Schwetzingen. Ob beim Tatort am Sonntagabend oder in der Klatschpresse – in Deutschland litten psychisch Erkrankte über Jahrzehnte nicht nur an ihrer Krankheit, sondern auch an der desaströsen Darstellung in der Öffentlichkeit. Bis heute kämpfen Ärzte, Psychologen und andere Therapeuten gegen die Stigmatisierung ihrer Patienten. Ein harter Kampf, der in Schwetzingen unter anderem von der leitenden Ärztin des Zentrums für psychische Gesundheit (ZfpG), Dr. Susanne Brose-Mechler, geführt wird.
Mit unermüdlichem Einsatz versuchen sie und ihre Verbündeten, seelische Störungen und deren Behandlungen in den Fokus der Gesellschaft zu rücken. Doch wie gelingt die Enttabuisierung psychischer Krankheiten? Und wie verändert sich dadurch der Diskurs? Zu diesen und weiteren Fragen äußerte sich Dr. Brose-Mechler im Interview.
Frau Dr. Brose-Mechler, die Welt erwacht aus dem Winterschlaf, die Sonne zeigt sich wieder mit zunehmender Kraft und liefert Vitamin D. Was bedeutet das für die menschliche Psyche?
Dr. Susanne -Brose-Mechler: Vitamin D wird in unserem Körper mittels der Sonnenstrahlen produziert, daher nennt man es auch das „Sonnenvitamin“. Es ist fettlöslich und wird im Fett-und Muskelgewebe gespeichert. Vitamin D ist wichtig für den Knochenstoffwechsel und für unser Immunsystem. Außerdem wissen wir, dass Vitamin D für die Regulierung der Hirnbotenstoffe wie Dopamin und Serotonin von Bedeutung ist. Vielen Menschen nördlich des 40. Breitengrad leiden wegen fehlendem Sonnenlicht und weil sie sich mehr in geschlossenen Räumen aufhalten und weniger an der frischen Luft unter einem Vitamin D-Mangel. Vitamin D-Spiegel können mittels einer Blutserumuntersuchung bestimmt werden. Hiernach kann bei einem Mangel Vitamin D- in entsprechender Dosierung medikamentös verordnet werden. Vor einer prophylaktischen und unkontrollierten Einnahme wird wegen der Gefahr der Überdosierung und dementsprechender unerwünschter Wirkung gewarnt. In den letzten Jahren wurden in zahlreichen Metastudien die Wirkung von Vitamin D bei der Behandlung von Depressionen untersucht. Ein positiver Wirknachweis von Vitamin D bei der Behandlung von Depressionen konnte nicht gefunden werden. Ebenso wurde nachgewiesen, dass man mit der Einnahme von Vitamin D weder Herz-Kreislauf- noch Krebserkrankungen vermeiden kann.
Sie sind leitende Ärztin des Zentrums für Psychische Gesundheit in Schwetzingen. Welche Krankheitsbilder therapieren Sie dort hauptsächlich?
Brose-Mechler: Das Zentrum für Psychische Gesundheit (ZfpG) ist eine klinische Außenstelle des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden (PZN), mit Zentrumssitz in Wiesloch. Das Therapeutische Angebot in Schwetzingen ist vielfältig. So verfügen wir neben der Station für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie mit integrierter Tagesklinik über eine Tagesklinik für Suchttherapie und Allgemeinpsychiatrie und über eine Psychiatrische Fachambulanz. Daher ist unser Behandlungsspektrum weit gefächert. Neben der akuten Krisenbehandlung zählen Angststörungen, affektive Störungen, Zwangsstörungen, Posttraumatische Belastungsstörungen, Störungen bei der Bewältigung körperlicher Erkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebserkrankungen, Psychoseerkrankungen, Schmerzstörungen und somatoforme Störungen dazu. Unser Therapieangebot richtet sich auch an Menschen mit einer Suchterkrankung.
Ärztin aus Schwetzingen über psychische Erkrankungen in der Gesellschaft
In den vergangenen Jahren ist die Aufklärung über psychische Erkrankungen in der Gesellschaft angekommen. Bemerken Sie einen gesellschaftlichen Sinneswandel ?
Brose-Mechler: Wir sind sehr froh darüber, dass ein Abbau von Vorurteilen gegenüber Psychische Störungen erkennbar ist und psychische Erkrankungen weniger tabuisiert werden. Wir sehen das auch an der steigenden Inanspruchnahme unserer Leistungen. Daher ist eine gute Öffentlichkeitsarbeit und eine transparente Kommunikation über Medien und Zielgruppen hinweg ein integrativer Bestandteil unsere Arbeit.
Auch Ihre Einrichtung setzt sich dafür ein, das Thema psychische Gesundheit weiter in den gesellschaftlichen Diskurs miteinzubringen. Wieso ist das so wichtig?
Brose-Mechler: Um Menschen mit psychischen Erkrankungen helfen zu können, bedarf es nicht nur hoch qualifizierte Behandlungskonzepte, sondern auch einer breiten Wissensvermittlung mit Informationen über psychische Erkrankungen wie zum Beispiel den Abbau von Ängsten, die Erläuterung von Risikofaktoren und die Möglichkeiten der Behandlung.
Wie gelingt die Beleuchtung der Thematik aus Ihrer Sicht in Schwetzingen?
Brose-Mechler: Das ZfpG Schwetzingen ist aktives Mitglied des Bündnisses gegen Depression Rhein-Neckar-Süd. Jedes Jahr organisieren wir eine öffentliche Veranstaltung mit spezifischen Themen zur Depression. Die Stadt Schwetzingen unterstützt uns. Wir können die Veranstaltungen im Palais Hirsch durchführen. So haben wir im Herbst 2023 bezüglich der Suizidprävention das Thema Suizid in den Fokus gerückt (wir berichteten). Die Referentinnen schilderten ihre eigene Krankheitsgeschichte. Die Teilnehmerzahl an diesen Veranstaltungen nimmt erfreulicherweise jedes Jahr deutlich zu. Die Menschen kommen auch bei wunderschönen Sonnenschein und offenen Biergärten zu unseren Veranstaltungen. Außerdem ist das ZfpG Schwetzingen Kooperationspartner im Gemeindepsychiatrischen Zentrum. Gemeinsam mit der Caritas Schwetzingen und dem St. Thomasheim gestalten wir jedes Jahr die Woche der Seelischen Gesundheit mit unterschiedlichen Veranstaltungen. Auch hier steigt die Zahl der Teilnehmenden. Jeden dritten Mittwoch im Monat von 16.30 bis 17.30 Uhr bieten wir eine Informationsgruppe für Angehörige an. Um es einfach zu halten, muss man sich auch nicht anmelden. Außerdem können wir, nach der überstandenen Coronapandemie, wieder zu unserem Patientenclub für ehemalige Patienten der Tagesklinik einladen. Mit Inkrafttreten des neuen Sozialen Entschädigungsrechts wurde auch der Anspruch auf Leistungen der Traumaambulanz für Opfer einer Gewalttat modernisiert und erweitert. Seit 2011 war unsere Traumaambulanz ein Modellprojekt, jetzt können wir unsere Arbeit in Zusammenarbeit mit dem Versorgungsamt Rhein-Neckar-Kreis unter neuen und verbesserten Bedingungen fortsetzen.
Psychische Erkrankungen als Tabu und in Social Media: Schwetzinger Ärztin im Gespräch
Was muss sich in Schwetzingen noch verändern, um psychische Erkrankungen weiter zu enttabuisieren?
Brose-Mechler: Ich glaube, dass wir hier gemeinsam in Schwetzingen auf einem guten Weg sind. Das Interesse Ihrer Zeitung für Themen der seelischen Gesundheit ist für die Öffentlichkeitsarbeit und Weitergabe von Informationen an Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger äußerst förderlich.
Psychische Erkrankungen werden auch in den sozialen Medien immer wieder thematisiert. Sehen Sie in dieser Entwicklung Vorteile und/oder Nachteile?
Brose-Mechler: Prinzipiell spricht vieles für die Thematisierung Psychischer Erkrankungen in den Medien. Ich selbst bin begeistert von zahlreichen Podcasts zu Depression, Psychose, Suizidalität und Psychotherapie. Problematisch wird es, wenn Fachwissen verlorengeht, Aussagen fehlinterpretiert oder verfremdet werden, laienhafte Erklärungsmodelle verbreitet werden und versucht wird, die Nutzer zu manipulieren. Aber hier stehen wir gerne für die Beantwortung von Fragen zur Verfügung.
Auch vermeintliche Selbstdiagnosen werden durch Social-Media-Kanäle wie TikTok und Instagram geteilt und gefördert. Begegnet Ihnen das Phänomen in Ihrer Arbeit? Welche Gefahren gehen damit einher?
Brose-Mechler: Der Wunsch nach Erklärung und Information ist ein wichtiges Bedürfnis eines jeden Menschen. Symptome zu googeln hat noch keinen Krankheitswert. Nur die alleinige Suche entlastet zwar kurzfristig, erhöht erfahrungsgemäß jedoch langfristig die Angst vor einer Erkrankung. Problematisch wird es, wenn mediengestützte Selbstdiagnose die ärztliche Person ersetzen. Es ist unsere Aufgabe Betroffenen oder Angehörigen Vertrauen zu geben, Ängsten und Vorurteile zu respektieren und Wege der Behandlung aufzuzeigen. Die partizipative Entscheidungsfindung ist hierfür eine wichtige Methode. Nach ausführlicher Information über Erkrankung und Behandlungsmöglichkeiten treffen Behandler und Betroffener gleichberechtigt eine Entscheidung.
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