Schwetzingen. Im Hochhaus im Tilsiter Weg 2 in Schwetzingen wohnen 92 Parteien. Mehrere der Bewohner können die Treppen nicht steigen. Manche altersbedingt, andere aufgrund einer Behinderung. Sie sind angewiesen auf einen Rollator oder einen Rollstuhl – und auf einen Aufzug. Doch dieser bereite den Eigentümern zufolge immer wieder Schwierigkeiten.
Nach einer Mängelanzeige bei der Hausverwaltung, dem Einschalten des Behindertenbeauftragten und auch durch die Berichterstattung in dieser Zeitung schien der Fahrstuhl nach monatelangen Problemen wieder zu funktionieren – so hatten wir es zuletzt recherchiert und auch geschrieben.
Doch Halt: Fährt der Fahrstuhl wirklich einwandfrei? Nach unserer Berichterstattung erreichten uns satte Beschwerden von Bewohnern, dass nur eine notdürftige Reparatur durchgeführt worden wäre und der Fahrstuhl weiterhin nicht problemlos funktionieren würde. Wir haben also noch einmal nachgehakt und vor Ort mit weiteren Bewohnern gesprochen, die nach wie vor den Lift nur mit Angst und Sorge nutzen.
Ein Selbstversuch
Doch erst einmal wage ich den Selbstversuch: Im Tilsiter Weg 2 nehme ich einen der beiden Aufzüge – er sollte ja funktionieren. Ich steige in jenen für die ungeraden Stockwerke, denn der für die geraden Nummern sei laut einem Aushang aktuell ausschließlich für gehbehinderte und rollstuhlabhängige Personen vorgesehen, „da der Fahrstuhl wiederholt stehen bleibt“.
In der Kabine begegne ich einer älteren Dame namens Ursula Maas. Sie sei auf dem Weg zu Maciej, einem 14-jährigen Jungen aus dem 14. Stock, er ist schwerstbehindert und sitzt im Rollstuhl (wir berichteten). „Wir wollten letztens eigentlich ins Kino gehen, aber es ging nicht wegen des kaputten Aufzugs“, erzählt Maas, die Maciej als Hospizhelferin für Kinder etwa einmal wöchentlich besucht. „Es ist echt schlimm, der Junge ist richtig schwermütig geworden. Er hat gar keine Energie, will nur im Bett liegen. Dabei sind doch Ferien, wir wollten einiges unternehmen.“ Im 15. Stock verabschieden wir uns. Für mich geht es über das Treppenhaus noch weiter, bis ganz nach oben in den 16. Stock, wo Eva und Bernhard Baumhold zu Hause sind.
Seit Jahren reparaturbedürftig
Schon vor zehn Jahren hätten Hausverwaltung und die für die Aufzüge verantwortliche Firma eine Generalüberholung für die beiden Fahrstühle angestoßen, erzählen sie. „Der damalige Beirat hat das aber abgelehnt, weil es ihnen zu teuer war“, blickt Bernhard Baumhold zunächst zurück. Er erklärt auch, dass die beiden Aufzüge unabhängig voneinander laufen würden, sie hätten eigene Motoren und würden jeweils eigenständig funktionieren. In die ungeraden Stockwerke komme man aktuell einwandfrei, in den Etagen mit den geraden Nummern jedoch würden mehr Gehbehinderte wohnen, schildert Baumhold, der im 16. Stock wohnend selbst auf einen Rollator angewiesen ist.
Und jener Aufzug bereite seit dem Frühjahr massive Probleme. Teilweise sei er über längere Zeit komplett ausgefallen. „Maciej konnte die letzten zwei Wochen vor den Sommerferien nicht in die Schule gehen“, sagt Ewa Kowalewska, die mit ihrem Sohn im 14. Stock wohnt. Mit seinem 200 Kilogramm schweren E-Rollstuhl gebe es für sie keine andere Möglichkeit, das Haus zu verlassen. Täglich hatte sie ihren schwerstbehinderten Sohn für die Schule fertig gemacht, der Fahrdienst hätte bereits unten gewartet, doch der Weg zum Aufzug war stets von Ungewissheit geprägt. „Mama, funktioniert er heute?“, hätte Maciej sie ängstlich gefragt. Wenn sie gemeinsam in der Kabine sind, sei Maciej angespannt, würde sich an seiner Mutter festhalten, berichtet Kowalewska. „Sind wir draußen, beschäftigt ihn schon, ob wir überhaupt wieder nach oben in die Wohnung kommen.“
Wenn der Aufzug funktioniert, „bleibt er in den Stöcken 6, 8 oder 12 oft ruckartig stehen“, ergänzt Bernhard Baumhold. „Da erschrecke auch ich mich und muss mich festhalten.“ Anschließend sei ein Reset der Anlage notwendig, man müsse in den Keller fahren, dann würde der Fahrstuhl wieder ordnungsgemäß weiterfahren, so beschreibt es ein Aushang in der Kabine. Für Maciej, der sowohl körperlich als auch geistig eingeschränkt ist, eine nur schwer zu ertragende Situation.
„Notdürftig geflickt“
Den Baumholds zufolge seien zuletzt Reparaturen am Aufzug vorgenommen worden. Da sie im obersten Stockwerk wohnen, wo sich der Zugang zur Technik der Fahrstühle befindet, würden sie dies stets mitbekommen. „Das wurde aber wieder nur notdürftig geflickt“, verdeutlicht Bernhard Baumhold. Es seien bei Bedarf immer wieder Reparaturen vorgenommen worden, jedoch nie im erforderlichen Umfang, um einen fehlerlosen Betrieb zu gewährleisten. „Das ist doch keine Dauerlösung. Das muss richtig repariert werden“, führt seine Frau aus.
Der Aushang der zuständigen Hausverwaltung von Mitte Juli, wonach die Lieferzeit für die erforderlichen Ersatzteile zur Reparatur sich auf 30 Wochen belaufen würde, ist inzwischen hinfällig. Auf Anfrage unserer Zeitung aus der Vorwoche teilte die Kunze Immobilienverwaltung mit, dass die Aufzugsfirma noch mit einer Dauer von zwei bis drei Wochen rechnen würde. Auf eine Mängelanzeige von Ewa Kowalewska reagierte die Verwaltung Mitte August mit einem Schreiben an alle Bewohner des Hauses, das dieser Zeitung vorliegt. Darin heißt es, dass es aufgrund der momentan langen Lieferzeiten „noch zu einer Verzögerung von zirka 14 Tagen kommen“ könne. Und weiter, wie von den Baumholds umschrieben: „Wir werden bis zur endgültigen Reparatur bei vorübergehenden Ausfällen wie bisher versuchen, mit der Firma kurzfristige Notmaßnahmen durchzuführen.“
Die Sorge fährt mit
Mit diesen vorübergehenden Lösungen wollen die Bewohner sich nicht mehr arrangieren müssen. Bernhard Baumhold bringt die Problematik auf den Punkt: „Momentan funktioniert der Aufzug, aber man weiß nie, wie lange noch.“ Die Hausverwaltung informiert in dem Schreiben außerdem darüber, „dass die Aufzüge während der Instandsetzung bis zu einer Woche außer Betrieb gesetzt werden könnten“. Für die gehbehinderten Bewohner im Tilsiter Weg 2 stellt sich in dieser Zeit erneut die Frage, auf welche Weise sie das Haus verlassen können.
Ich verlasse das Gebäude an diesem Tag erneut per Fahrstuhl. Auf dem Weg hinunter treffe und spreche ich noch mal kurz mit Ursula Maas. Sie berichtet: „Auch ich bin schon mal im Aufzug hängen geblieben, er hat gestockt.“ Allein diese Vorstellung – in einem Aufzug stecken zu bleiben – weckt auch bei mir ein mulmiges Gefühl im Magen. Nur ich könnte die Treppe nutzen. Andere Bewohner dieses Hauses sind auf den Aufzug angewiesen und, wenn man so will, seit Wochen in ihren eigenen vier Wänden mehr oder weniger gefangen aufgrund technischer Unzulänglichkeiten. Einfach eine furchtbare Vorstellung.
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