Schwetzingen. Ingrid Nolls Bücher an sich sind schon wunderbar unterhaltsam. Die Erfolgsautorin live zu erleben, hat noch einmal ein ganz anderes Format. Das durften die Besucher ihrer Lesung im Schlossrestaurant „Theodors“ im Schlossgarten Schwetzingen erfahren.
Diese hielt in vielerlei Hinsicht Premieren bereit: Andreas Bante vom „Theodors“ freute sich über seine erste öffentliche Veranstaltung seit der Pachtübernahme des Restaurants, die Gäste genossen den schönen Nachmittag bei Kaffee und Kuchen, initiiert von der Volkshochschule und deren Leiterin Gundula Sprenger. Sie hatte die Veranstaltung mit allen notwendigen Vorkehrungen perfekt in die Wege geleitet, inklusive Vor-Ort-Buchverkauf durch die Buchhandlung Kieser. Und letztlich für die Autorin selbst: Die 85-Jährige entschuldigte sich eingangs sogar, möglicherweise beim Vorlesen ihrer eigenen Zeilen zu holpern. Während der Pandemie ruhten auch ihre Auftritte. Mit ihrem neuesten Werk „Kein Feuer kann brennen so heiß“ (Diogenes-Verlag) trat sie bislang nur in Potsdam kurz vor dem Termin in Schwetzingen auf – sogar zweimal der großen Nachfrage wegen, beide Male ausverkauft und open air.
Ingrid Noll genoss sichtlich die Aufmerksamkeit ihres Publikums in Schwetzingen (darunter sogar ein Hund namens „Elvis“), während sie Auszüge ihres illustren Krimiromans vorlas. Wobei: Krimi allein trifft es nicht. Die Geschichte von Altenpflegerin Lorina verbindet menschliche Lust und zwischenmenschliche Reibungen, Selbstzweifel und Egozentrik eingebettet in eine Herausforderung unserer heutigen Zeit: die Pflege von Menschen. Lorina, die als „schön ist sie nicht, aber kochen und anpacken kann sie“ beschrieben wird, geht einer Anstellung in der Villa Alsfelder nach. Sie kümmert sich um die pflegebedürftige Dame des Hauses und verfällt Masseur Boris. Sie wird ihm geradezu hörig, nur weil sie sich durch den Sex mit ihm begehrenswert fühlt. Als sie ihn einmal fragt, ob er sie hässlich findet, antwortet er: „Du bist doch eine aparte Frau.“ Nur „nett“ wäre vermutlich noch schlimmer gewesen. Doch sie verzeiht ihm. Dann merkt Lorina, dass sie nicht die einzige ist, die von dem „Gartenzwerg“ ausgenutzt wird, und schmiedet einen Plan. Das Auftrennen der hinteren Mittelnaht seiner Hose, das Kippen von Chlorreiniger ins Futter seine Jacke (Boris achtet sehr auf sein Äußres) und das Füllen von Flüssigseife in die Strümpfe sind hier die kleineren Übel. Die zermalmten Schlaftabletten in der Leberwurst auf dem Toast gehören schon zu den ausgereifteren Revanchen. Waren diese schließlich der Auslöser für einen dramatischen Autounfall?
Zur Person: Ingrid Noll
- Ingrid Noll (Jahrgang 1935) studierte einige Semester in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte. Sie ist seit über 60 Jahren verheiratet, hat drei Kinder sowie vier Enkel und lebt in Weinheim. Nachdem ihre Kinder aus dem Haus waren, begann sie, Kriminalgeschichten zu schreiben – allesamt Bestseller. 2005 erhielt sie den Friedrich-Glauser-Ehrenpreis der Autoren für ihr Gesamtwerk.
- Werke (Diogenes-Verlag): Der Hahn ist tot (1991; verfilmt), Die Häupter meiner Lieben (1993; verfilmt), Die Apothekerin (1994; verfilmt), Der Schweinepascha (1996), Kalt ist der Abendhauch (1996; verfilmt), Stich für Stich (1997), Röslein rot (1998), Die Sekretärin (2000), Selige Witwen (2001), Rabenbrüder (203), Falsche Zungen (2004), Ladylike (2006; verfilmt), Kuckuckskind (2006), Ehrenwort (2010), Über Bord (2012), Hab und Gier (2014), Der Mittagstisch (2015), Halali (2017), Goldschatz (2019), In Liebe Dein Karl (2020), Kein Feuer kann brennen so heiß (2021).
- Ingrid Noll ist demnächst Gast unseres Podcasts Leben.Lieben.Lachen. – wir werden berichten.
„Da müssen Sie jetzt selbst weiterlesen“, gab die Autorin nach einer guten Stunde den begeisternd applaudierenden Zuhörern mit auf den Weg. Immerhin sorgen in „Kein Feuer kann brennen so heiß“ auch noch ein aufgeschwatzter Pudel, ein zurückgelassenes Baby und ein erbgeiler Großneffe für Furore.
Computer statt Gänsefeder
Es sind diese herrliche Leichtigkeit, die süffisante Überspanntheit der Figuren, die bildlichen Beschreibungen, die das Kopfkino rattern lassen, und das feine Einflechten von Bildung etwa aus dem Bereich Kunstgeschichte, die Ingrid Nolls Werke auszeichnen. Dabei bleibt sie immer am Puls der Zeit, sei es bei dem Fliegenlassen von Drohnen oder eben der Thematik Pflege. Passend hierzu, erzählte Gundula Sprenger eingangs, hat das Forum Pflegende Angehörige einen Hilferuf gestartet. In diesem weist es unter anderem auf den Pflegenotstand und die Überlastung der Pflegenden hin, auf den Nachwuchsmangel in diesem Beruf verbunden mit Lösungsansätzen wie einer Lohnerstattung für pflegende Angehörige oder einer 35-Stunden-Woche für Pflegepersonal.
Ingrid Noll lud ein, ihr Fragen zu stellen und Wünsche für künftige Werke zu äußern. Ein Gast wollte wissen, wie und wann sie schreibe: „Wenn mich Journalisten so etwas fragen, dann antworte ich: ,Weil ich schon so alt bin: mit Gänsefeder auf Pergamentpapier“, so die humorvolle Entgegnung. Schallendes Gelächter. Die Autorin erzählte, dass sie ihre ersten Bücher Anfang der 1990er Jahre tatsächlich handschriftlich auf die vielen leeren Seiten der alten Schulhefte ihrer drei Kinder notierte und dann mit der Schreibmaschine abtippte. Der Sohn stellte ihr irgendwann einen Computer hin. „Ohne den ginge es nicht mehr.“ Auch das Bild von den Autoren, die nachts bei einem Glas Whisky ihre Werke kreieren, zerstörte sie offenherzig: „Ich trinke morgens meinen Kaffee, lese die Zeitung und schreibe dann, wenn nichts anderes dazwischenkommt. Manchmal auch noch einmal nachmittags.“ Den roten Faden für die Geschichte habe sie dabei immer schon im Kopf, auch das Bild der Protagonistin muss klar vor ihr stehen – „mit all ihren Stärken und Schwächen, ein bisschen neurotisch muss sie auch sein, das gehört dazu“. Für ihre Bücher recherchiert sie selbst, antwortete Ingrid Noll auf eine weitere Frage.
Und wie sieht das mit den Figuren aus – sind das Bekannte? „Die sind erfunden, sonst hätte ich keine Freunde mehr“, sorgte die Weinheimerin wieder für Gelächter. Wobei: Eine Freundin bat sie, deren Hund einmal in eine Geschichte einzubauen. Deshalb gibt es nun den Pudel „Europa“ in „Kein Feuer kann brennen so heiß“. Auch Ingrid Nolls Enkel Ruben (15) wollte gern mal „mitspielen“. Voraussetzung: nicht als Mörder, aber schon etwas spinnert. Also kommt er auch im neuesten Roman vor – „mit ein paar Phobien“. Meist würde sie mit ihrer „Menschenkenntnis und Lebenserfahrung die Monster zusammenbasteln“. Wenn dann doch einmal Übereinstimmungen mit lebenden Personen entstünden, sei dies das schönste Kompliment, meinte die Erfolgsautorin mit einem Augenzwinkern.
Bitte Insel Föhr einbauen
Ein paar Aufgaben bekam Ingrid Noll dann noch mit: Ein Gast wünschte sich, sie solle die Insel Föhr in eines ihrer Werke einbauen. „Das passt jetzt gar nicht in meinen Weinheim-Krimi“, erzählte Ingrid Noll von dem Buch, an dem sie gerade schreibt („Ich bin auf Seite 100“). Sie ist seit einiger Zeit Botschafterin Weinheims. Daher wolle sie ihrer Heimatstadt nun ein literarisches Denkmal setzen, damit künftig viele Touristen nach „Crimeheim“ kommen, wie sie den Namen der Stadt anhand ihres Spitznamens („Lady of Crime“)“ süffisant umformulierte. Naja, vielleicht sind ja Verwandte des nächsten Opfers nach Föhr gezogen, wer weiß das schon . . .
Dirk Berger wünschte sich von Ingrid Noll ein Theaterstück. Für Fernsehen und Kino habe sie ja schon Vorlagen geliefert – jetzt sei die Bühne dran, fand der Akteur, der unter anderem bei der Theatergruppe „Rampenlicht“ in Ketsch mitmischt. „So was wie ,Mord im Dom‘?“, hakte die interessiert lauschende Autorin nach. Warum nicht? Dirk Berger signalisierte, er sei für jedes adaptierbare Bühnenschauspiel offen – es müsse auch keiner sterben. „Da ich sicher 107 werde, kann ich das einplanen“, stellte Ingrid Noll mit Blick auf das hohe Alter ihrer Großmutter (105) und Mutter (106) in Aussicht. Zur Premiere, versprach Dirk Berger, sitzt sie dann natürlich in der ersten Reihe. Denn die Autorin live zu erleben, hat einfach ein ganz anderes Format.
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