Er arbeitet seit zwanzig Jahren mit Joerg Steve Mohr zusammen und ist dem Schwetzinger Publikum seit der Gründung des Theaters am Puls 2006 bekannt: der Schauspieler Christoph Kaiser. Nun spielt er die Hauptrolle im Film „Schattenstunde“ gemeinsam mit Beate Krist, die ebenfalls diverse Rollen beim Theater am Puls verkörperte, wie auch Benjamin Martins, der Drehbuchautor und Regisseur des Films. Dass die Schwetzinger Bühne mehr ist als ein Provinztheater, zeigt sich am Niveau dieser Schauspieler, zu denen auch Hamlet-Darsteller Nikolas Weber gehört, der seit 2017 für den Mehrteiler „Weingut Wader“ als Phillip vor der Kamera steht.
„Schattenstunde“ erzählt die Geschichte des Schriftstellers und Liederautors Jochen Klepper (1903 bis 1942), der während der Zeit des Nationalsozialismus wegen seiner jüdischen Ehefrau ausgegrenzt und drangsaliert wurde. Mischehen hat man zwangsweise geschieden, damit drohte Kleppers Frau Johanna (Beate Krist) und deren Tochter Renate (Sarah Palarczyk) die Deportation. In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 nahm sich die Familie gemeinsam das Leben.
Zur Person: Christoph Kaiser
Der Theater- und Filmschauspieler Christoph Kaiser ist 1963 geboren. 1997 zog er von Berlin nach Heidelberg.
Seine Ausbildung absolvierte er an der Regie- und Schauspielschule Mannheim, wo er das Regiediplom und die Bühnenreife erlangte. Die Stanislawski-Methode intensivierte er mit Rainer Kleinstück (Körper-Sprache-Rede Kunst) und die Tschechow-Methode mit Feodor Stepanov (Moskau), Dozent am Tschechow-Studio in Berlin. An der Theaterwerkstatt-Heidelberg bildete er sich zum Theaterpädagogen aus.
Christoph Kaiser spielte unzählige Rollen an Theatern in Heidelberg, Mannheim und Karlsruhe. Er war in Produktionen wie Tatort, Soko-Köln, Fernsehfilmen und Krimi-Vorabendserien auf den Sendern von ARD, ZDF, SWR, SAT1 und RTL und im Kinofilm „Danke tote Katze“ zu sehen.
Unter der Regie von Joerg Steve Mohr wirkte er beim Theater am Puls in vielen gefeierten Stücken mit: als Hofmarschall von Kalb in „Kabale und Liebe“, als Baron von Svieten in „Amadeus“, Ensemble-Mitglied in „Timm Thaler“, als Bremser in „Pünktchen und Anton“, unvergessen als Mattis in „Ronja Räubertochter“ oder als Pastor Parris in „Hexenjagd“. Außerdem verkörperte er Hook in „Peter Pan“, Vater Wolf, Kara und erster Tiger im „Dschungelbuch“, Barbarossa und Dottor Massimo in „Herr der Diebe“, Daniel Horster in „Ein Volksfeind“ und Indianer Joe in „Tom Sawyer“. In der Spielzeit 2021/2022 ist er auf der Bühne des TaP als Polonius in „Hamlet“ zu sehen.
Für Schwetzingen hat Christoph Kaiser eine Reihe von theaterpädagogischen Projekten realisiert, an Schulen der Region ist er aktuell auch in der Gewaltprävention tätig.
Christoph Kaiser wurde beim Filmfest in München für den Förderpreis Neues Deutsches Kino in der Kategorie „Bestes Schauspiel“ nominiert.
Zurzeit lebt er allein im Raum Heidelberg, hat drei erwachsene Töchter, Enkelkinder und noch einen Koffer in Berlin.
Diese Filmbiografie, eine Herbsthund Filme Produktion, wurde 2021 beim Filmfest in München uraufgeführt und in Berlin mit dem wichtigsten deutschen Preis für den Filmnachwuchs, dem „First Steps Award“, ausgezeichnet. Außerdem lief der Film auf verschiedenen deutschen Festivals im Wettbewerb. Seine internationale Premiere feierte er auf dem Tallinn Black Nights Festival 2021 in der Sektion Rebels with a Cause. Derzeit findet die Nordamerika-Premiere auf dem Miami Jewish Filmfestival in Florida statt. Am Donnerstag, 27. Januar, dem internationalen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, kommt er bundesweit in die Kinos. Auftakt ist am Nationaltheater Mannheim.
Im Interview mit unserer Zeitung schildert Christoph Kaiser, wie er die Rolle bekam, was sie mit ihm gemacht hat und warum der Film so wichtig ist.
Herr Kaiser, wie war es für Sie, vom Theater zum Film zu kommen?
Christoph Kaiser: Schon vor vielen Jahren habe ich in Produktionen wie Tatort, Soko-Köln, Fernsehfilmen und Krimi-Vorabendserien auf diversen Sendern mitgemacht und war im Kinofilm „Danke tote Katze“ zu sehen. Klar, es ist eine andere Arbeit als im Theater, ich liebe die Filmarbeit, die Spannung am Set.
„Schattenstunde“ ist also nicht Ihr erster Film?
Kaiser: Nein, das nicht, aber es stimmt schon, dass ich hier eine tragende Rolle habe. Ich spiele den Schriftsteller Jochen Klepper in den letzten Stunden seines Lebens 1942.
Der Film beruht auf einer wahren Geschichte. In die Rolle Kleppers zu schlüpfen, war mit Sicherheit eine echte Herausforderung, oder?
Kaiser: Ich spürte eine große Verantwortung, einer so komplexen historischen Figur wie die Jochen Kleppers mindestens annähernd gerecht zu werden. Das ist natürlich etwas ganz anderes, als in irgendeiner fiktionalen Serie mitzuwirken. Ich habe mich intensiv mit seinem Leben, seinem Umfeld beschäftigt, seine Biografie von Markus Baum gelesen, sein Tagebuch, das unter dem Titel „Unter dem Schatten deiner Flügel“ veröffentlicht wurde, und habe versucht nachzuvollziehen, wie es ihm Tag für Tag erging. Auch besuchte ich die Orte in Berlin, an denen Klepper gelebt und gewirkt hat und begraben ist.
Wie kam es, dass Benjamin Martins Sie für die Rolle auswählte?
Kaiser: Er hat mich einmal, ich glaube, das war 2018, angesprochen, ob ich mir vorstellen kann, vor ausgewählten Leuten aus dem von ihm verfassten Drehbuch zu lesen. Das habe ich getan, ohne noch den Hintergrund zu kennen. Alle im Raum waren ergriffen, es war eine wahnsinnige Stimmung, das Feedback durchgehend positiv. Für Martins stand von Anfang an fest, dass ich die Rolle Kleppers bekomme, es sei etwas in meiner Stimme, etwas Weiches, Sensibles, das ihn überzeuge, meinte er. Ich muss gestehen, das hat mich schon sehr beeindruckt. Bedingung jedoch war, dass ich mir die Haare und den Bart abschneide.
Kannten Sie den Schriftsteller Jochen Klepper schon vorher?
Kaiser: Jochen Klepper war mir nicht geläufig, aber das, was er erlebt hat, den Mobbing, die Ausgrenzung, dieses Gefühl schon.
Was hat Sie persönlich an Jochen Klepper fasziniert?
Kaiser: Klepper war eine widersprüchliche Persönlichkeit. Als Kind war er kränklich, er litt unter schwerem Asthma, deshalb wurde er zu Hause, von seinem Vater, unterrichtet. Später besuchte er das Gymnasium, wo ihn die vermutlich homoerotische Beziehung zum Oberlehrer Erich Fromm, einem Freund seines Vaters, belastete. Einerseits war Klepper ein sensibler, zerbrechlicher, introvertierter Typ, andererseits konnte er auch sehr unterhaltsam sein und Stärke zeigen. Er liebte die Kunst, die Literatur, das Schauspielen. All das habe ich versucht, in die Rolle einfließen zu lassen, wobei mir auch die Gespräche im Ensemble vor Drehbeginn, wie die Figur anzulegen sei, viel geholfen haben. Denn es bestand ja die Gefahr einer einseitigen Darstellung, was wir unbedingt vermeiden wollten. Was ich an Klepper so großartig finde, ist sein Mut, bis zuletzt zu seinen Werten zu stehen, sich treu zu bleiben, trotz der Gefahr, der er sich aussetzte.
Inwieweit konnten Sie sich mit der Person Klepper identifizieren?
Kaiser: Jochen Kleppers Erlebnisse unter den Nationalsozialisten kann man mit den meinen nicht vergleichen. Trotzdem gab es in meinem Leben Geschehnisse, die in mir ähnlich starke Emotionen und Gefühle, wie sie Jochen Klepper in seinen Tagebüchern beschrieb, auslösten: der frühe Tod meines Vaters, die Trennung von meiner Familie und ein kompletter Neustart in meinem Leben. Selbstzweifel, Zukunftsängste und die Sorge um meine Kinder sind Erfahrungen, die ich mit Jochen Klepper teile. So war es mir möglich, aus meiner eigenen Vergangenheit und meinem emotionalen Gedächtnis heraus, mich im Laufe der Dreharbeiten immer mehr mit der Figur zu identifizieren, ohne sie aber zu kopieren. Eine Szene hat mich zutiefst berührt: Am Tag des Selbstmords blickten sich Klepper und das jüdische Nachbarskind, das zur Deportation abgeholt wurde, in die Augen. Der Blick des Mädchens (das übrigens seine Enkelin Emma Kaiser spielt – Anm. der Redaktion) verriet Angst, zugleich aber auch Hoffnung, die Klepper in dieser Situation nicht erfüllen konnte. So etwas ruft Gänsehaut hervor.
Was glauben Sie, warum ist es wichtig, so einen Film zu drehen?
Kaiser: Über den Nationalsozialismus und den Holocaust wurden schon viele Filme gemacht, aber nur wenige beschäftigen sich mit Menschen, die in Mischehen lebten und so in die Enge getrieben wurden, dass sie keinen anderen Ausweg als den Suizid sahen. Darüber hinaus bietet der Film den Zuschauern ein ganz besonderes Kinoerlebnis einerseits durch die innovative Gestaltung – der Film ist auf der Leinwand überwiegend als Quadrat zu sehen, der diese Enge symbolisiert – andererseits durch den Brückenschlag in die Gegenwart. Die Spaltung der Gesellschaft in der jetzigen Corona-Pandemie, die Ausgrenzung von Menschengruppen wie die Flüchtlinge weisen erschreckende Parallelen auf. Wenn wir die Vergangenheit verstehen und sehen, wie schnell eine Demokratie in ihr Gegenteil umkippen kann, wird unser Blick für die Gegenwart geschärft. Ich wünsche mir, dass der Film viele Zuschauer erreicht und bei ihnen diese Wirkung auslöst.
Info: Bundesweiter Kinostart von „Schattenstunde“ am Donnerstag, 27. Januar, Premiere am Nationaltheater Mannheim, 19.30 Uhr, in Anwesenheit von Regie und Team. Sondervorstellung am 31. Januar, 18.30 Uhr, im Gloria-Kino Heidelberg in Anwesenheit des Hauptdarstellers Christoph Kaiser, und am 4. Februar, um 19.30 Uhr, im Central-Kino Ketsch in Anwesenheit von Regisseur Benjamin Martins und Christoph Kaiser.
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