Inklusion

Runder Tisch in Schwetzingen diskutiert Wege zur Inklusion

Ein Runder Tisch bringt Stimmen aus Politik und Gesellschaft zusammen. Ein zentrales Ergebnis: Inklusion ist nicht verhandelbar – und beginnt mit der Haltung.

Von 
Stefan Kern
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Erster Vorsitzender des Inklusionsbeirates Gerhard Rummel, CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Sturm, kommunaler Behindertenbeauftrage Martin Köhl, Staatssekretär Andre Baumann (Grüne), SPD-Landtagsabgeordnete Daniel Born und zweiter Vorsitzende des Inklusionsbeirates Jens Rückert. © Stefan Kern

Schwetzingen. Wenn man die Debattenkraft anhand argumentativer Tiefe und Überzeugungsstärke bemessen würde, wäre der Runde Tisch Inklusion in der kurfürstlichen Residenz ein Gigant. Beim letzten Treffen in Schwetzingen zeichneten Eltern behinderter Kinder ein zutiefst beeindruckendes Bild der alltäglichen Herausforderungen – Herausforderungen, die man ohne Übertreibung als herkulisch bezeichnen kann.

Nun haben sich die Streiterinnen und Streiter für Inklusion um die beiden Inklusionsbeiratsvorsitzenden Gerhard Rummel und Jens Rückert die drei Landtagsabgeordneten Andreas Sturm (CDU), Daniel Born (SPD) und Dr. André Baumann (Grüne) eingeladen. Und wieder, wenn auch mit anderem Schwerpunkt, entstand ein Bild, das eindrücklich unterstrich, wie wichtig Inklusion für eine Gesellschaft ist – nicht nur für Betroffene, sondern für alle. Denn die Welt wird am Ende nur so zu einem besseren Ort. Eine anständige Gesellschaft, so wie sie der israelische Philosoph Avishai Margalit versteht, gibt niemandem einen Grund, sich diskriminiert oder ausgegrenzt zu fühlen. Born sagte: „Am Tisch namens Gesellschaft muss jeder seinen Platz finden.“ Und genau das sei für eine befriedete Gesellschaft, die sich ihrer aggressionsfördernden Sollbruchstellen bewusst werde und sie fülle, grundlegend.

Inklusion ist mehr als Barrierefreiheit im öffentlichen Raum

Für Baumann, ebenso wie für Sturm und Born, ist Inklusion eines der zentralen gesellschaftlichen Debattenfelder – auch wenn sie medial derzeit eine eher untergeordnete Rolle spielt. Hinter Sätzen wie „Niemand sollte sich ausgeschlossen fühlen“ oder „Egal, wie jemand ist – er gehört dazu“ verschwanden alle parteipolitischen Grenzen. Und bei aller Bedeutung der Infrastruktur rund um Barrierefreiheit und inklusives Bildungssystem ließ niemand Zweifel daran, dass Inklusion im Kopf beginne. Dort, so Sturm, gebe es noch viele Hürden. Die verheerendsten Barrieren fänden sich in den Köpfen.

Born machte das mit einer Liedzeile des Rappers Graf Fidi deutlich: „Ich bin nicht das Synonym für Scheiße für dich.“ Ein Satz, der, so Born, leider weit über den Schulhof hinaus täglich widerlegt werde. Solange Worte wie „schwul“, „behindert“ oder „Spast“ als Schimpfwörter funktionieren, könne eine anständige Gesellschaft nicht funktionieren. Ein Land, das erkläre, die Würde des Menschen sei unantastbar, dürfe es nicht hinnehmen, dass tagtäglich dagegen verstoßen werde.

Ja, Inklusion sei mit Kosten und Anstrengungen verbunden – aber, so Baumann, wer Artikel 1 des Grundgesetzes zitiere, müsse auch den zweiten Satz bedenken: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Das sei die argumentative Grundlage für mentale wie ökonomische Investitionen. Darüber hinaus, betonte der Staatssekretär, nützten Investitionen in Barrierefreiheit letztlich allen – dem Vater mit Kinderwagen ebenso wie dem Senior mit Rollator.

Nicht unerwähnt blieb, dass sich bereits einiges bewege. Born erzählte eine Geschichte, die er kürzlich am Rande eines Kinderfußballspiels erlebte: Auf dem Platz spielten Mädchen, Rollstuhlfahrer und Jungen gemeinsam. Neben ihm stand ein Vater, der das Spiel zunächst grummelig kommentierte. Born habe kein Plädoyer für Inklusion erwartet, doch er täuschte sich. Als er auf die inklusive Zusammensetzung der Mannschaft hinwies, sagte der Mann klar: „Wenn die nicht von Anfang an zusammen auf dem Platz stehen, werden sie nie zu anständigen Demokraten.“ Ein Satz, der allen am Tisch ein Lächeln ins Gesicht zauberte.

Der Bildungsbereich ist Schlüssel und Baustelle zugleich

Im weiteren Verlauf konzentrierte sich die Diskussion auf den Kinder- und Bildungsbereich. Hier, so die einhellige Überzeugung, würden die Wurzeln einer inklusiven Gesellschaft gelegt. Besonders Kindergärten seien für wichtige Weichenstellungen zentral, litten aber unter erheblichem Personalmangel. Eine Vertreterin der Lebenshilfe erklärte, dass man trotz verbesserter Bedingungen massive Probleme habe, qualifiziertes Personal zu finden.

Born verwies auf eine Studie, nach der über 50 Prozent der Erzieherinnen nicht glaubten, bis zur Rente im Beruf bleiben zu können; ein Drittel rechne mit weniger als fünf Jahren. Baumann vermutete, dass das Berufsbild nicht ausreichend wertgeschätzt werde. Zwar sei es ein wunderbarer Beruf, doch die gesellschaftliche Anerkennung hinke hinterher. Sicher sei: Für die personelle Ausstattung müsse noch mehr getan werden.

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Von besonderer Bedeutung für Inklusion seien Begegnungen. Sturm berichtete von einer Schule, an der Witze über den Holocaust gemacht wurden. Nach dem Besuch eines Überlebenden habe sich das Verhalten spürbar geändert. Begegnung und Auseinandersetzung, so der Tenor, seien wirksame Mittel gegen Ausgrenzung. Auf die Frage des kommunalen Behindertenbeauftragten Martin Köhl, ob es mehr Zwang brauche, waren sich alle drei Politiker weitgehend einig: Zwang allein helfe nicht, da er Widerstand auslöse. Begegnungen, wie etwa beim „Open Sporty Sunday“ des TV, seien zielführender. Dennoch, so Born, gehöre Zwang in den politischen Werkzeugkasten – denn Inklusion sei als gesellschaftliche Leitplanke nicht verhandelbar.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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