Schwetzingen. Es ist eine unerträgliche Situation: Menschen kommen wochen-, ja monatelang nicht aus ihrem Haus, weil der Aufzug defekt und die Reparatur nicht in Sicht ist – mehr als 30 Wochen sollte es dauern, bis die notwendigen Ersatzteile da sind. So stand es bis Mitte der Woche auf einem Aushang. Das erleben gerade die Bewohner des Hochhauses im Tilsiter Weg 2-4.
Besonders schlimm ist das für die Bewohner, die auf den Lift angewiesen sind, weil sie keine Treppen steigen können – wie der 14-jährige Maciej. Er ist schwerstbehindert und sitzt im Rollstuhl. Doch jetzt ist Bewegung in die Sache gekommen – auch weil sich mehrere Menschen eingeschaltet haben. Seit Donnerstag wissen die Bewohner, dass es mit der Reparatur wahrscheinlich doch schneller gehen könnte, dies bestätigte auch die Hausverwaltung auf Anfrage unserer Zeitung.
In dem Gebäude gibt es zwei Aufzüge, einer fährt in die ungeraden Stockwerke, der andere in die geraden. „Und der bleibt des Öfteren stecken“, berichtet Ewa Kowalewska, die Mutter von Maceij. Auch der ehemalige städtische Behindertenbeauftragte Stefan Krusche, der einige Etagen weiter unten wohnt, bestätigt dies. Der Lift für die ungeraden Etagen fährt zwar bis zum 13. und 15. Stock, „aber es gibt keine Möglichkeit, meinen Sohn mit seinem Rollstuhl in die 14. Etage, in der wir wohnen, zu bringen“, sagt Ewa Kowalewska.
Maceij sitzt in einem 200 Kilogramm schweren E-Rollstuhl. „Ich kann weder meinen 60 Kilo schweren Sohn noch seinen Rollstuhl die Treppen hinunter- oder hinauftragen.“ In den vergangenen Wochen sind die beiden mit dem defekten Fahrstuhl gefahren, prompt blieb er stecken. „Der Fahrstuhl rüttelt derart, dass nicht nur mein Sohn und ich Panikattacken bekommen, wenn wir schon daran denken, ihn fahren zu müssen. Anderen Bewohnern ergeht es nicht anders“, erzählt sie.
Fehlende Barrierefreiheit in Schwetzingen: Maciej hat Panik
Der Junge bekomme gleich Panik, wenn sie nur in Richtung Aufzug laufen würden: „Er hat große Angst, dann dort stundenlang mit seinen behinderungsbedingten chronischen Schmerzen eingesperrt zu sein.“ Sie will sich gar nicht ausmalen, wenn ihr Sohn einen krankheitsbedingten Anfall erleidet und sie schnell ins Krankenhaus müssten. „Für mich selbst ist diese Situation zudem auch kaum mehr zu ertragen“, sagt sie nur so nebenbei.
Wenn der Aufzug bis zum Schulstart nicht wieder funktionieren sollte, muss ihr Sohn daheim bleiben. „Er wird dann vollkommen von seinen dortigen für ihn sehr wichtigen, sozialen Kontakten abgeschnitten sein.“ Dabei sitze er jetzt schon ganz depressiv zu Hause, weil er nicht mehr hinausfahren möchte. Und für sie würde es bedeuten, dass sie daheim bleiben muss und nicht arbeiten gehen kann. „Und in der heutigen wirtschaftlich für uns alle sehr problematischen Zeit wäre es für mich als alleinerziehende Mutter fatal, meinen mir sehr wichtigen Arbeitsplatz zu verlieren. Wenn ich eine Betreuung organisieren muss, die meinen Sohn während meiner Arbeitszeit begleitet, muss ich diese selbst bezahlen.“ Ungeachtet dessen, ob sich überhaupt so schnell eine geeignete Person finden würde.
Auf Anfrage unserer Zeitung antwortete die zuständige Hausverwaltung umgehend: „Die Situation mit der defekten Aufzugsanlage ist leider auch für uns nicht zufriedenstellend und wir bedauern die damit für die Bewohner verbundenen Schwierigkeiten sehr“, sagt Geschäftsleiterin Jeanette Warnat von der Kunze Immobilienverwaltung.
Mit Bekanntwerden der temporären Aufzugsausfälle sei direkt die Aufzugsfirma mit der erforderlichen Reparatur beauftragt worden – diese habe gleich die notwendigen Ersatzteile bestellt. „Aufgrund des Alters der Aufzugsanlage konnte uns die Lieferung der Ersatzteile nur mit einer voraussichtlichen Dauer von etwa 30 bis 36 Wochen in Aussicht gestellt werden“, erklärt Warnat. Die derzeitige Marktsituation im Bereich der Ersatzteilproduktion und -lieferung sei leider in vielen Branchen prekär. Zeitgleich mit unserer Anfrage hätten ihre Mitarbeiter nochmals bei der Aufzugsfirma nach einer aktuellen Einschätzung angefragt. „Leider kann nach wie vor kein fixer Liefertermin genannt werden, die Firma geht aktuell von noch zwei bis drei Wochen Wartezeit aus. Bei dem Objekt handelt es sich im Übrigen um eine Eigentümergemeinschaft, „sodass wir nicht in der Lage sind, unabhängig zu agieren“.
Unterstützung hat Kowalewska jetzt von Raquel Rempp bekommen. Die ehemalige Stadträtin engagiert sich seit Jahren vielseitig für die Schwächeren der Gesellschaft und ist Schwerbehindertenvertreterin in ihrer Firma. Sie hat der gebürtigen Polin geholfen, die schriftliche Mängelanzeige zu formulieren und an die Hausverwaltung zu schicken. „Hätte sie das nicht gemacht, würden wahrscheinlich heute noch keine aktuellen Informationen an alle Eigentümer des Hauses per E-Mail gegangen sein.“ Oder sei es ein reiner Zufall, dass diese direkt einen Tag nach der Mängelanzeige, der Einmischung der Schwetzinger Zeitung und der Hinzuziehung des städtischen Behindertenbeauftragten geschickt und ausgehängt wurden?
Martin Köhl, der diese Position seit Juli im Rathaus bekleidet und selbst im Rollstuhl sitzt, ist fassungslos, als wir ihm von der Problematik erzählen: „Das geht gar nicht, das ist völlig unzumutbar“, sagt er und will sich einschalten, denn auch um solche Dinge müsse sich ein Behindertenbeauftragter kümmern.
Ein bisschen beruhigt durch neue Nachrichten
Rempp sieht das genauso: „In Zeiten, in denen sich immer wieder zu Inklusion bekannt wird, ist es umso bedauerlicher, dass hier ältere, gehbehinderte oder komplett auf Rollstühle angewiesene Menschen ausgegrenzt und wochenlang in ihren Wohnungen eingesperrt bleiben sollen.“ Es müsse machbar sein, eine bundesweite Ausschreibung für das fehlende Ersatzteil zu erstellen. „Ich hoffe, dass es möglich ist, dass man das Teil gleich in doppelter Ausführung bestellt.“
Ewa Kowalewska ist jetzt ob der neuen Nachrichten etwas erleichtert – zwei bis drei Wochen klinge doch deutlich besser als 30 bis 36. „Ein bisschen beruhigt es mich“, sagt sie, aber 100-prozentig sei es eben nicht. Und gerade vorgestern funktionierte der Aufzug wieder nicht. „Ich habe ein Video aufgenommen, um dies selbstverständlich auch nachweisen zu können. Er ist einfach nicht in unsere Etage hochgefahren.“
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