Interview

Kirchenvertreter aus Schwetzingen im Interview: Ist Pfingsten zeitgemäß?

Pfingsten gilt als die Geburtsstunde der christlichen Kirche, doch immer weniger Menschen können damit etwas anfangen. Dekan Uwe Lüttinger und Pfarrer Steffen Groß aus Schwetzingen finden, dass es trotzdem wichtig ist.

Von 
Dirk Jansch
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Darstellung einer Taube als Symol des Heiligen Geistes in der Kuppel des Berliner Doms. In Erinnerung an die in der Bibel geschilderte Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Menschen wird Pfingsten auch als "Geburtstag der Kirche" verstanden. © epd

Schwetzingen. In der biblischen Apostelgeschichte steht geschrieben, wie einst der Heilige Geist über die Apostel kam. Sie konnten plötzlich alle Sprachen sprechen und verstehen und wurden beauftragt, Jesu Botschaft in alle Welt hinaus zu tragen. Dieser christliche Hintergrund des Pfingstfestes ist immer weniger Menschen bewusst. Manche Ökonomen fordern sogar die Abschaffung von Pfingstmontag als Feiertag. Das sagen Kirchenvertreter aus Schwetzingen dazu.

Herr Lüttinger, Herr Groß, laut einer Yougov-Umfrage haben 55 Prozent der Menschen in Westdeutschland und 62 Prozent in Ostdeutschland keine Ahnung, was Pfingsten ist. Gerade noch fünf Prozent der Deutschen besuchen einen Pfingstgottesdienst. Ist die Vorstellung, dass der Heilige Geist über die Apostel gekommen ist, zu abstrakt für die Menschen?

Uwe Lüttinger: Grundsätzlich ist der Heilige Geist abstrakter - Jesus kann man sich gut vorstellen - Gott an der Schöpfung erkennen - aber Geist ist sprachlich schon schwierig - bei uns eher die Assoziation von Geistern. Hinzukommt, dass es hier wenig religiöse Bräuche gibt, welche das Fest „greifbarer“ machen. In Rom im Pantheon werden Rosenblätter aus der Öffnung im Dach hereingestreut, aber das ist eine seltene Ausnahme von zeichenhaften Bräuchen.

Steffen Groß: Die Pfingstgeschichte ist zumindest nicht so anschaulich wie die Berichte von Weihnachten, Karfreitag und Ostern. Dass ein Kind geboren wird, ist eine existentielle Erfahrung, die fast allen Menschen nahegeht. Dass ein Mensch leidet, auch; Unrecht und Folter kennen wir zumindest aus den Nachrichten. Und Ostern spricht die tiefe Sehnsucht vieler Menschen an, dass mit dem Tod die eigene Geschichte noch nicht zu Ende ist. Aber meine Erfahrung ist: Die Pfingsterzählung kann durchaus Menschen sehr bewegen – so erlebe ich das im Religionsunterricht in der Grundschule. Sie muss nur gut inszeniert werden. Die Erfahrung, dass Menschen über sich hinauswachsen, wenn sie vom gleichen Geist beseelt sind – etwa beim gemeinsamen Musizieren oder beim Sport – die kennen meine Schülerinnen und Schüler auch. Daran lässt sich anknüpfen.

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Beim Blick in Ihre Pfarrbriefe hatte ich nicht den Eindruck, dass dieses wohl erklärungsbedürftige Ereignis besonders hervorgehoben wird. Warum nicht? Immerhin gilt Pfingsten gemeinhin als Geburtsstunde der christlichen Kirche.

Lüttinger: In den Pfarrbriefen wird in der Regel immer auf ein aktuelles liturgisches Fest Bezug genommen und natürlich ist Pfingsten als Vollendung des Osterfestkreises und „Geburtsfest“ der Kirche ein wichtiger Tag, der eben leider wie viele christlichen Feste an Bedeutung verliert.

Groß: Wir hatten vor zwei Jahren das Schwerpunktthema Pfingsten im Gemeindegruß und haben es von verschiedenen Seiten beleuchtet. Im kommenden Jahr ist es möglicherweise wieder dran. Aber bei vier Ausgaben im Jahr macht es wenig Sinn, allein die Themen des Kirchenjahres in den Mittelpunkt zu stellen. Dann geraten andere wichtige Dinge aus dem Blick: etwa die Diakonie, der Veränderungsprozess unserer Kirche oder die Musik.

Liegt es vielleicht auch daran, dass viele über Pfingsten in Urlaub sind?

Lüttinger: Das kommt mittlerweile hinzu - die Pfingstferien haben sich zu einer zweiten großen Urlaubszeit entwickelt und so kommen auch weniger Menschen in die Gottesdienste.

Groß: Stärker noch als in meiner norddeutschen Heimat scheint mir in Baden-Württemberg das Pfingstfest sehr stiefmütterlich behandelt zu werden, und das hat sicher mit den Ferien zu tun. Aber Sie haben dennoch einen Punkt: Das Thema „Heiliger Geist“ ist in der Theologie wie auch in der kirchlichen Praxis viel zu weit in den Hintergrund geraten. Das rächt sich jetzt: Einmal in der schwindenden Relevanz des Festes, andererseits darin, dass Freikirchen, besonders die Pfingstkirchen, dieses Vakuum gefüllt haben. Hier haben wir definitiv Nachholbedarf.

In der aktuellen Debatte um mehr Arbeitstage und die Abschaffung von Feiertagen kommt Pfingsten auf den Prüfstand. Laut dem Institut der Wirtschaft in Köln würde ein Verzicht auf Pfingstmontag das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 8,6 Milliarden Euro erhöhen. Droht dem Pfingstmontag ein ähnliches Schicksal wie 1995 dem Buß- und Bettag?

Groß: Das ist gut möglich. Aber ich würde es auch jenseits der kirchlichen Bedeutung des Festes für einen Fehler halten. Gerade in schwierigen Zeiten wie jetzt brauchen wir die Möglichkeit, innezuhalten, zur Ruhe zu kommen und uns mit den wichtigen Fragen des Lebens zu beschäftigen. Dafür sind Feiertage da – nicht nur für Christinnen und Christen.

Lüttinger: Ich bedaure es, wenn heutzutage alles nur noch unter dem Gesichtspunkt Produktivität gesehen wird. Der Mensch braucht den positiven Wechsel zwischen Ruhe und Arbeit und eben auch Auszeiten, die nicht nur mit Effektivität gefüllt werden. Gerade im Ruhen und dann wieder im Agieren ist doch etwas grundlegend Menschliches gegeben, das wir nicht aus dem Blick verlieren sollten. Wer nicht ausruht, brennt aus, und im Bild gesprochen - der Heilige Geist möchte uns mit seiner Kraft erfüllen, damit wir dann in der Welt wirken.

Die Kirche steht dem deutschen Wirtschaftswachstum also nicht im Weg?

Lüttinger: Auf dem Hintergrund des zuvor gesagten sicher nicht.

Groß: Bei allem Verständnis für die Interessen der Wirtschaft glaube ich nicht, dass sich die strukturellen Defizite unseres Landes durch die einfache Streichung eines Feiertages lösen lassen. Die Probleme liegen viel tiefer: Der Investitionsstau der vergangenen Jahrzehnte fällt uns jetzt auf die Füße – und an dem sind nun sicher nicht die Kirchen schuld. Vor allem aber glaube ich: Wir müssen uns ehrlich machen und laut sagen, was viele Menschen längst wissen oder zumindest ahnen: Wir werden nicht mehr so weiterleben können wie bisher. Wenn wir das Menschheitsproblem Klimawandel lösen wollen; wenn wir mehr Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd herstellen wollen, um die Migrationskrise wirklich anzugehen, und wenn wir die Bundeswehr so verstärken müssen, dass sie notfalls Freiheit und Demokratie verteidigen kann – dann wird das so viel Geld kosten, dass wir an anderer Stelle drastisch sparen müssen. Ohne Wohlstandsverluste wird es nicht gehen. Und ich glaube: Unsere Kirchen können ein guter Ort für die fällige Debatte sein, wie dieser schmerzhafte Prozess so ablaufen kann, dass es nicht am Ende nur Verlierer gibt und uns die Gesellschaft um die Ohren fliegt. Ich biete dafür gern die Stadtkirche als Forum für den Austausch an.

Dekan Uwe Lüttinger (l.) und Pfarrer Steffen Groß beim gemeinsamen Gottesdienst am Spargelsamstag. © Andreas Gieser

Kommen wir auf das Wesen von Pfingsten zurück. Martin Hubacher, Pfarrer am Berner Münster, hat einmal sinngemäß gesagt: Quäle dich nicht mit der Frage: Habe ich den Heiligen Geist empfangen?, sondern frage dich: Habe ich je um ihn gebeten? Er kommt also nicht einfach über uns – wir müssen es schon auch zulassen. Sind wir dazu noch willens beziehungsweise in der Lage?

Lüttinger: Da es mit der Vorstellung des Heiligen Geistes eher schwierig ist, geht es wirklich darum, sich dieser Kraft in uns bewusst zu werden und sie zuzulassen. Da wir Menschen aber immer mehr zu Selbstmachern geworden sind, ist es schwierig auf eine Kraft in uns, die doch auch von außen geschenkt ist, zu vertrauen.

Groß: Mich hat der Heilige Geist am vergangenen Sonntag zum Schmunzeln gebracht. Wir haben das alte Pfingstleid „O komm, du Geist der Wahrheit“ gesungen, und in einer Strophe hieß es: „Unglaub und Torheit brüsten sich frecher jetzt als je; darum musst du uns rüsten mit Waffen aus der Höh. Du musst uns Kraft verleihen, Geduld und Glaubenstreu und musst uns ganz befreien von aller Menschenscheu.“ Ich musste da sofort an Donald Trump denken. In der Zeit der Lügengeister ist das Thema „Geist der Wahrheit“ einfach dran. Wir brauchen mehr Pfingsten!

Was bedeutet Pfingsten für Sie persönlich?

Lüttinger: Ich mag dieses Fest sehr - jedes Jahr freue ich mich, gerade dieses Fest zu feiern und spüre dabei auch etwas von der wunderbaren Kraft des Geistes beim Singen - besonders des schönen Pfingsthymnus, der mich auch immer an den Tag meiner Priesterweihe erinnert, bei dem ich mit Gottes Geist für meinen Dienst gestärkt und gesandt wurde.

Groß: Ich bin ein begeisterungsfähiger Mensch und freue mich, wenn ich andere damit anstecken kann. Und die Kraft dafür kann ich mir nicht selbst schenken. Sie kommt von oben.

Pfingsten ist ein urökumenisches Fest. Ist es nicht auch ein Aufruf an die christlichen Kirchen, noch näher zusammenzurücken?

Groß: Wir sind da in Schwetzingen wirklich gut aufgestellt mit unserer bunten Gemeinschaft, zu der ja neben Katholiken und Protestanten auch die Gemeinde am Schlossplatz, die Neuapostolische Kirche und – ganz wichtig – die Griechisch-Orthodoxe Gemeinde gehören. Auf der großen Ebene hoffe ich auf den neuen Papst. Aber das Ziel kann aus meiner Sicht nicht eine Einheitskirche sein, sondern eine Gemeinschaft von Kirchen, die gemeinsam dem Reich Gottes entgegen unterwegs ist.

Lüttinger: Am Pfingstmontag feiern wir einen ökumenischen Gottesdienst in Brühl-Rohrhof um 10.30 Uhr in St. Michael. Dieser Gottesdienst ist für die neue entstehende Kirchengemeinde Mittlere Kurpfalz und die evangelische Region.

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Wo Sie gerade den Papst angesprochen haben, Herr Groß: Glauben Sie, dass Papst Leo XIV. den Weg von Franziskus weitergehen wird, der ja viele Initiativen angestoßen hat, um die Einheit unter den Christen zu fördern und den interreligiösen Dialog zu stärken?

Groß: Ich hoffe es sehr. Vielleicht nutzt er ja seine Pfingstpredigt für einen ersten Impuls in diese Richtung.

Lüttinger: Papst Leo hat bereits viele Zeichen gesetzt, dass er die Impulse seines Vorgängers Franziskus aufnimmt und dann auf seine Weise weiterführt. Ich bin mir sicher, dass dazu auch der ökumenische Dialog gehört.

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