Schwetzingen. „Larger than life“ – wortwörtlich überlebensgroß, sinngemäß dementsprechend imposanter als es ein echter Mensch jemals sein könnte –so hat Klaus Mann die Hauptfigur, den Schauspieler Hendrik Höfgen, in seinem Roman „Mephisto“ von 1936 dargestellt. Doch wie sollen ein Regisseur und ein Ensemble das auf einer Bühne umsetzen?
Joerg Steve Mohr, Intendant des Theaters am Puls in Schwetzingen, hat es versucht. Und schon früh in der Premierenvorstellung zeigt sich: Ole Pampuch, der den Höfgen spielt, ist bereits in der eröffnenden Musiknummer fraglos Blickfang, obwohl er weitestgehend im Hintergrund agiert. Der Grund ist, dass er von Beginn an Zentrum des Geschehens ist – für das Publikum, doch auch für die anderen Figuren. Sie agieren wie Motten, angezogen von Höfgen als Licht.
Am Anfang der Geschichte ist er ein neurotischer, doch anderen zufolge immens talentierter Schauspieler an einem Hamburger Theater. Was er ist und wie mehr aus ihm wird, das zeigt Mohr zunächst im Schnelldurchlauf – nachvollziehbar, es ist der Länge von Manns Roman geschuldet. Doch der Effekt ist zugegebenermaßen, dass das Geschehen gehetzt wirkt, als würden die Figuren durch Stationen von Hendrik Höfgens Leben eilen, das sich in den 1920er Jahren in der Weimarer Republik abspielt, wo er noch mit dem Kommunismus sympathisiert, zumindest ästhetisch. Es ist schnell klar, dass die Handlung ein Ziel hat, das im wohl dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte liegt.
„Mephisto“ am Theater am Puls: In der Ruhe liegt die Kraft
Doch ab dem Moment, in dem das Stück glücklicherweise sein Tempo reduziert, ist man als Zuschauer gefangen. Das ist nicht selbstverständlich, denn Hendrik Höfgen als Figur ist in Pampuchs Darstellung von Sekunde 1 an kein Sympathieträger. Steht jemand anders als er selbst im Rampenlicht, wird er missgünstig, unerträglich. Das zeigt sich selbst dann, wenn er nur kurzzeitig abseits des Mittelpunktes steht – zum Beispiel beim ersten Auftritt von Nicoletta von Niebuhr, gespielt von Johanna Withalm. Sie, eine Schauspielerin, die zwischenzeitlich spannender wirkt als er, erscheint auf der Bühne und die übrigen Figuren sind von ihr gefesselt – eine Reaktion, die ein Egomane wie Hendrik Höfgen nicht akzeptieren kann.
Und hier zeigt sich schon nach wenigen Minuten eine große Stärke von Joerg Steve Mohrs Inszenierung und Pampuchs Interpretation: Es gibt keine Angst vor Erbärmlichkeit. Höfgens hat sichtbare Minderwertigkeitskomplexe, die jedoch kein Mitleid heraufbeschwören, sondern ihn zu schwer entschuldbaren Handlungen verleiten. Besonders die ruhigen, intimen Szenen zeigen seine Unsicherheit und Verletzlichkeit. „Mephisto“ wechselt extrem effektiv zwischen lauten und leisen Momenten. Eine der ganz wenigen Schwächen von Mohrs Version ist, dass der in Klaus Manns Roman übertriebene Höfgen, der sich vor anderen Menschen selbst als überlebensgroß inszeniert, eigentlich zu menschlich wirkt. Doch der unsichere, getriebene Hendrik, der nur in kleinen, zwischenmenschlichen Momenten zu sehen ist, ist von Mohr und Pampuch perfekt getroffen.
Allgemein sind die Schauspielleistungen des gerade mal fünfköpfigen Ensembles – plus Pianist Daniel Prandl, der nicht wegzudenken ist – ausnahmslos beeindruckend. Außer Pampuch wechseln alle Darsteller mehrfach die Rollen. Hier führt kein Weg daran vorbei, Johanna Withalm zu erwähnen, die in ihren drei Rollen ausnahmslos brilliert. Die Schauspielerin spielt drei Schauspielerinnen – und nicht nur sind sie alle klar voneinander differenzierbar, doch Withalm spielt sie auch mit einer Natürlichkeit, die die Theatralik aller drei Frauen nicht lächerlich wirken lässt, sondern individuell und menschlich. Ähnlich beeindruckend ist Marie Eberhardt, die es innerhalb weniger Sekunden schafft, sich von Höfgens Ehefrau Barbara in den jungen Nationalsozialisten Hans Miklas zu verwandeln – vor den Augen der Zuschauer wohlgemerkt.
Theater am Puls in Schwetzingen weiß auch Pausen zu nutzen
Ein Stück von über zwei Stunden Länge ist aus rein praktischen Gründen nicht ohne Pause umzusetzen. Und Joerg Steve Mohr hat es geschafft, diese Pause nicht nur effizient sondern effektiv zu nutzen. Die letzten Momente vor der Unterbrechung hinterlassen das Publikum mit einer bösen Vorahnung, die sich schon in den ersten folgenden Szenen wieder über den Zuschauerraum legt. Ohne zu viel von der Handlung verraten zu wollen, folgen nun die Momente, die die große Frage des Stücks stellen: Wann wird das Privileg, eine hörbare Stimme zu haben, zur Verpflichtung, sie auch zu gebrauchen?
War Höfgen von Beginn an kein sympathischer Mensch, wird er hier in vielen Szenen schlicht ein Ekel, wenn nicht gar ein Verbrecher, der sich der Diktatur zum Spielzeug macht. Spätestens ab hier ist die Aufmerksamkeit des Publikums kein Mitfiebern mehr mit ihm als Figur, sondern mehr eine Faszination mit menschlichen Abgründen: Verrat, Selbstbetrug, Heuchelei. Und so wenig die Hauptfigur verdrängen können sollte, was um sie herum geschieht – gemeint ist der Beginn des Nazi-Terrors – so wenig kann es nun auch das Publikum. Denn inzwischen tritt gar Hermann Göring tritt als Figur auf – imposant dargeboten von Max Rohland – und die Bühne ist mit Hakenkreuzbannern versehen.
Und allerspätestens dann trägt das simple, aber effektive Bühnenbild von Mohr und Teresa Ungan Früchte. Von nun an brennt sich ein beeindruckendes Bild nach dem anderen im Kopf der Zuschauer ein und die aufsteigende Karriere Höfgens wird zum faszinierenden und doch merklich unaufhaltbaren Verfall der Moral. Der wohl einzige Schwachpunkt der zweiten Hälfte ist eine Musikeinlage, die leider direkt auf eine der stärksten Szenen folgt, und den Zuschauer aus dem Geschehen reißt.
„Mephisto“ am Theater am Puls: Der Autor ist überzeugt
Doch das ist mehr als verschmerzbar. Denn was bleibt, ist ein Gefühl des Unwohlseins, doch eines mit unvorstellbarem, persönlichem Wert. Anfangs mag man Hendrik Höfgen unsympathisch finden, es gibt Zeiten im Stück, in denen man ihm wünscht, dass er scheitert und sei es nur deshalb, weil er niemanden gut behandelt außer sich selbst. Aber am Ende bleibt eine mehr als unangenehme und eben doch wertvolle Frage: Verurteilen wir Hendrik Höfgen, weil seine Taten und Entscheidungen moralisch nicht zu rechtfertigen sind oder weil wir nicht sicher wissen, ob wir selbst besser gehandelt hätten?
Till Weinheimer, Autor der Bühnenfassung, die Joerg Steve Mohr so bewegt hat, dass er das Stück selbst inszenieren wollte, ist nach Ende der Vorstellung in seinem Urteil sehr eindeutig. „Ich habe zugeschaut und war beseelt“, berichtet er. „Joerg hat den Geist von dem, was mir in dieser Fassung wichtig war, vollständig transportiert.“ Und das adelt das Stück letztlich mindestens genauso sehr wie der minutenlang andauernde Applaus des Premierenpublikums.
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