Musik im Park (mit Fotostrecke)

Porcupine Tree zeigen sich in Schwetzingen souverän und humorvoll

Stilistisch waren sie vermutlich der größte Ausreißer der diesjährigen Ausgabe von Musik im Park. Trotzdem finden am Samstagabend mehr als 3000 Menschen den Weg in den Schlossgarten.

Von 
Lukas Heylmann
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Die Videoinstallationen sollen zum Gesamterlebnis beitragen. © Dorothea Lenhardt

Schwetzingen. Es ist wenige Minuten vor acht Uhr abends im Schlossgarten – und plötzlich brandet vor der Bühne von Musik im Park Jubel auf. Tatsächlich braucht man einen Moment, um zu registrieren, was überhaupt passiert ist: Die Leinwände neben und auf der Bühne, die zuvor noch den Hinweis auf ein allgemeines Foto- und Videoverbot zeigten, sind nun farbig und ein durchdringender, anhaltender Ton bahnt sich seinen Weg aus den Boxen – beides Zeichen dafür, dass es gleich loszugehen scheint mit dem letzten Konzert, das die britische Progressive-Rockband Porcupine Tree auf ihrer Tour zum Wiedervereinigungsalbum „Closure/Continuation“ spielen wird.

Und ungefähr um 20 Uhr ist es tatsächlich so weit. Die Band betritt unter großem Applaus die Bühne, macht sich bereit und Sänger und Gitarrist Steven Wilson leitet „Blackest Eyes“ ein, den ersten Song des bei Fans immens beliebten Albums „In Absentia“. Passend dazu wird über die Leinwand hinter den Musikern eine Videoinstallation gezeigt, die an das Cover des betreffenden Albums erinnert.

In seinen Ansagen beweist der Sänger und Gitarrist Humor. © Dorothea Lenhardt

Auffälliger ist aber fast etwas, das fehlt: nämlich ein Bassist. Colin Edwin, der bis zur zwischenzeitlichen Bandpause diese Rolle füllte, war 2022 nicht Teil der Besetzung als sich Porcupine Tree wiedervereinigten. Seitdem ist live Nate Navarro für den Bass zuständig, dieser musste allerdings aus familiären Gründen die Tour kurzfristig verlassen. Ein nachvollziehbarer Beweggrund, dem Klang ist seine Abwesenheit jedoch tatsächlich etwas abträglich. Zwar sind die Basslinien – vom Band sozusagen – zu hören, aber ein bisschen Livecharakter geht dennoch verloren.

Soundprobleme schnell behoben

Der Sound ist von Anfang an druckvoll, beim ersten Stück jedoch noch etwas undifferenziert. Insbesondere die Bassdrum von Schlagzeuger Gavin Harrison ist zunächst deutlich zu laut, was bei dem eher härteren „Blackest Eyes“ tatsächlich für ein bisschen Klangmatsch sorgt. Allerdings ist das mehr als verschmerzbar, schon ab dem zweiten Lied – „Harridan“ vom jüngsten Album – ist der Sound absolut hervorragend. Höhepunkt der ersten Stunde des Auftritts ist vermutlich „The Sound of Muzak“, der auch zwei Jahrzehnte nach Erscheinen kompositorisch beeindruckend bleibt. Einen so eingängigen Refrain – laut Steven Wilson einer der wenigen der Band, den man einfach mitsingen könne – auf ein so komplexes Grundgerüst zu stellen, schafft nicht jede Band.

Wilson, der für gewöhnlich eher reserviert und zurückhaltend wirkt, scheint bester Dinge zu sein, was sich nicht nur an seinem erstaunlich agilen Bühnenauftreten, sondern auch vor allem in seinen Ansagen zeigt. Die glänzen mit typisch britischem Humor. So berichtet der Sänger mehrfach von einem Konzert vor über 20 Jahren, das Porcupine Tree vor 30 Besuchern in einem Keller in München spielten – kein Vergleich zu den mehr als 3000 Menschen, die sich am Samstagabend im Schlossgarten einfinden. Vor der 20-minütigen Pause in der Konzertmitte erklärt Wilson, dass die Band diese einlege, damit sich das Publikum noch in Ruhe etwas weiter beregnen lassen könne.

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Ironischerweise behält er Recht. Verläuft die erste Hälfte des Konzerts weitestgehend trocken – abgesehen von wenigen Tropfen am Anfang – setzt der Regen tatsächlich pünktlich zur Pause ein und lässt auch erst mal nicht mehr nach. Der tatsächliche Grund für die Pause wird nicht weiter erläutert, aber sie tut der Stimmung keinen Abbruch. Die großen Unterschiede zwischen den beiden Konzerthälften sind wohl die Dunkelheit und die Anzahl getragener Regencapes im Publikum.

18-minütiges Stück im Programm

Zentrales Stück des zweiten Programmteils ist zweifelsohne das fast 18-minütge „Anesthetize“ vom Album „Fear of a Blank Planet“. Die Publikumsreaktionen vor allem im „Front of Stage“-Bereich sind bei diesem Stück immens und trotz seiner Komplexität schafft es die Band, es fesselnd rüberzubringen. Großer Pluspunkt der Band ist und bleibt Schlagzeuger Gavin Harrison, der fast schon stoisch wirkt, während er vertrackte Rhythmen und wahrlich nicht alltägliche Figuren hinter seinem Set abliefert.

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Abseits der eben erwähnten lauteren und besonders progressiven Momente wartet die zweite Konzerthälfte auch mit zwei emotionalen Höhepunkten auf. Da wäre zunächst das melancholische „I Drive the Hearse“, von Steven Wilson einfühlsam im Sitzen und mit Akustikgitarre dargeboten. Noch tiefer trifft einen allerdings die nach wie vor beeindruckende Ballade „Collapse the Light into Earth“, für die nur Wilson und Keyboarder Richard Barbieri auf der Bühne bleiben. Die Version ist emotional mitreißend und bewegend – maximal ließe sich die Platzierung in der Setlist kritisieren. Denn direkt danach folgt das härtere „Halo“ ohne große Pause zwischen den sehr unterschiedlichen Stücken, was die fast einzigartige Stimmung, die Porcupine Tree mit der Ballade geschaffen haben, etwas zu schnell wieder einreißt.

Ende naht in Schwetzingen nach zwei Stunden

Wenig später ist nach gut zwei Stunden (zuzüglich der Pause) das Ende nah – für die Besucher das des Konzerts, für die Band auch das ihrer Tour. „Wir beenden das Konzert mit dem, was bei uns einer Hitsingle am nächsten kommt“, erklärt Wilson dem Publikum – und witzelt anschließend, dass das „Sweet Home Alabama“ sei. Stattdessen folgt freilich der wohl bekannteste Porcupine-Tree-Song „Trains“, von vielen Menschen euphorisch gefeiert und mitgesungen, in einer starken Version. Am Ende bleibt ein musikalisch hochklassiges Konzert einer gut aufgelegten Band, das allerdings abseits der ganz großen Momente die eine oder andere Länge hat. Den Fans scheint das jedoch egal zu sein und beim Verlassen des Areals blickt man weitestgehend in zufriedene und glückselige Gesichter.

Die Setlist von Porcupine Tree

  • Blackest Eyes
  • Harridan
  • Of the New Day
  • Mellotron Scratch
  • Open Car
  • Dignity
  • The Sound of Muzak
  • Last Chance to Evacuate Planet Earth Before It Is Recycled
  • Chimera's Wreck

Pause

  • Herd Culling
  • Anesthetize
  • I Drive the Hearse
  • Sleep Together

Zugaben:

  • Collapse the Light into Earth
  • Halo
  • Trains

Ob es geplant war, sei dahingestellt, aber es war ein kluger Schachzug seitens Provinztour, Porcupine Tree am Samstag spielen zu lassen. Vielen langjährigen Besuchern von Musik im Park war die Band gänzlich unbekannt – dennoch sind letztlich über 3000 Menschen in den Schlossgarten gekommen. Die Vermutung liegt nahe, dass durch den Wochentag und die eingeschweißte Fangemeinschaft von Porcupine  Tree das Einzugsgebiet etwas größer war als das womöglich sonst bei Konzerten in Schwetzingen der Fall ist. Jedenfalls vernimmt man auch an den Ständen hier und da andere Sprachen als Deutsch und schon vor dem Konzert ist am Bahnhof mehrfach die Frage zu hören, wo sich denn eigentlich dieser Schlossgarten befinde.

Dem Konzert einen etwas fahlen Beigeschmack verleiht jedoch der explizite Wunsch der Band, auf Foto- und Videoaufnahmen zu verzichten. Sicherlich gibt es als Fan Schöneres als nur auf das Handy des Vordermanns zu schauen, aber wieso Porcupine Tree letztlich so rigoros vorgehen lassen – Mitarbeiter der Security sprechen während des Auftritts immer wieder Menschen an, die fotografieren oder filmen – ist unklar. Bei einer beinahe schon perfektionistischen Show wie der ihren, müssen sich die Musiker eigentlich nicht davor fürchten, in wackligen Internetvideos schlecht wegzukommen.

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