Schwetzingen. Es war ein furchterregendes antisemitisches Triptychon, das Pfarrer Steffen Groß am Donnerstagabend zur Gedenkstunde für 85 Jahre Reichspogromnacht in der evangelischen Stadtkirche entwarf. Vor genau 100 Jahren, am 9. November 1923, streckten die Nationalsozialisten mit Adolf Hitler und Erich Ludendorff mit dem sogenannten Hitler-Ludendorff-Putsch erstmals ihre Hände nach der Macht aus.
Zehn Jahre später gelang es ihnen dann auch. Vor genau 85 Jahren entfesselten die Nationalsozialisten mit der Reichspogromnacht am 9. November 1938, die Unmenschlichkeit und Brutalität in Deutschland vor allen Augen.
Die aktuelle Bedrohung des Antisemitismus: Der Hamas-Terroranschlag
Und vor genau einem Monat und zwei Tagen zeigte sich diese Unmenschlichkeit und Brutalität gegenüber Juden mit dem menschenverachtenden Terroranschlag der Hamas am 7. November 2023 erneut. Und nun müssen wir erkennen, so sagt es Groß: „Der Antisemitismus ist immer noch da. Der Antisemitismus war nie tot“. Und das, so Groß sehr deutlich, habe beileibe nicht nur mit Migranten aus muslimischen Ländern zu tun. „Den Antisemitismus gab und gibt es immer auch mitten unter uns.“Weswegen dieses Gedenken notwendiger denn je sei. Denn auf der Erinnerung läge Segen.
Zugleich bedeute das Erinnern nicht, dass Leid der verzweifelten Menschen in Gaza auszublenden. Im Gegenteil, natürlich könne man die israelische Politik kritisieren. Die Besatzung des Westjordanlands und den Siedlungsbau. Oder die Frage aufwerfen, ob die Zivilbevölkerung in Gaza nicht mehr geschützt werden müsse.
Antisemitismus ist überall: Eine Mahnung zur Wachsamkeit
Aber der Schluss zum Antisemitismus sei unentschuldbar und falsch, immer – eindringliche Worte, die von den rund 100 Zuhörern sichtlich geteilt wurden. Wohl alle wollten ihre Anwesenheit hier als Zeichen gegen den Antisemitismus verstanden wissen. Ein Zeichen gegen den Abgrund. Denn wer die Menschenrechte der Palästinenser hochhält, die der Israelis aber nicht erwähnt, der interessiert sich in Wahrheit gar nicht für das Recht und Leben der Menschen.
Und genau das führt die Reichspogromnacht vor Augen. Sechs Schüler des Hebel-Gymnasiums – Emma Sturm, Selina Beckelmann, Hannah Bürger, Emily Zweig und Gregor Fellenberg sowie Sebastian Conrad – skizzierten die drei Stationen jüdischen Glaubens in Schwetzingen.
Die jüdische Geschichte in Schwetzingen und die Zerstörung während der Reichspogromnacht
Das erste Gebetshaus fand sich in der Synagogenstraße, heute Invalidengasse. Von 1864 bis 1897 versammelte sich hier die jüdische Gemeinde. Damals bestand sie aus 119 Mitgliedern. Geld für den Bau einer Synagoge bekam die Gemeinde nicht zusammen. Aus Platznot fragte die jüdische Gemeinde nach einem größeren Raum. Sie bekam 1901 einen Betsaal im rechten Zirkelsaal als Zwischenlösung, bis der Bau einer eigenen Synagoge gelänge.
1914, zu Beginn des Ersten Weltkrieges, wurde der Raum zu einem Lazarett umfunktioniert und die jüdische Gemeinde wich in die Zigarrenfabrik am Bismarckplatz aus. 1933 musste die jüdische Gemeinde dann einmal mehr ausweichen und fand im Haus Heidelberger Straße 12 Unterschlupf.
Bis zur Nacht des 9. Novembers 1938. In dieser Nacht stürmten 15 Männer jüdische Wohnungen in Schwetzingen, plünderten, demütigten und zerstörten alles jüdische Leben – mit als erstes den Gebetsraum in der Heidelberger Straße. Die Möbel und die Thorarollen brannten auf der Kreuzung Heidelberger Straße und Mühlenstraße. Einzig eine Thora überlebte das Brandschatzen. Vor zwei Jahren wurde sie dem jüdischen Kulturzentrum in Heidelberg feierlich übergeben.
Die Bedeutung der Musik und das Gedenken an die Mahnmale
Es war still in der Kirche. Nur die wunderbare Musik von Semjon Kalinowsky (Viola) und Konrad Kata (Orgel) nahm die Menschen hier in Arm und spendete Trost. Die beiden Musiker aus Lübeck, so Groß, ehrten die jüdische Kultur mit ihrer Musik über alle Maßen. Anschließend ging es zu den beiden Mahnmalen in der Zeyherstraße. In Vertretung von Oberbürgermeister Dr. René Pöltl erklärte Stadträtin Elfriede Fackel-Kretz-Keller, dass es nicht sein dürfe, dass sich das antisemitische Grauen in Deutschland wieder breit mache. Nie wieder sei viele tausend Mal gesagt worden.
„Es gilt, wir müssen es immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde.“ Mit dem Anzünden von Kerzen und einer Litanei rund um „Wir vergessen euch nicht“ endete das Gedenken an den beiden Mahnmalen. Das hier, so Groß zum Schluss, mache Hoffnung, „Hoffnung darauf, dass wir wach und in Verantwortung für die Würde jedes einzelnen Menschen bleiben.“
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