Schwetzingen. Zu einem großartigen Abend wurde die Premiere von E.T.A. Hoffmanns „Der Goldne Topf“. Ein wunderbares Stück, mit dem das Theater am Puls in die neue Spielzeit startete. Die Vorlage lieferte ein Kunstmärchen, das Hoffmann 1814 verfasst hat. Darin geht es um die Macht der Poesie und Fantasie, die der engen bürgerlichen Welt gegenübersteht. Student Anselmus ist zwischen den beiden Welten hin- und hergerissen. Wegweiserinnen für diese unterschiedlichen Lebensformen sind Veronika und Serpentina. Für wen wird er sich entscheiden?
Wie Joerg Steve Mohr mit theatralischen Mitteln jongliert, um dieses filmreife Szenario für die Bühne umzusetzen, ist eine wahre Freude. Nichts ist eindeutig, alles in der Schwebe, Grenzen werden aufgehoben zwischen Geschlechtern, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Real und Irreal. Seine multimedial angereicherte Inszenierung macht das möglich. Die komplexen Sinneseindrücke aus Hoffmanns romantischer Erzählung werden einerseits durch den Text transportiert, andererseits durch zauberhafte visuelle Effekte, die Tobias Disch in Form von Nebel, Licht, Feuerwerk sowie Klängen einfließen lässt, und stimmungsvolle Songs von Stefan Ebert sowie Videoaufnahmen von Benjamin Martins.
Die Inszenierung zeigt zudem auf, dass Hoffmanns Text, geprägt von hoher sprachlicher Qualität, ein Plädoyer für Vieldeutigkeit ist, es gibt kein klares Ja oder Nein, die Dinge sind nicht nur schwarz oder weiß, man kann sie aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Zuschauer sind gefordert, diese Mehrdeutigkeit der Wahrnehmung zuzulassen.
Überraschende Regie
Auch profitiert die Aufführung von den reichlich überraschenden Regieeinfällen: Vorne, an der Rampe, vor einem schwarzen Vorhang, der flattert, sich wellt und wallt, fällt und sinkt, verhüllt und enthüllt (Bühne: Joerg Mohr, Teresa Unger, Bernd Spielbrink), sitzt ein schwarz gekleideter junger Mann (Daniele Veterale), der die Zuschauer direkt anspricht und erzählt, was sie zu sehen bekommen: ein Märchen, das in der Jetztzeit, also in der damaligen von 1814, stattfindet, in die er auch die unmittelbare Gegenwart einbezieht: Griffbereit ist eine Tüte da mit Knabberzeug, eine Plastik-Wasserflasche und links der Mischpult mit dem Kabelsalat.
Auf Rollenverteilung hat Mohr verzichtet. Nur Veterale und Nikolas Weber treten live auf und teilen sich den Text. Das zahlreiche und schillernde Personal (Denis Bode, Sina Große-Beck, Susanne von Grumkow, Rainer Kleinstück, Marion Marli und Sascha O. Bauer) ist nur zu hören oder per Videoaufnahmen zu sehen. Ähnlich wie die Fantasie bei der Lektüre aus Sprache Bilder formt, entwickelt sich das Liverezitativ immer mehr zum gespielten Theater, wobei Weber die Rolle des schwärmerisch schüchternen Anselmus auf den Leib geschrieben ist.
Für die Mehrfachbesetzung ist Daniele Veterale der perfekte Darsteller. Mit komödiantischem Potenzial schlüpft er blitzschnell von einer Rolle in die andere, von einem Geschlecht ins andere, überzeichnet bis zur Karikatur die unterschiedlichen Charaktere und macht sie zugänglich. Mit sparsamem Einsatz von Requisiten haucht er humorvoll, ironisch, reflektierend Konrektor Paulmann, Archivarius Lindhorst, Registrator Heerbrand und auch Veronika Leben ein. Als Erzähler macht er eindrücklich die zentralen Konfliktlinien der zwölf Vigilien deutlich: einerseits die reale, (klein)bürgerliche Welt des Konrektors, des Registrators und Veronikas, andererseits die Zauberwelt des Archivarius, des Äpfelweibs und Serpentinas. Ihr beeindruckender Monolog und die wunderbaren Zeichnungen auf Sand (Frauke Manger) verdeutlichen die Symbolik des goldenen Topfs und der Lilie, die daraus wächst: Die Liebe und die Dichter sind es, die eine andere Vision der Zukunft entwickeln können.
Dass am Ende Anselmus „nackt, verliebt und glücklich“ nun in Atlantis, wo der Mensch noch sehr verbunden ist mit der Natur, mit Serpentina lebt, macht ihn, den Schauspieler Daniele Veterale, froh. Doch er? Was ist mit ihm? Die Aufführung ist vorbei und Veterale holt die Gegenwart ein: „Ich werde mich umziehen, vielleicht hier noch ein Bier trinken, mit dem letzten Bus nach Hause fahren, mir eine Tiefkühlpizza in den Ofen schieben, werde versuchen einzuschlafen, das wird nicht einfach sein, da ich die ganze Nacht darüber nachdenken werde, wohin ich mit meinem Leben soll.“
Die nächste Aufführung ist für Samstag, 16. Oktober, 18 Uhr, geplant.
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