leiterin des Zentrums für Psychische Gesundheit in Schwetzingen, Dr. Susanne Brose-Mechler, begrüßte etwa 70 Zuhörende. Dr. Olivier Elmer, Mitglied der Geschäftsleitung des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden und Sprecher des Bündnisses, moderierte die Runde mit den drei Impulsvorträgen und dem anschließenden Austausch.
Der Chefarzt der Klinik für Allgemeinpsychiatrie des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden in Wiesloch, Professor Dr. Markus Schwarz, berichtete, dass die Häufigkeit von Suiziden deutlich nachgelassen habe. In den 1980er Jahren seien es noch um 18 000 Suizide pro Jahr gewesen, heute stagniere die Zahl auf 9000. Der Suizid von Fußball-Nationaltorhüter Robert Enke 2009 habe eine öffentliche Diskussion ausgelöst. Die Bevölkerung sei heute besser über das Thema Depression aufgeklärt, das habe auch die Möglichkeit für Hilfe erhöht: „Suizidalität hat viele Facetten und viele Beteiligte. Die Begleitung von Angehörigen in Zeiten der Zuspitzung ist besonders wichtig.“
Erfahrungen im Umgang mit Suizidalität: Carina Kebbel berichtet
Carina Kebbel ist Sozialarbeiterin im Sozialpsychiatrischen Dienst und in einer Tagesstätte für Menschen mit psychischen Erkrankungen tätig. Im beruflichen Kontext kann sie mit dem Thema besser umgehen als im privaten Bereich. Nach einer eigenen psychischen Erkrankung kam sie in den Austausch mit Melanie Schock, die über persönliche Erfahrung mit dem Thema Suizidalität verfügt. Beide Frauen sind Mitglied im Landesverband für Psychiatrie-Erfahrene Baden-Württemberg.
Hintergrund
- Im Bündnis gegen Depression Rhein-Neckar Süd haben sich Personen und Institutionen zusammengeschlossen, um Menschen mit Depressionen besser zu helfen und das Bild der Erkrankung der Bevölkerung realitätsnah und differenziert nahezubringen.
- Zu diesem Bündnis gehören das Berufliche Trainingszentrum Rhein-Neckar gGmbH, der Caritasverband für den Rhein-Neckar-Kreis, „HEIPER“ – Heidelberger Initiative Psychiatrie Erfahrener, das Heidelberger Selbsthilfebüro, das Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises, das Zentrum für Psychische Gesundheit Schwetzingen, das Psychiatrische Zentrum Nordbaden und der Sozialpsychiatrische Hilfsverein Rhein-Neckar.
- Die deutschlandweite Telefonseelsorge ist 24 Stunden erreichbar unter 0800/1 11 01 11.
Melanie Schock, auch Mitarbeiterin einer Informations-, Beratungs- und Beschwerdestelle sowie Patientenfürsprecherin, berichtete über ihre persönliche Perspektive. Das Thema Suizidprävention werde durch solche Veranstaltungen endlich aus der Tabuzone geholt. „Angst und Unsicherheit meines Gegenübers haben mich das Thema immer wieder verschweigen lassen“, sagte sie: „Entscheidend ist für mich, wie sicher mein Gegenüber ist.“ Die Gedanken an den Suizid seien oft auch ungewollt da gewesen. Sie wegzuschieben sei nur kurz gelungen. Es sei immer mehr Ablenkung nötig gewesen. „Es war entscheidend, wem ich begegnet bin und wie der Kontakt gestaltet war“, führte sie aus und bestätigte das Thema des Abends: „Darüber reden kann Leben retten.“ Oft sei sie in ihrer Not und Verzweiflung allein geblieben. Es gehe um den Punkt, „an dem eine Zuspitzung noch verhindert werden kann“. Sie habe in dem aktuellen Zustand nicht sterben, sondern diesen Zustand beenden wollen. Sie habe zaghafte Versuche unternommen, sich mitzuteilen, ohne konkret zu werden.
Muss ich mir Sorgen um Sie machen? Das ist für Melanie Schock die am meisten gefürchtete Frage gewesen. Keine authentische Frage, sondern eine Floskel. Gemeinsame Absprachen hätten ihr dagegen sehr geholfen. Eine kurze Kontaktaufnahme, auch nur als SMS oder über E-Mail, habe sie oft übers Wochenende gerettet. „Offen ansprechen und gemeinsam eine Entlastung suchen – das war und ist immer wieder der Schlüssel“, empfahl sie, auch die Familie und die Freunde nicht allein zu lassen.
Suizidalität: Männer sind gefährdeter
„Manchmal wird zu wenig gefragt, aber so ein Thema begleitet Menschen lange Zeit“, meinte Dr. Olivier Elmer. Podium und Plenum sprachen über zahlreiche Bereiche, über die auch der Verfasser dieses Artikels nur allzu wenig wusste. Depressive Erkrankungen machen bereits vielen Medizinstudenten, die unter hohem Druck stehen sowie auch vielen Ärzten in ihrem Beruf zu schaffen.
Carina Kebbel beschrieb „Ankerpunkte“, auf die die Menschen hinsteuern könnten. Am Anfang ihres Berufslebens sei bei ihr oft Panik da gewesen. So genannte Suizidverträge dienten nur der Absicherung im juristischen Sinne oder der Hilflosigkeit des Gegenübers, so Melanie Schock.
Bei schweren Depressionen sind Medikamente oft unverzichtbar. Psychopharmaka seien „eine ganz wichtige Säule“, meinte Dr. Susanne Brose-Mechler. Mindestens genauso wichtig seien aber auch „Aufklärung, Information und die Beziehungen zu Freunden und Angehörigen“. Es sei wichtig, Patienten zu motivieren, wieder mit ihren Angehörigen in Kontakt zu kommen.
Depressionen sind viel besser behandelbar als früher. Der Umgang mit depressiven Menschen ist aber echt herausfordernd. Männer holen sich weniger Hilfe als Frauen. Männer neigen dazu, diese Dinge eher mit sich auszumachen. „Das ist Schwerstarbeit in der Therapie“, so Professor Dr. Markus Schwarz: „Männer gestehen keine Schwäche ein.“ Zweimal mehr Männer als Frauen begehen Suizid. Männer mit „harten Suizidmethoden“, Frauen eher mit Medikamenten.
Suizid und seine Folgen: Ein Blick auf schwerwiegende Aspekte
Suizidalität umfasst auch die Menschen, die angesichts einer tödlich verlaufenden unheilbaren Krankheit sterben möchten. Etwa zehn Prozent der Suizidversuche bedingen schwere Verletzungen mit zum Teil stark einschränkenden Folgeschäden. Ein Suizid hat auch psychische Folgen für Arbeitskollegen, Angehörige von Pflegeberufen, Lokführer, Polizisten und Feuerwehrleute sowie Zeugen. Eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Menschen nach Suizidversuch in Heidelberg hilft weiter. Viele Menschen kennen Menschen, die suizidale Tendenzen haben. Suizidversuche sind rund 15-mal mehr als gelungene Suizide. Beim Aufspüren latenter Suizidgefährdung haben Mediziner oft nur die Beobachtung und das persönliche Gespräch, manchmal auch nur die Beobachtungen Dritter. „Jede Prognose, die sich auf die Zukunft bezieht, ist unsicher“, musste Professor Dr. Markus Schwarz einräumen. Und 60 Prozent aller Patienten, die sich in einer Klinik das Leben genommen haben, hatten einen antisuizidalen Pakt geschlossen.
Die Problematik bleibt, nach einem Suizidversuch gibt es nur eine scheinbare Phase der Erleichterung, 70 Prozent bereuten nur kurze Zeit den gescheiterten Versuch. Die Runde berichtete noch von einem weiteren Mythos: Wer darüber spricht, wird es schon nicht tun. Das stimmt ebenso wenig wie der Spruch, „wer den Versuch überlebt, hat es ja gar nicht so ernst gemeint“.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-bei-selbstmordgedanken-das-gespraech-suchen-_arid,2127938.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen.html