Schwetzingen. Gleich mehrere literarisch-musikalische Begabungen traten in der Stadtbibliothek zutage: Barbara Hennl-Goll als Moderatorin, Rezitatorin und fundierte Literaturkennerin, Martina Netzer als Sängerin, Entertainerin und anregende Geschichtenerzählerin. „Pop und Poesie“ lautete der Titel ihres Beitrags für die Schwetzinger „Nacht der Kunst und Kultur“, ein leuchtendes Beispiel für inspirierte Programmgestaltung. Sie haben gezeigt, dass man auch mit komplexen Sachverhalten ein breites Publikum ansprechen kann – die Veranstaltung war ausverkauft!
Der Abend startete mit dem 1990er-Jahre-Welthit „Still got the Blues“, das den nordirischen Hardrocker und Gitarristen Gary Moore berühmt machte. Martina Netzer interpretierte ihn mit viel Gespür für den Blues, von dem hier oft die Rede war. Deshalb ging Barbara Henn-Goll kurz auf die Geschichte dieser Musikform ein. Der Begriff fuße auf dem Englischen „blue“, das „traurig“ bedeute. Somit war der „Blues“ ein Klagegesang. Erfunden wurde er von den schwarzen Amerikanern, die bis in die 1860er Jahre als Sklaven arbeiten mussten. Nach dem Bürgerkrieg 1865 schaffte Abraham Lincoln die Sklaverei zwar ab, doch die schwarze Bevölkerung wurde weiter diskriminiert.
Durch erste Notenaufzeichnungen trug der schwarze Musiker und Komponist W. C. Handy um 1910 wesentlich dazu bei, den Blues populär zu machen. Und warum kommt es im November zum Stimmungstief? Durch die dunkle Jahreszeit vermehrt sich im Körper die Produktion des Schlafhormons Melatonin, erklärte Hennl-Goll. Gegen den Novemberblues kommt man aber durch gute Musik und gute Literatur an, sagt sie, und ließ die Zuhörer teilhaben an Gedichten und Prosawerken. Martina Netzer bot zudem die ganze stilistische Bandbreite von Popsongs. Mitreißend rezitierte Hennl-Goll das Gedicht „November“ von Erich Kästner und es passte zum Song der drei befreundeten Singer-Songwriter Milow, Matt Simons und Chris Ayer „Lay your worry down“ („Leg deinen Kummer ab“), ein Song, der in Netzers Interpretation zwar melancholisch, aber auch tröstlich klang.
Liebeskummer ist oft die Ursache
Traurigkeit hat oft auch mit Liebeskummer zu tun. Mit dem poetischen Märchen „Königskinder“ (Hanser 2018) hat der Autor Alex Capus Liebenden ein Denkmal in Buchform gesetzt. Zugrunde liegt dem Roman das alte Chanson „Jakob“, eine anrührende Liebesgeschichte, die von der lebenslänglichen Zuneigung zwischen dem Kuhhirten Jakob und der reichen Bauerntochter Marie-Françoise handelt. Der farbig-kernige Klang des von Hennl-Goll gelesenen Textes trat in reizvollen Kontrast zu Martina Netzers Gesang ohne instrumentale Begleitung. So gewann sie viel Raum für ihre expressive Stimme.
Als „brillantes Epos, das die Sicht der Amerikaner auf Amerika für immer verändert“ (Washington Post) stellte Hennl-Goll den Roman „Die Liebeslieder von W. E. B. Du Bois“ (Piper 2022) von Honorée Fanonne Jeffers vor. Man erfährt nicht nur viel über die junge Ailey Pearl Garfield, sondern auch über 400 Jahre amerikanische Geschichte. „Es gibt aber auch eine andere Art, traurig zu sein, zum Beispiel, wenn ein Kind flügge wird“, führte Hennl-Goll zum nächsten Song „Je Vole“ über, in dem einst Michel Sardou die Geschichte einer jungen Person besang, die ihre Eltern zurücklässt und sich auf Reisen begibt.
Eine Coming-of-Age-Geschichte erzählt Benedict Wells in „Harald Land“ (Diogenes 2021), ein Buch, „das Sie unbedingt lesen müssen. Ich konnte nicht aufhören“, machte Hennl-Goll Lust, es ebenfalls zur Hand zu nehmen. Und zu dem wunderbaren Liebeslied „Make you feel my love“ von Adele (Text: Bob Dylan) eignete sich bestens der Roman „Treffen sich zwei“ von Iris Hanika (dtb 2010), dessen Thema die Liebe auf den ersten Blick zwischen einem IT-Spezialisten und einer feinsinnigen Geisteswissenschaftlerin ist, die sich in einer Bar in Kreuzberg kennenlernen.
Oder auch der Roman „Unsere Seelen bei Nacht“ (Diogenes 2020) von Kent Heruf über eine späte Liebe in der fiktiven Kleinstadt Holt. Beredtes Zeugnis für Netzers musikalische Qualitäten legten dann auch Songs wie „Autumn leaves“ oder „Have i told you lately“ ab, deren Inhalt Hennl-Goll auf Deutsch übersetzte. Bei der Zugabe „Gute Nacht, Freunde“ animierten die zwei auf der Bühne das Publikum, mit einzustimmen. Für diese zweistündige intelligente Unterhaltung gab es zum Schluss jubelnden Beifall.
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