Schwetzingen. „Das Vorhaben unserer Regierung, den Schwarzmarkt einzudämmen, ist noch weit weg. Ein legaler Zugang zu Cannabis wurde nicht geschaffen“, Experte Timo Berger zeigt sich 100 Tage nach der Legalisierung der weiblichen Cannabisblüte unzufrieden. Doch damit ist er bei weitem nicht alleine: Kritik am Freigabekurs der Bundesregierung hallt aus allen gesellschaftlichen Ecken. Auch rund um Schwetzingen sehen sich Konsumenten noch immer mit vielen Hürden konfrontiert – die wohl nicht durch die nun erlaubten Cannabis Social Clubs überwunden werden können.
Das neue Konsumcannabisgesetz gilt seit dem 1. April
Vor genau 100 Tagen, am 1. April diesen Jahres, trat das Konsumcannabisgesetz (KCanG) in Kraft – mit einer ganzen Reihe neuer Regelungen zur weiblichen Cannabisblüte mit dem psychoaktiven Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC). So dürfen seitdem Erwachsene ab 18 Jahren bis zu 25 Gramm der Droge legal in der Öffentlichkeit besitzen, Cannabis an bestimmten Orten konsumieren und sogar anbauen. Nur eine Sache war weiterhin verboten: Der Verkauf der beliebten Droge. Das hat sich nun geändert – seit dem 1. Juli dürfen sogenannte Cannabis Social Clubs die Pflanze anbauen und an ihre Mitglieder zum Selbstkostenpreis abgeben. So zumindest in der Theorie.
Die gute Nachricht zuerst: Andrea Baisch, die Pressesprecherin der Stadt Schwetzingen, teilt dieser Redaktion mit: „Bei uns in Schwetzingen gab es noch keinerlei Beschwerden im Zusammenhang mit der Cannabis-Legalisierung.“ Und auch Polizei-Pressesprecher Philipp Kiefner zieht bisher keine desaströsen Schlüsse: „Das Gesetz ist erst seit wenigen Monaten in Kraft. Folglich lassen sich derzeit noch keine validen Aussagen über etwaige Mehraufwände in der polizeilichen Arbeit treffen.“
Das sagt der Heidelberger Anbauverein "Cannabis Social Club"
Eine diplomatische Rückmeldung, die Christoph Lehner vom Heidelberger Anbauverein (Cannabis Social Club) „Rising Flowers“ so nicht unterschreiben würde: „Die Polizei ist nicht geradezu begeistert über das neue Gesetz, weil es relativ kleinteilige Regelungen enthält, beispielsweise Abstandsregeln beim Konsum. Daher fürchtet die Polizei mehr Arbeit beim Kontrollieren dieser Regeln. Auf der anderen Seite sind viele Verbote nur eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat. Damit gibt es immer einen Ermessensspielraum und Verstöße müssen nicht zwingend verfolgt werden.“
Auch ein Beispiel hat der Mitgründer des Cannabis Social Clubs parat: „Wenn in der Öffentlichkeit und an legaler Stelle innerhalb einer Freizeitgruppe konsumiert wird, dann muss die Polizei im Falle einer notwendigen Personenkontrolle nicht die Feinwaage herausholen, um nachzuwiegen, dass es nicht mehr als der in der Öffentlichkeit erlaubte Besitz von 25 Gramm sind.“
Mögliche Delikte im Zusammenhang mit dem psychoaktiven Wirkstoff THC müsse die Polizei nach wie vor verfolgen, erklärt Pressesprecher Kiefner: „Zuvorderst wäre hier das Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr unter Cannabis-Einfluss zu nennen. Folglich setzen sich die polizeilichen Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit im Straßenverkehr, aber auch hinsichtlich der illegalen Einfuhr, des Handeltreibens oder des Besitzes von Cannabis in strafbarer Menge fort.“
Die Abbaustoffe im Blut sind bei einer Verkehrskontrolle ausschlaggebend
Apropos Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr: Ein heikles Thema unter Kiffern, immerhin wird nicht der aktuelle Rauschzustand des Konsumenten gemessen, sondern Abbaustoffe im Blut. Und die können auch Tage nach dem Konsum und dem schon lange abgeklungenen Rausch nachweisbar sein.
Ein Thema, mit dem sich auch Timo Berger von der Cannabis Patientenhilfe Südbaden befasst. „Die Führerscheinregelung ist ein wichtiger und richtiger Schritt in die richtige Richtung. Mir persönlich geht die Regelung nicht weit genug. 3,5 Nanogramm ist für mich an der Realität der Konsumenten vorbeigegangen. Meiner Ansicht nach hätten es mindestens 7 Nanogramm sein müssen, um es einigermaßen sozial gerecht zu gestalten.“
Viele der Konsumenten müssten wegen der zu geringen Grenzwerte weiterhin Verfolgung fürchten: „Ich vermute, es werden nach wie vor viele Menschen Probleme mit der Fahrerlaubnisbehörde bekommen. Sie könnten ihren Beruf verlieren und soziale Ausgrenzung erleben.“
Das sagt die Polizei zu Grenzwerten im Straßenverkehr
Polizeihauptkommissar Philipp Kiefner weiß die Grenzwerte im Straßenverkehr zu verteidigen: „Grenzwerte unterliegen einem fortwährenden gesellschaftlichen, aber auch wissenschaftsorientierten Diskurs, welcher mit periodischen Aktualisierungen einhergeht. So wurden beispielsweise 1973 und 1998 die Promillegrenzen für Alkohol am Steuer gesenkt. Die Festlegung solcher Grenzwerte erfolgt durch Experten auf der Grundlage von wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen.“ Natürlich sei die Polizei offen für Veränderungen, wenn sich diese aus dem Diskurs bilden: „Ergeben sich neue juristische Richtlinien, so passt sich selbstverständlich die Polizei den Rahmenbedingungen, beispielsweise durch die Verwendung neuer Urinvortests, an.“
Eine mögliche Entwicklung, die wünschenswert sei, findet Christoph Lehner vom Heidelberger Anbauverein: „Die Grenzwert-Festlegung war überfällig und ist nach Einschätzung des Deutschen Hanfverbands für ungefähr 80 Prozent der Konsumierenden hilfreich. Der von der Expertenkommission gemachte Vergleich mit 0,2 Promille Blutalkoholkonzentration zeigt aber auch, dass noch Luft ist nach oben, was die Verhältnismäßigkeit und die Gleichstellung angeht.“
Doch was braucht es, um mehr Verhältnismäßigkeit und Gleichstellung zu schaffen? Timo Berger hat eine klare Meinung: „Aufklärung, Aufklärung und nochmals Aufklärung. Die Doppelmoral in unserem Land in Bezug auf die nun legalen Substanzen, Alkohol, Tabak, Kaffee und Cannabis ist kaum zu überbieten.“ Das größte Problem an der Legalisierung ist für den Experten aus Hockenheim die Strategie zum Erwerb der nun legalen Droge: „Ohne die Möglichkeit, legal Cannabis beziehen zu können, bleibt den meisten ja nichts anderes übrig, als sich nach wie vor über den Schwarzmarkt einzudecken. Nicht alle Menschen besitzen einen grünen Daumen oder haben die räumlichen Voraussetzungen dafür, um selbst Cannabis anzubauen. Einige Patienten berichten nun, dass ihre gewohnte Sorte nicht mehr in der Apotheke verfügbar ist, aufgrund der erhöhten Anzahl von neuen Privatpatienten seit 1. April.“
Über 1000 Voranmeldungen in Heidelberg
Ein Problem, das nach dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung durch Cannabis Social Clubs gelöst werden soll. Christoph Lehner, der einen solchen Verein in Heidelberg miteröffnet hat, sieht bei den Anbauvereinigungen allerdings weitere Schwierigkeiten. So könne der Club, trotz rechtzeitiger Anmeldung, erst Anfang 2025 das erste Cannabis an Mitglieder ausgeben: „Erst müssen Testzyklen beim Anbau laufen, bevor die reale Produktion beginnen kann. Dieser späte Termin gilt nach Einschätzung des Hanfverbands deutschlandweit.“ Insgesamt habe der Club über 1000 Voranmeldungen. Rechtlich dürfen sie nur 500 Konsumenten aufnehmen: „Es gibt in der Region viel mehr Nachfrage als Angebote.“
„Leider fehlt das ,Social’ bei den Anbauvereinigungen. Das bedeutet, dass es nicht möglich ist, innerhalb des Rechtsrahmens der Anbauvereinigung gemeinsam zu konsumieren. Dafür müsste ein separater Verein gegründet werden, der einen Raum oder ein Café anmietet“, erklärt Lehner. Auch der Aufwand im Club könnte ein Problem werden, weiß er: „Gemäß Gesetz sind Name, Vorname und Geburtsjahr jedes Mitglieds, an das Cannabis weitergegeben wird, sowie die folgenden Angaben zu dem weitergegebenen Cannabis zu dokumentieren: Menge in Gramm, durchschnittlicher THC-Gehalt, Datum der Weitergabe. Die Aufbewahrungsdauer dieser Daten beträgt fünf Jahre. Die überwachende Behörde kann diese Daten auf Verlangen einfordern. Zum Anfang der Folgejahres sind Angaben über die Menge des angebauten, vernichteten und abgegebenen Cannabis automatisch und anonymisiert an die überwachende Behörde weiterzugeben.“
Die Hürden sind für Konstumenten und Vereine hoch
Ein Aufwand, der wohl Grund dafür ist, dass es in der Region bisher nur vereinzelt Gründungsversuche gibt, glaubt Berger: „Es gibt einige Bestrebungen, Clubs zu gründen bei uns in der Gegend. Keiner, der mir bekannten Clubs ist aber wirklich schon so weit, um anfangen zu können, aufgrund der recht hoch angesetzten Hürden, die es zu bewältigen gibt.“
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Und was sagt die Polizei? Kiefner bleibt diplomatisch: „Die Bewertung, ob ein Gesetz seine erwünschte Wirkung entfaltet, kann erst nach einer gewissen Zeit erfolgen. Die Interpretation der Ergebnisse ist in der Regel eine politische und kann differenziert ausfallen. Ob also Cannabis Clubs eine positive, gesellschaftliche Wirkung entfalten und wie diese ausfällt, ist keine polizeilich zu diskutierende Frage. Das Polizeipräsidium Mannheim wird weiterhin präventiv und repressiv gegen Betäubungsmittelstraftaten vorgehen und die erfolgreiche Arbeit in diesem Deliktfeld fortsetzen.“ Grafik: sz
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