Martina Braun ist Geschäftsführerin der Stadtwerke Schwetzingen. Wir sprechen mit ihr über Strom, dessen Verbrauch und was passieren muss, um hier auch weiter die Versorgung zu gewährleisten, die in den nächsten Jahren notwendig ist.
Wie setzt sich der Strom der Stadtwerke Schwetzingen (Kohle, Gas, Wind, Sonne, etc.) zusammen?
Martina Braun: Die Stadtwerke Schwetzingen haben verschiedene Stromtarife für ihre Kunden im Produktportfolio. Je nach Tarif ist auch der Strommix – also die Zusammensetzung des Stroms – unterschiedlich. Als spezielle Ökostromprodukte haben wir den „meineStadtStrom öko“ und den Naturenergiestrom im Angebot, beide zu 100 Prozent regenerativ.
Wie unterscheidet sich der aktuelle Strommix von dem vor 20 Jahren?
Braun: Der Strommix setzt sich heute im Vergleich zum Beginn der 2000er Jahre komplett anders zusammen. Der Anteil an Atomstrom ist weitaus geringer geworden und im Gegenzug dazu hat der Ökostrom, etwa aus der Erzeugung mittels Wasserkraft, Windkraft oder Photovoltaikanlagen einen bedeutend höheren Anteil eingenommen. Das durch die Stadtwerke Schwetzingen vertriebene Stromprodukt „Naturenergie“ stammt beispielsweise aus einem Kraftwerk am Hochrhein und wird zu 100 Prozent aus Wasserkraft hergestellt.
Wie bewerten Sie den Atomausstieg?
Braun: Diese Frage polarisiert bekanntermaßen und auch ich bin bei diesem Thema ehrlich gesagt zwiegespalten. Es gibt fundierte Argumentationen sowohl dafür als auch dagegen. Die deutsche Politik hat hier eine klare Linie, unsere Nachbarländer verfolgen teilweise eine andere Strategie. Am Ende des Tages ist der Ausstieg aus der Atomkraft sicherlich die richtige Entscheidung, aber sie kommt meines Erachtens zu früh. Aus Sicht eines kleinen kommunalen Versorgers und vor allem aus Sicht unserer Kunden hätte ich die Atomkraft gerne als Brückentechnologie gesehen.
Warum?
Braun: Weil ich mir beispielsweise die Frage stelle, ob wir mit der Atomkraft als Baustein der Energiewende tatsächlich in eine derart angespannte Situation mit historisch hohen Energiepreisen gekommen wären, wie wir sie im Moment haben. Fakt ist: Eigene Produktionskapazitäten erhöhen die Versorgungssicherheit und verringern die Abhängigkeit von ausländischen Strom- und Gaslieferungen. In den vergangenen Monaten sind die Energiepreise auf schier unfassbare Höchststände gestiegen und wir sehen aktuell noch keine Entspannungstendenzen am Markt. Allein im Gasbereich haben im vergangenen Jahr fast 40 Anbieter Insolvenz angemeldet, weil sie ihre Kunden nicht mehr wirtschaftlich bedienen konnten. Ein Kunde, der heute einen Gasvertrag abschließt, zahlt im Zweifel je nach Anbieter knapp das Dreifache im Vergleich zu seiner Heizkostenrechnung 2020.
Wie beurteilen Sie diesbezüglich die Stimmen, die eine Verlängerung der Laufzeiten oder sogar einen Wiedereinstieg fordern?
Braun: Vor dem Hintergrund der aktuellen und mittelfristigen Preis- und Versorgungsprognosen sollte man sich den Argumenten für eine vorübergehende Nutzung der Atomkraft als Brückentechnologie nicht grundsätzlich verschließen. Zumal dadurch auch die ambitionierten Klimaziele schneller und effektiver erreicht werden könnten.
Der Stromverbrauch soll in den kommenden Jahren deutlich steigen, die Welt wird elektrischer. Sehen Sie für die Zukunft Schwierigkeiten bei der Versorgungssicherheit?
Braun: Der steigende Stromverbrauch und die Elektrifizierung stellen die Versorgungsnetze vor große Herausforderungen. Die Stromnetzbetreiber sind seit Jahren engagiert dabei, dieser rapiden Entwicklung gerecht zu werden und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Allerdings ist das in gewisser Weise ein schwieriger Spagat, gerade im Hinblick auf die dringend benötigten Nord-/Südtransportleitungen, deren Ausbau nach wie vor leider nur zögerlich vorankommt.
Was müsste in Ihren Augen passieren, damit die Versorgungssicherheit auch langfristig gewährleistet bleibt?
Braun: Für versorgungsrelevante Baumaßnahmen brauchen wir dringend einfachere und beschleunigte Genehmigungsverfahren und die Investitionskosten müssen regulatorisch besser berücksichtigt werden. Die Bundesnetzagentur schafft aktuell durch ihre Entscheidungen nicht unbedingt die notwendigen Investitionsanreize und macht es den Versorgern an dieser Stelle extrem schwer.
Was tun die Stadtwerke dafür?
Braun: Die Stadtwerke Schwetzingen sind im Vergleich zu den großen Anbietern ein kleines kommunales Versorgungsunternehmen, aber Versorgungssicherheit steht selbstverständlich auch bei uns an erster Stelle. Wir können zwar im Hinblick auf technische Innovationen keine Vorreiterrolle einnehmen, haben aber dennoch die Entwicklungen stets im Auge und überlegen genau, wie und wo wir sie einsetzen können. So beispielsweise geschehen mit dem Bau des Blockheizkraftwerks im Bellamar, mit dem wir die Schimper-Schule mit 100 Prozent regenerativer Wärme versorgen. Oder die Bürgerenergiegenossenschaft Kurpfalz eG, in deren Auftrag wir ständig auf der Suche nach geeigneten Dachflächen für leistungsfähige PV-Anlagen sind. Und wir haben im letzten Jahr damit begonnen, in der Gemeinde Plankstadt das Fernwärmenetz auszubauen. Das neue Antoniusquartier ist bereits angeschlossen, jetzt werden wir in den kommenden Jahren den Haushalten entlang der geplanten Trassen nach und nach anbieten, sich an die Fernwärme anzuschließen.
Und gibt es auch etwas, was jeder Einzelne tun kann?
Braun: Selbstverständlich! Jeder Einzelne kann etwas zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen. Muss der Honig unbedingt aus Neuseeland kommen oder kann es nicht auch ein regionales Produkt sein? Regional und saisonal einzukaufen, spart Unmengen an Kraftstoff und CO2 ein. Gerade bei uns in Schwetzingen würde doch auch niemand auf die Idee kommen, im Dezember Spargel aus Peru zu kaufen – hoffe ich zumindest. Anderes Beispiel: Hausbesitzer können dafür sorgen, dass ihre Immobilien fachgerecht gedämmt sind. Oder sie steigen von einer Ölheizung auf Biogas oder Fernwärme um. Dabei unterstützen wir als Energieversorger vor Ort übrigens gerne. Es gibt viele Möglichkeiten, die uns in Summe weiterbringen.
Und wie sieht es vor diesem Hintergrund mit den Klimazielen aus? Glauben Sie, dass diese erreicht werden können? Zwischen wachsendem Stromverbrauch, dem eher stockenden Ausbau regenerativen Energieträgern und der CO2-Minderung gibt es ja ein gewisses Spannungsverhältnis.
Braun: Wie bereits gesagt: Um die definierten Klimaziele zu erreichen, bedarf es einer enormen gemeinsamen Kraftanstrengung. Gewohnte Verhaltensmuster müssen abgelegt werden, ein Umdenken bei jedem Einzelnen ist die Voraussetzung dafür. Kaufe ich regional ein, fahre ich mit dem Rad zur Arbeit, muss ich unbedingt mit dem Flieger in den Urlaub, wann brauche ich mein Auto wirklich und vieles mehr. Im Bereich der Stromerzeugung und Stromversorgung benötigen wir griffige und zeitnahe Innovationen, beispielsweise im Bereich der Speichertechnologie oder der Batterietechnik. Dazu müssen Politik und Wirtschaft „Hand in Hand“ gehen. Bisherige Anreizsysteme müssen neu überdacht und auf ihre reale Zielmarke hin überprüft werden.
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