Gesundheit

Region Schwetzingen: Versorgung mit Medikamenten ist nicht mehr sicher

Der Schwetzinger Kinderarzt Dr. Ranny Goldwasser und die Brühler Apothekerin Katharina Weidner sprechen über ein ernstes Problem.

Von 
Stefan Kern
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Diverse Medikamentenpackungen liegen auf einem Tisch in einer Apotheke. Knappheiten bei Arzneien könnten uns in Zukunft in Deutschland begleiten. © dpa

Schwetzingen/Brühl. Wenn man mit Menschen im System spricht, ist schnell von einer katastrophalen Lage die Rede. Das Bild von einer Lawine in Zeitlupe eignet sich dabei ziemlich gut, um die Situation zu beschreiben. Sie ist riesig, sie ist tödlich und sie ist unvermeidlich, nur hat es im Tal noch niemand so richtig mitbekommen. Die Diskrepanz zwischen den Leuten im Tal und denen, die die Lawine kommen sehen, könnte größer kaum sein. Die Spanne reicht von rein gar nichts mitgekriegt bis zu Schätzungen der erwarteten Toten. Die Rede ist von der Medikamentenversorgung im Allgemeinen und der Versorgung mit Antibiotika im Speziellen.

Katharina Weidner, Perkeo-Apotheke. © perkeo-apotheke.com

Dabei gehören der Schwetzinger Kinderkardiologe und Intensivmediziner Dr. Ranny Goldwasser und Katharina Weidner, Inhaberin der Perkeo-Apotheke in Brühl, in die Kategorie zwei. Beide betonen im Gespräch mit dieser Zeitung die katastrophale Lage auf dem Medikamentenmarkt. Vom einfachem Fiebersaft über verschiedene Antibiotika bis zu Medikamenten wie dem Brustkrebsmittel Tamoxifen herrsche mittlerweile massiver Mangel.

Die zunehmend schlechter werdende Versorgungssituation, so Goldwasser und Weidner, lässt eine stets sicher Behandlung von Kindern nicht mehr zu. Mehr als einmal musste er in jüngster Zeit Eltern mit Kindern, die hohes Fieber hatten, nach Hause schicken, ohne ihnen helfen zu können. In einigen Fällen bedeutete das am Ende Kinderklinik.

Dr. Ranny Goldwasser. © www.kinderpraxis-go.de

Natürlich betrifft die angespannte Situation nicht nur Kinder. Weidner sagt, dass sie aktuell annähernd jedem zweiten Kunden mit Rezept nicht das verschriebene Medikament geben könne. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von politischer Fehlsteuerung bis zu ungesunden Abhängigkeiten. Über 70 Prozent aller weltweiten Pharmawirkstoffe, weiß man beim „International Federation of Pharmaceutical Manufacturers & Associations“ (IFPMA), kommen aus China und Indien. Die Sache mit dem in China umfallenden Sack Reis, für den sich hier niemand interessieren müsse, hat sich erledigt. Um in Bild zu bleiben: Der umfallende Sack Reis bedeutet hier, dass Menschen nicht mehr angemessen behandelt werden können und im schlimmsten Fall sterben.

Erschreckende Zahlen in Sachen Medikamente

Dass es zu Engpässen kommt, ist kein ganz neues Phänomen. Natürlich, so Weidner, habe es immer mal wieder Lieferschwierigkeiten gegeben. Doch die Lage wird immer schlimmer und die Löcher in den Apothekenregalen immer größer. „In über 20 Jahren Apothekerdasein habe ich noch nie solch einen Mangel erlebt.“ Erstmals richtig bekannt wurde das Ganze im Zuge der Engpässe von Fiebersäften. Wobei das Problem hier hausgemacht ist. Denn die Lieferprobleme für Fiebersäfte beschränkte sich auf Deutschland. Im europäischen Ausland habe es, so Weidner, keine Engpässe gegeben. Goldwasser hat sich deswegen nach Österreich aufgemacht und Fiebersaft gekauft, um wenigstens in extremen Notfällen helfen zu können. Und Weidner gelang es im vergangenen Jahr, Fiebersaft aus der Ukraine zu bekommen, „aus einem Land im Krieg“. Der Grund für das deutsche Fiebersaftproblem ist dabei ganz einfach: Deutschland zahlt am wenigsten für Fiebersaft. In der Folge beliefern die Hersteller erst alle anderen Länder.

Weit dramatischer sieht es dagegen bei den Antibiotika aus. Hier kann der Kinderarzt in Teilen nicht mehr alles tun, was medizinisch angezeigt ist. Pro Tag kommen rund 100 Kinder mit einem Infekt in seine Praxis. 20 bis 25 davon benötigen eine Behandlung mit Antibiotika wie Penicillin. Doch seit einigen Monaten bekommt er diese immer schwerer. Und so muss er, um Langzeitschäden an Herz oder Niere zu verhindern, auf andere, breiter aufgestellte, Antibiotika auszuweichen. Was dann wiederum das Problem der Antibiotika-Resistenzen vergrößern kann.

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2019 starben an dieser antimikrobiellen Resistenz (AMR) weltweit 1,3 Millionen Menschen. In der EU zählen die Statistiker über 35 000 Tote pro Jahr. Laut der UN-Gesundheitsorganisation WHO ist das erst der Anfang. Bis 2050 befürchtet die WHO einen Anstieg dieser Zahl auf bis zu zehn Millionen. Betroffen sind davon vor allem die Länder Afrikas und Asiens mit rund neun Millionen Opfer. Für die EU rechnet die WHO mit 390 000 Toten, das wäre mehr als eine Verzehnfachung. Annähernd unbeachtet von der Öffentlichkeit spricht die WHO in Bezug auf AMR denn auch von einer globale Gefahr.

Medikamentenversorgung: Politik ist gefordert

Nun ist es nicht so, dass die Welt dem wehrlos gegenüberstände. In der Wissenschaft ist unstrittig, dass neue Antibiotika möglich wären. Es lohnt sich nur nicht. Ältere Produkte stehen unter einem extrem starken Preisdruck, sodass sich die Produktion hier kaum noch lohne. In Europa gibt es nur noch im österreichischen Kundl ein Werk. Rund 90 Prozent aller Wirkstoffe für Antibiotika kommen aus China, wo die Produktion auf Kosten von Menschen und Natur deutlich billiger ist. Und neue Antibiotika, die vor allem für Infektionen genutzt würden, auf die bestehende Antibiotika nicht mehr ansprechen, stehen vor dem Problem des geringen Volumens. Die teure Entwicklung steht einem eher kleinen Markt gegenüber, der die Rentabilität ins Minus drückt.

In der Pflicht sieht die WHO, genau wie Goldwasser und Weidner, die Staaten. Es brauche Rahmendaten, die die Antibiotikaforschung wieder in Gang bringen. Doch bis dato scheint der Problemdruck in der Politik noch nicht angekommen zu sein. Weidners Urteil über deren Entscheider fällt daher bis dato vernichtend aus. „Wir werden hier im Stich gelassen.“ Und das, so Goldwasser, wird sich rächen. „Ich sehe mit großer Sorge in die Zukunft.“

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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