Schwetzingen. Eins steht fest: Der Fall um die inzwischen 84-jährige Frau, die Anfang 2021 in der Fußgängerzone durch einen herabfallenden Stahldraht verletzt wurde (wir berichteten mehrfach), ist noch nicht abgeschlossen. Das Verfahren gegen den Inhaber der Firma, die die Weihnachtsbeleuchtung abhängte, als es zu dem Vorfall kam, geht in Berufung, nachdem das Gericht ihn beim zweiten Verhandlungstag freigesprochen hatte. Das teilt Lydia Cinar, Anwältin der Geschädigten und Nebenklägerin, auf Anfrage mit. „Aus unserer Sicht haben sich der Angeklagte und die Stadt gegenseitig die Schuld zugeschoben“, so Cinar von der Kanzlei Zipper & Collegen. „Deshalb halten wir das Urteil für nicht richtig.“
Somit muss nun wohl das Landgericht den Sachverhalt neu verhandeln. Gegen die Stadt Schwetzingen, in deren Verantwortung die Stahldrähte und Aufhängungen liegen, möchten die Anwältin und ihre Mandantin nun zusätzlich noch zivilrechtlich vorgehen.
Auf einen Fragenkatalog, den diese Zeitung der Stadtverwaltung vergangene Woche zukommen ließ, könne die Stadt nicht im Detail antworten – „aus juristischen Gründen“ – so antwortete uns Andrea Baisch, die Pressesprecherin der Stadt. Welche juristischen Gründen das sind, führt die Verwaltung dabei nicht weiter aus. Mit dem bevorstehenden Zivilprozess kann es derzeit noch nichts zu tun haben, denn für den – so erklärt es Lydia Cinar – habe man noch nichts an die Stadt geschickt.
Gleichzeitig mit der Aussage, nicht auf die Fragen antworten zu können, gibt die Stadt dann aber eine Pressemitteilung zu dem Sachverhalt heraus, in der manche der Fragen dieser Zeitung durchaus beantwortet werden – andere jedoch eindeutig nicht.
Untersuchung erst nach Unfall
In der Mitteilung heißt es, das Bauamt der Stadt habe „unmittelbar nach dem Unfall ein Fachbüro für Prüf-, Mess- und Verfahrenstechnik“ beauftragt, „das die 34 Spannseile und Spanndrähte in der Schwetzinger Innenstadt intensiv geprüft und untersucht hat. Dabei beanstandeten die Gutachter fünf Verankerungshaken an den Fassaden der Gebäude, an denen Lockerungen festzustellen waren. Aufgrund des Prüfungsergebnisses wurden diese Halterungen und Spannseile umgehend einer Nutzung durch das Bauamt entzogen.“
In den kommenden Wochen, so das Bauamt, findet die Demontage beziehungsweise der Ersatz der Spannseile und Aufhängungen statt. Von da an soll auf Anraten des Gutachters alle fünf Jahre eine Mess- und Zuglastprüfung erfolgen.
Das beantwortet zwar die Frage dieser Redaktion, wann die Drähte und Halterungen zuletzt gewartet wurden und auch inwieweit in Zukunft Prüfungen erfolgen sollen – nicht jedoch, wann die letzte Wartung vor dem Unfall erfolgt war. Für die Beurteilung des vorliegenden Falles wäre das wichtig gewesen.
Passend dazu schweigt die Stadt in der recht umfassenden Pressemitteilung auch auffällig zu einem Aspekt, der bereits in der Verhandlung um die verletzte Frau aufgekommen war: Im September 2020, vier Monate vor dem Unfall, hatte die verantwortliche Firma eine Wartungs- und Prüfanfrage ans Bauamt der Stadt geschickt. Dieser Anfrage kam die Stadt nicht nach. Es wurde trotz Hinweises nicht geprüft.
Bauamtsleiter Joachim Aurisch sagte dazu beim ersten Verhandlungstermin nur aus, dass man eine solche Wartung nicht für nötig befunden hätte – nur um dann jedoch sofort nach dem Unfall eben doch eine umfangreiche Prüfung zu veranlassen. In ihrer Pressemitteilung betont die Stadt, dass „die bisherigen Firmen und auch die letztmalig beauftragte, bei der es zum besagten Unfall kam, keine Auffälligkeiten an den Aufhängungen festgestellt hatten“.
Entschuldigung direkt nach Vorfall
Unterdessen leidet die Geschädigte laut Angaben ihrer Anwältin immer noch schwer an den Folgen des Vorfalls. „Deshalb konnte meine Mandantin auch nicht bei Gericht aussagen“, blickt Lydia Cinar zurück. „Wir haben deshalb ein ärztliches Attest eingereicht. Der Arzt hat ihr bescheinigt, dass sie immer noch nicht in der Lage wäre, die Geschehnisse in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen.“ Entgegen des Vorwurfs am ersten Verhandlungstag, weder die Stadtverwaltung noch die ausführende Firma habe es für nötig gehalten, sich bei der Geschädigten zu entschuldigen, antwortet Andrea Baisch auf Nachfrage: „Die Stadt hat sich nach dem Vorfall bei der Geschädigten entschuldigt und zwar unmittelbar nach dem Unfall.“ Weiter heißt es dazu: „Bauamtsleiter Joachim Aurisch hatte sich direkt nach dem Vorfall zur Unfallstelle begeben und sich nach dem Zustand der verletzten Dame erkundigt. Da diese sich im Rettungswagen in ärztlicher Behandlung befand, erkundigte sich Joachim Aurisch beim Sohn nach dem Gesundheitszustand seiner Mutter und entschuldigte sich natürlich im Namen der Stadt für diesen bedauerlichen Vorfall. Die Stadt habe natürlich angenommen, dass der Sohn dieses Gespräch und die Worte an die Mutter weitergeben würde: „Ob das erfolgt ist, entzieht sich leider unserer Kenntnis.“ Der angeklagte Geschäftsinhaber hatte sich laut Anwältin nach dem ersten Verhandlungstermin entschuldigt.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-nach-unfall-schwetzingen-prueft-haken-der-weihnachtsbeleuchtung-_arid,1948777.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen.html