Holocaust

Nichts ist selbstverständlich: Schwetzingen gedenkt Opfern

Am 27. Januar wird den Opfern des Holocaust gedacht. In Schwetzingen erinnerte Oberbürgermeister Dr. René Pöltl daran, dass die Demokratie Pflege braucht. Schüler des Privatgymnasiums bestärkten dies mit bewegenden Schilderungen.

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Stefan Kern
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Die Schüler Ylenia Wolf und Florian Hahn zünden Kerzen an, um an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern. © Dorothea Lenhardt

Schwetzingen. Nicht wenigen Anwesenden bei der Gedenkstunde für die Schwetzinger Opfer des Nationalsozialismus sitzt der Schrecken über das Treffen rechter Kräfte in Potsdam, im Landhaus Adlon am Lehnitzsee, noch in den Knochen. 79 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft scheinen rechtsradikale Kräfte in Deutschland zunehmend Morgenluft zu schnuppern. Und so eint am Samstag an der zentralen Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus alle ein Gedanke: Das Erinnern ist wichtiger denn je.

Die Geschichte, so Oberbürgermeister Dr. René Pöltl in seiner Rede, mahne uns alle zur Verantwortung. Eine Verantwortung, das Vergangene nicht zu vergessen und scheinbar Selbstverständliches nicht als tatsächlich selbstverständlich zu nehmen.

Oberbürgermeister in Schwetzingen: Mehr als ein Warnzeichen

Demokratie, so der Oberbürgermeister von Schwetzingen weiter, sei eine verletzliche Pflanze. Die Deutschen müssten das vor dem Hintergrund ihrer Weimarer-Erfahrung eigentlich wissen. Eine Entdemokratisierung sei immer eine reale Gefahr und genau dagegen gelte es, aufzustehen. Es sei mehr als nur ein Warnzeichen, wenn sich willkürliche Diskriminierung, Rassismus, Menschenverachtung und Vertreibungsfantasien in einer Demokratie wieder offen zeigten.

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Sehr eindrücklich untermauerten anschließend neun Schüler der neunten bis zwölften Klasse des Privatgymnasiums aus Schwetzingen die Worte des Oberbürgermeisters. Auch für sie ist der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar, dem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau im Jahr 1945, ein Tag der Mahnung. Eine Mahnung nicht zur Schuld, sondern zur Verantwortung. Die Geschichte als eine Art Kompass, um die schlimmsten Abgründe umgehen zu können. Und für diesen Kompass braucht es Wissen.

Die Vernichtung der Juden fiel nicht vom Himmel. Sie kündigte sich langsam an und die Mehrheit ließ es geschehen. Die Geschichte ab 1933, so die Schüler, könne man als einen stetigen Prozess der Entrechtung und Demütigung betrachten. Von Beschimpfungen und Boykottaufrufen über verschiedene Gesetzgebungen, wie die Nürnberger Rassengesetze und das Blutschutzgesetz (1935) bis zur Reichspogromnacht (1938) und dem schlussendlichen Vertreiben und Ermorden wurden jüdische Bürger in Deutschland immer härter angegangen und die große Mehrheit der Deutschen habe das alles geschehen lassen.

Oberbürgermeister Dr. René Pöltl und Gemeindearchivar Joachim Kresin stellen einen Kranz am Denkmal auf. © Dorothea Lenhardt

Das Schicksal zweier Frauen aus Schwetzingen

Beispielhaft griffen die Schüler das Schicksal von Fanny und Henriette Lorch auf. Mutter und Tochter wohnten am Schlossplatz mit der Hausnummer 3, wo sich heute das Kaffeehaus befindet, und erlebten den Schrecken in all seiner Monstrosität. Um 6 Uhr morgens drangen Männer in das Haus ein, zerschlugen das Mobiliar, warfen es auf den Schlossplatz und zündeten alles an. Die beiden Frauen des Hauses, Fanny Lorch und ihre Tochter Henriette, waren zu Tode verängstigt. Von der Stadt wurden sie dann gezwungen, ihr Haus zu verkaufen. Später wurde hier die Geschäftsstelle der NSDAP eingerichtet. Fanny Lorch starb 1939 an den Folgen dieser Tat in Mannheim und ihre Tochter Henriette wurde 1942 in Auschwitz ermordet.

Auschwitz, daran ließen die Schüler keinen Zweifel, stehe nach wie vor für den totalen Zivilisationsbruch, unermessliches Leid und mehr als eine Million Ermordete. Für sie ist Auschwitz und die NS-Ideologie ein großer Aufruf, Verantwortung zu übernehmen - „und zwar jetzt“. Verantwortung für die Demokratie und die anständige Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt oder gar demütigt.

Es waren Worte von jungen Menschen, die viele der Anwesenden, darunter viele ältere Mitbürger, sichtlich freute. Als ein mächtiger Ausrichtungsort scheint Auschwitz für den gesellschaftlichen Kompass immer noch wirkmächtig zu sein. Und so lange das so ist, so lange besteht Hoffnung für die Demokratie und den Status anständig.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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