Im Gespräch mit Landtagsabgeordnetem

Daniel Born in der Ukraine: „Zusammenhalt der Ukrainer macht ihre Wehrhaftigkeit aus“

Baden-Württembergs Landtagsvizepräsident Daniel Born ist für zwei Tage in die Ukraine gereist. Im Interview erzählt er von seiner Reise nach Kiew und beschreibt seine Eindrücke und Erlebnisse.

Von 
Katja Bauroth
Lesedauer: 
Landtagsvizepräsident Daniel Born und sein Kollege Florian Wahl auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz. Er ist der zentrale Platz von Kiew. © Häberle

Schwetzingen. Der Landtagsvizepräsident und SPD-Landtagsabgeordnete Daniel Born aus Schwetzingen reiste für zwei Tage in die Ukraine. In der Hauptstadt Kiew suchte er unter anderem das Gespräch mit Vertretern des Sozialministeriums, der Organisation zur demokratischen Entwicklung (ANTS), jedoch auch mit Bündnissen, die sich für Diversität stark machen, und Nichtregierungsorganisationen. Nach seiner Rückkehr sprachen wir mit ihm über seine Eindrücke.

Herr Born, mit welchem Gefühl sind Sie in ein Land gereist, in dem Krieg herrscht?

Daniel Born: Vor allem voller Hochachtung für die Menschen in der Ukraine, die diesen tapferen Widerstand gegen Putin leisten. Aber natürlich auch mit Respekt vor der Gefahr, die in dem Land herrscht. Mein Kollege Florian Wahl und ich hatten eine konkrete Einladung durch die Kiew-Pride und Gesprächsanfragen von weiteren Nichtregierungsorganisationen. Nach Rücksprache mit zuständigen Stellen, der Friedrich-Ebert-Stiftung und auch dem Roten Kreuz, die vor Ort sind, waren wir ausreichend informiert, um eine verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen. Als wir am Grenzübergang Przemysl in den Nachtzug eingestiegen sind und die Flugalarm-App hochgeladen haben, habe ich vor allem Trauer und Wut gespürt. Du bist im Jahr 2023 und hast eine App, die dich davor warnt, wenn Russland eine Bombe oder Rakete auf die Region wirft, in der Menschen leben. Dieser von Putin ausgelöste Krieg ist eine Zeitenwende und unter jedem Gesichtspunkt ein Verbrechen.

Landtagsvizepräsident Daniel Born (r.) und sein Kollege Florian Wahl auf dem Maidan Platz. © Häberle

Wie ist Ihnen der Krieg vor Ort begegnet?

Born: Wir sind von Termin zu Termin geeilt. In Besprechungsräumen, Büros oder auch in einem Café, aber der Krieg war überall spürbar. Mehrmals am Tag heulen die Sirenen, es gibt Fliegeralarm. Die Kiewer haben Wege gefunden, damit umzugehen. Und doch: Alle haben bereits Familie und gute Freunde in diesem Krieg verloren. Beim abschließenden Journalistengespräch zitterte die Hand einer Journalistin die ganze Zeit. Sie erklärte uns, dies sei die Folge einer Bombe, die wenige Wochen zuvor ganz in ihrer Nähe explodiert ist. Man sieht zerstörte Häuser und zerschossene Panzer. Und überall wird auf den nächstliegenden Unterschlupf hingewiesen. Was ich nie mehr vergessen werde, sind die Panzersperren am Gedenkort Babyn Jar, den wir natürlich besucht haben. An diesem Ort geschah eines der schrecklichsten Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Ukrainer und Russen haben gemeinsam mit den anderen Alliierten den Faschismus in Europa beendet. Nun müssen die Ukrainer auch hier in Babyn Jar ihre Hauptstadt vor den russischen Truppen verteidigen. Die starke Zivilgesellschaft handelt in dieser Kriegsgefahr ganz konkret. Beispielsweise haben wir eine Shelter-WG besucht. Hier finden also Menschen ein Obdach, die dadurch einen direkten Zugang zu einem Bunker oder zumindest Unterschlupf haben. Ich betone das so, weil das eine entscheidende Stärke der Ukraine ausmacht: Die Bereitschaft auf unterster Ebene und auch in kleinen Initiativen sich zu organisieren und Verantwortung zu übernehmen.

Welche konkreten Termine standen für Sie und Ihre Mitreisenden auf dem Programm?

Born: Die Kultur der ukrainischen Zivilgesellschaft ist ein entscheidender Faktor ihrer Wehrhaftigkeit. Es sind gerade die gesellschaftlichen Netzwerke, die die Ukrainer so zusammenschweißen und die dazu beitragen, dass die Ukraine diesem verbrecherischen Angriff einer Atommacht standhalten kann. Verteidigungsexperten sprechen hier von der gesamtgesellschaftlichen Verteidigung – also eine Verteidigung, die auf die Mobilisierung des Militärs, aber auch aller gesellschaftlichen Bereiche setzt. Die NGOs, die privaten Initiativen, das entschlossene Handeln von Verantwortlichen auch auf unteren Verwaltungsebenen – all das stärkt die gesamtgesellschaftliche Verteidigung. Und genau von diesen wichtigen Stützen wollten wir die Einladungen und Gesprächsanfragen positiv und solidarisch beantworten. Das ist das, was uns beiden in dieser Situation möglich war.

Danach bestimmte sich auch unser Programm in Kiew: Gespräch mit einer Kollegin aus dem ukrainischen Parlament und danach Kiew Pride, Shelter WG, die ANTS-Organisation, das UCDC des Sozialministeriums, Besuch am Gedenkort Babyn Jar, Rotes Kreuz, LGBT-Military, Klitschko Foundation, Human Rights Center und zum Abschluss ein Journalistengespräch.

Daniel Born und Florian Wahl treffen sich mit Mitarbeitern der Klitschko-Foundation in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. © Klitschko-Foundation

Um was genau ging es bei den Gesprächen mit Kiew Pride? Warum liegt Ihnen das so sehr am Herzen?

Born: Akzeptanz und gleiche Rechte, die Forderungen der queeren Community waren immer eine europäisch vernetzte Forderung. Und ich bin stolz darauf, Teil dieser Community zu sein. Die Ukraine hat einen langen Weg zu mehr Demokratie und Vielfalt. Aber es gibt Fortschritte: 2013 demonstrierten beim ersten CSD in Kiew etwa 150 Menschen, 2021 waren es über 7000. Laut Umfragen unterstützen mittlerweile 64 Prozent der ukrainischen Bevölkerung gleiche Rechte für queere Menschen. Es gibt in der Diskussion in Deutschland immer wieder Stimmen, die beklagen, dass die Ukraine noch keine perfekte Demokratie ist. Das stimmt: Die Ukraine ist auf einem demokratischen Weg und noch nicht am Ziel. Aber momentan kämpfen alle gemeinsam, dass sie diesen Weg weitergehen kann. Dazu muss sie den Krieg gewinnen. Und es muss unser Ziel sein, dass sie den Krieg gewinnt.

Inwieweit ist ANTS, die Organisation zur demokratischen Entwicklung der Ukraine, gerade jetzt, in diesen Kriegszeiten, gefordert?

Born: ANTS steht für Handeln, Navigieren, Veränderung und Gestalten. Wir hatten ein sehr ausführliches Gespräch mit dem Exekutivdirektor Vasyl Sehin und seinen Mitarbeitern. Diese Nichtregierungsorganisation möchte demokratischen Wandel in der Ukraine vorantreiben und gestalten. Die Ukraine ist nicht nur ein militärischer Akteur, der in einen furchtbaren Krieg gezwungen wurde. Sie ist auch ein Land mit demokratischen Strukturen und mit Menschen, die diese Demokratie stark für die Zukunft machen wollen. Wir dürfen die Zukunft der Ukraine nicht nur militärisch denken, sondern eben auch politisch, sozial, zivil. Dieses zivilgesellschaftliche Engagement ist ganz wichtig, aber wird bei uns bisher zu wenig wahrgenommen. Militärische Verteidigung sichert aktuell die Existenz der Ukraine, aber demokratische Reformen, die Bekämpfung von Korruption und die Stärkung der Demokratie ist parallel dazu genauso wichtig. Hier leistet ANTS enorm viel hin zu wirklicher Veränderung und politischer Stabilität. Ganz konkret ging es darum, wie der Austausch auch zwischen Entscheidern auf regionaler und lokaler Ebene ausgebaut werden kann.

Sie haben auch die Klitschko-Foundation besucht. Was genau verbirgt sich dahinter?

Born: Ich durfte kürzlich eine Gruppe ukrainischer Jugendlicher in Heidelberg treffen, die dort mit der Klitschko-Foundation waren. Seitdem steht mein Büro mit der Geschäftsführerin Angelina Osadcha in Kontakt und es war gut, sich bei der Stiftung vor Ort auszutauschen. Die Stiftung realisiert Projekte in den Bereichen Sport, Bildung und Gesellschaft. Es geht hier darum, Kinder und Jugendliche zu stärken, zu „empowern“, damit sie die Möglichkeiten bekommen, sich einzubringen, sich zu engagieren, ihr Leben und ihr Land zu gestalten. Kein Land hat eine gute Zukunft ohne eine starke Jugend! Das Engagement der Klitschko-Stiftung gab es schon lange vor dem Krieg und ist ganz konkret. Um ein Beispiel zu nennen: Es gab ein Schulprogramm zur Müllvermeidung und zu mehr Umweltbewusstsein. Natürlich findet dies derzeit nicht statt. Aber es ist wichtig, dass es Strukturen gibt, die Hoffnung für die Zeit nach dem Krieg geben.

Daniel Born (l.) und Florian Wahl im Gespräch mit der ukrainischen Politikerin Inna Sovsun. © Häberle

Geben Sie uns Einblicke in die Gespräche mit dem Sozialministerium und der Parlamentskollegin?

Born: Inna Sovsun ist eine liberale Politikerin und hat einen Gesetzentwurf eingebracht, der vorsieht, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften einzuführen. Der Krieg hat dem Thema eine zusätzliche Bedeutung verliehen: Viele Paare wollen sich gegenseitig absichern, falls einer von beiden nicht überlebt. Das ist aber bis jetzt nur heterosexuellen Paaren erlaubt. Es gibt eine hitzige Diskussion im Parlament dazu. Eine treibende Kraft hinter dem Gesetzentwurf ist der Verein LGBTIQ-Military. In diesem Krieg kämpfen die Ukrainer Seite an Seite. Aber ein schwuler Soldat kann seinen Partner nicht absichern. Im Bereich Sozialministerium waren wir mit den Verantwortlichen der Arbeitsstelle UCDC, die sich um Gesundheitsversorgung kümmert, lange im Gespräch. Hier ging es neben konkreten Fragen wie Beratung, Epedemiebekämpfung und Geflüchtetensituation auch darum miteinander darüber zu sprechen, wie sie Verwaltung und Beratung in dieser schweren Zeit organisieren.

Sagen Sie uns mehr zu LGBT-Military. Was genau ist das und was kann Deutschland von dieser Organisation lernen?

Born: LGBT-Military engagiert sich für die Rechte queerer Soldatinnen und Soldaten in der Ukraine und gibt ihnen eine Stimme. Ich habe ja vorhin erwähnt, dass es beispielsweise bei der Absicherung der Partner Probleme gibt. Aber auch andere Diskriminierungen finden statt. Da war es Florian Wahl und mir wichtig zuzuhören.

Mehr zum Thema

Gemeinderat

Kommen in Brühl Containerdörfer für Geflüchtete?

Veröffentlicht
Von
Ralf Strauch
Mehr erfahren
Gemeinderat

Eppelheim braucht Wohnraum für neue Flüchtlinge

Veröffentlicht
Von
Volker Widdrat
Mehr erfahren
Schlossplatz

Mahnwache in Schwetzingen: „Demokratie ist das Beste, was wir haben“

Veröffentlicht
Von
Andreas Lin
Mehr erfahren

Welchen Eindruck haben Sie persönlich: Ist die Ukraine stark genug, Putin und seinen Truppen weiter Paroli zu bieten?

Born: Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Dazu braucht sie Waffen und genau hier hilft Deutschland, wie kaum ein anderes Land. Die Ukraine ist ein souveräner Staat und hat ein Recht darauf, dass ihr Territorium respektiert wird. Die Brutalität, die Putin zeigt, würde ihn auch vor anderen Ländern nicht stoppen lassen. Die Ukrainer führen ihren mutigen Kampf darum nicht nur für ihr Land, sondern für uns alle. Mir ist aufgefallen, dass die Gesprächspartner aller Institutionen immer davon sprachen, wie das alles gut wird „nach dem ukrainischen Sieg“. Ich möchte diese Gewissheit teilen, weil ich davon überzeugt bin, dass eine freie und demokratische Ukraine nicht nur in die Europäische Union gehört, sondern wir auch gemeinsam viel erreichen werden. Der tapfere Freiheitskampf der Ukrainer erinnert doch uns alle daran, wie wertvoll das ist, was unsere Demokratien ausmacht. Wir halten zusammen und alle sollten das einbringen, was ihnen möglich ist.

Autor Katja Bauroth liebt Begegnungen und Storys - im Lokalen und auf Reisen.

Copyright © 2025 Schwetzinger Zeitung