Kolumne Erste Ausrufezeichen bei den SWR Festspielen in Schwetzingen

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Jakob Roth
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Schwetzingen. Endlich! Die Schwetzinger SWR Festspiele haben begonnen. Zu Beginn gab es eine Opern-Uraufführung mit brandaktuellem Thema. Mystisch, psychoanalytisch und dem Zeitgeist entsprechend zeigt die Oper „Der Doppelgänger“ ein zeitloses, erschreckendes Bild eines Menschen, der verzweifelt und an seinen eigenen Ängsten zugrunde geht.

Ein Blick ins Programmheft der Oper wirft Fragen auf: Von einem „kafkaesken Konkurrenzkampf“ der Hauptfigur ist die Rede. „Kafkaesk“. Was bedeutet dieses Wort eigentlich? Ich schlage im Duden nach. „Auf unergründliche Weise bedrohlich“, steht da. Wie gruselig muss es sein, vor etwas Unergründlichem Angst zu haben? Wie Josef K., der in Kafkas Roman „Der Prozess“ verhaftet wird, ohne zu wissen, warum. Wie Gregor Samsa, der in dessen „Verwandlung“ als Ungeziefer aufwacht – ein Horror. Und dabei steckt so viel Aktualität in diesen Texten. Denn es gibt auch heute Menschen, die ein schreckliches Schicksal ganz plötzlich trifft. Es gibt Menschen, deren Leben auseinanderfällt, ohne dass es jemanden interessieren würde. Menschen, die den Kampf gegen sich selbst verlieren.

Mit diesem Thema starteten die Schwetzinger Festspiele am Freitag mit „Der Doppelgänger“ – einer Opernbearbeitung des gleichnamigen Romans von Fjodor Dostojewski. Das ist ein russischer Autor, dem nachgesagt wird, ein Vorläufer jenes „kafkaesken“ Stils zu sein.

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Die Handlung: Hauptfigur Jakow Petrowitsch Goljadkin, ein Beamter aus St. Petersburg, trifft auf seinen Doppelgänger, der alles besser kann als er. Es beginnt ein Kampf zwischen den beiden, bei dem der „echte“ Goljadkin verliert. Am Schluss landet er in einer Psychiatrie. Denn der „Doppelgänger“ existiert nicht, er ist eine Abspaltung seines eigenen Geistes. Das Leben in St. Petersburg, in dieser hierarchischen Gesellschaft, in der leistungsschwache Menschen nichts zählen, hat ihn aufgefressen. Seine Selbstzweifel und Ängste haben einen Körper bekommen, der ihn bekämpft und zerstört - ein zeitloser Seitenhieb auf unsere Leistungsgesellschaft.

Was für ein gehaltvoller Auftakt! Die Schwetzinger SWR Festspiele transportieren mit der entrückten, experimentellen Musik von Lucia Ronchetti und einem großartigen Libretto von Katja Petrowskaja Dostojewskis Literatur-Klassiker ins Jetzt. So frisch muss sich ein Klassik-Festival heute zeigen. Die letzte Festspielsaison von Heike Hoffmann beginnt mit einem Ausrufezeichen.

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