Interview

Rhein-Neckar-Kreis: Landrat Stefan Dallinger hadert mit hohen Geldleistungen an Ukrainer

Deutschland debattiert über Flüchtlinge. Im Rhein-Neckar-Kreis kommt man bei der Aufnahme an Kapazitätsgrenzen. Arbeiten gehen nur die wenigsten der Flüchtlinge. Wir haben den Verwaltungschef mit den Zahlen konfrontiert

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Stephan Alfter
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Bettenburg Kreissporthalle: Hier in Schwetzingen kamen 200 Menschen im März 2022 unter. Ganz ausschließen will Landrat Stefan Dallinger nicht, dass sowas im Kreis nochmal notwendig wird. © Stephan Alfter

Heidelberg. Herr Dallinger, haben Sie noch ein offenes Ohr für die Fluchtgeschichten der Menschen, die bei uns ankommen oder sehen Sie nur noch die Verwaltungsprozesse, die mit der Ankunft einhergehen?

Stefan Dallinger: Ich war im Frühsommer das letzte Mal in einer Flüchtlingsunterkunft. Die Geschichten berühren mich schon - etwa, wenn eine Frau mir erzählt, dass sie ihren Mann kämpfend zurückgelassen hat, um mit ihren zwei Kindern zu fliehen.

Auf der einen Seite sind es diese Geschichten, die uns berühren. Auf der anderen wird die Debatte über unsere Aufnahmefähigkeit hierzulande immer größer. Viele Städte und Landkreise haben keine Unterkünfte mehr, und in der Bevölkerung macht sich Unmut über die Leistungen für Asylbewerber breit. Wie beurteilen Sie die Lage im Rhein-Neckar-Kreis?

Dallinger: Der Rhein-Neckar-Kreis findet noch Unterkünfte. Wir haben noch Kapazitäten bis Ende des Jahres. Ansonsten muss ich schon sagen, dass vor allen Dingen die Städte und Gemeinden, die Bürgerinnen und Bürger und besonders die Ehrenamtlichen dafür gesorgt haben, dass seit 2015 etwa 17 000 Menschen im Rhein-Neckar-Kreis relativ geräuschlos eine neue Heimat gefunden haben. Das ist eine immense Integrationsleistung, aber wir merken im Einzelfall schon, dass wir an Grenzen kommen und an mancher Stelle auch schon darüber hinaus sind. Ein Stichwort ist die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern. Der Rhein-Neckar-Kreis musste beispielsweise in Schriesheim eine Übergangsnotlösung beziehen, die nicht den Standards der normalen Unterkünfte entspricht. Darin sieht man: Wir sind drüber. Wir müssen den Zuzug begrenzen.

Sie sagen, dass Sie noch Kapazitäten bis Ende des Jahres haben. Was passiert denn dann?

Dallinger: Wir haben aktuell vom Regierungspräsidium aus Karlsruhe die neuen Zahlen erhalten. Die Zugänge steigen weiter. Es sind derzeit rund 5 000 Menschen, die monatlich nach Baden-Württemberg kommen. Die Devise ist, dass wir suchen und mieten, um Menschen unterbringen zu können.

Stefan Dallinger, seit 2010 Landrat des Rhein-Neckar-Kreises, sieht CDU Fraktionschef Friedrich Merz kritisch – und die Ampelregierung auch. © M. Ruffler

Müssen Sie bald wieder auf Turnhallen zurückgreifen?

Dallinger: Das ist bei uns im Rhein-Neckar-Kreis nicht zwangsläufig absehbar. Man muss aber sehen, wie sich die Lage hier bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen entwickelt.

„Wir schaffen das“, hat die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 gesagt. Wie stehen Sie heute zu der Aussage?

Dallinger: Die Aufnahme von 17 000 Menschen zeigt, dass wir es bis dato geschafft haben, aber ich merke, dass die Zustimmung in der Bevölkerung schwindet. Es ist der Zeitpunkt gekommen, um zu erklären, dass es so nicht weitergehen kann. Jetzt hat man wohl auch bei der Regierung in Berlin erkannt, dass wir eine andere Asylpolitik brauchen und die Leistungen zu hinterfragen sind. Dass es darum geht, Menschen in Arbeit zu bringen und auch Arbeitspflichten auszusprechen. Man muss darüber reden, dass keine Geldleistungen mehr bezahlt werden, sondern wir über andere Systeme helfen. All diese Punkte haben Landräte und Landrätinnen seit geraumer Zeit gefordert.

Was nach meinem Dafürhalten ein großer Fehler war, ist die Tatsache, dass die Menschen aus der Ukraine im Gegensatz zu den übrigen Flüchtlingen Bürgergeld bekommen.
Stefan Dallinger Landrat

Die Wahlergebnisse für Rechtspopulisten steigen. Oft spielt auch die Angst vor der Entstehung von Parallelgesellschaften eine Rolle. Nehmen Sie das im Rhein-Neckar-Kreis wahr?

Dallinger: Nein.

Populistisch war auch die Aussage ihres Parteikollegen Friedrich Merz, der kürzlich pauschal gesagt hat, dass „die Flüchtlinge sich beim Zahnarzt die Zähne machen lassen und die Deutschen keine Termine kriegen“. Ist das eine kluge Analyse?

Dallinger: Ich hätte sie nicht getroffen, weil ich sie auch nicht bestätigen kann. Man müsste die Zahnärzte und Zahnärztinnen fragen. Letzte Woche war mir ein Zahn abgebrochen, und ich musste zum Arzt. Ich habe das so nicht erlebt.

Flüchtlingsdaten

  • Aus der Ukraine waren im Juni 2915 erwerbsfähige Leistungsberechtigte beim Jobcenter Rhein-Neckar gemeldet. Nur 268 gingen einer Tätigkeit nach.
  • In den Jahren 2016 bis 2022 nahm nur gut ein Drittel der anerkannten Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan eine Zeitarbeit im Rhein-Neckar-Kreis an. 15 Prozent Gastronomie, zwölf Prozent Handel, nur 5,6 Prozent im Gesundheits- und Sozialwesen
  • Nur 12,2 Prozent der anerkannten Afghanen verfügen über einen Abschluss. Noch weniger sind es bei Irakern (7,9) und Syrern (6,8).

 

Sie haben eben von den Leistungen gesprochen, die dazu führen, dass sich bei uns mehr Menschen um Asyl bewerben als in anderen europäischen Ländern. Merz spricht immer wieder von den sogenannten Pull-Faktoren - also Faktoren, die Flüchtlinge anziehen. Zynisch gefragt: Tun wir zuviel für Flüchtlinge?

Dallinger: Wenn man sich die Leistungen der unterschiedlichen Länder in Europa anschaut, und das habe ich beim ZDF getan, stellt man schon fest, dass Deutschland sich am oberen Ende befindet. Wir zahlen mehr als andere Länder. Was nach meinem Dafürhalten ein großer Fehler war, ist die Tatsache, dass die Menschen aus der Ukraine im Gegensatz zu den übrigen Flüchtlingen Bürgergeld bekommen. Das wird im kommenden Jahr nochmal erhöht. Das ist ein Rechtskreiswechsel, der unbedingt rückgängig gemacht werden muss. Der Gedanke dahinter war, dass die Leute bei den Jobcentern angesiedelt sind und schneller in Deutschland arbeiten gehen können.

Wie hoch sind denn die Leistungen, die eine ukrainische Familie hier bekommt?

Dallinger: Wenn wir von einem mittleren Wert bei den Kosten für die Unterbringung ausgehen, dann sind wir bei einer vierköpfigen ukrainischen Familie bei einem Nettobetrag von etwa 2760 Euro.

Dieser Betrag ist vergleichsweise hoch und animiert vielleicht nicht unbedingt dazu, jeden Tag acht Stunden arbeiten zu gehen, wenn dann nicht viel mehr herauskommt. Betrachtet man sich die Zahlen des Jobcenters Rhein-Neckar, so gingen im Juni 2023 von 2915 erwerbsfähigen Ukrainern und Ukrainerinnen im Rhein-Neckar-Kreis 268 einer Beschäftigung nach. Das sind nicht einmal zehn Prozent. Was sagen Sie dazu?

Dallinger: Das ist erschreckend, und deshalb denke ich, dass wir über Arbeitspflichten auch reden müssen. Aber auch über die Senkung von Standards bei der Industrie, wenn Leute eingestellt werden sollen. So, wie es jetzt ist, laden wir Menschen ein, an unserem Sozialsystem zu partizipieren.

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In meinem privaten Umfeld stelle ich fest, dass ukrainische Flüchtlinge Geld vom Amt bekommen - und nebenbei „illegal“ arbeiten gehen. So ergibt sich der Umstand, dass sie manchmal mehr Geld zur Verfügung haben als ein deutscher Mittelständler.

Dallinger: Natürlich wird das bekämpft, wenn es bekannt wird. Und es ist auch zu verurteilen. Pauschale Erzählungen helfen dabei aber wenig. Theoretisch müssten Sie konkret benennen, um wen es sich handelt.

Würden Sie dafür plädieren, keine Geldleistungen, sondern Sachleistungen zu „bezahlen“?

Dallinger: Man darf das Kind nicht mit dem Bade auskippen. Die Vermittlungen von Sachleistungen würde zu einem immensen Verwaltungsaufwand führen. Man könnte über Geldkarten nachdenken. Das würde ich sehr begrüßen.

Auch Flüchtlinge aus Staaten wie Iran, Irak, Syrien oder Afghanistan arbeiten nur zu einem Bruchteil. Warum ist das so schwer, sie in Arbeit zu bekommen?

Dallinger: Da muss sich der Bund bewegen und Hemmnisse beseitigen. Man muss endlich die Chance erkennen, die in der Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit steckt. Das ist schon eine Integrationsmaschine und eine Möglichkeit, unsere Sprache zu lernen.

Aber können uns Leute auf dem Arbeitsmarkt wirklich helfen, die nur zu einem Bruchteil eine schulische oder berufliche Ausbildung haben. Nur 12,2 Prozent der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Afghanen haben einen Abschluss, 7,9 Prozent sind es bei den Irakern und nur 6,8 bei den Syrern.

Dallinger: Wir müssen sie ertüchtigen und befähigen. Da ist natürlich die deutsche Sprache eine wichtige Komponente. Die Wirtschaft muss in diesen Bereichen Arbeitsplätze zur Verfügung stellen und von höheren Standards absehen.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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