Schwetzingen/Plankstadt/Hockenheim. Neben den zunehmenden Belastungen durch die seit Monaten geltenden Ein- und Beschränkungen des öffentlichen und privaten Alltags werden auch die Defizite bei der Digitalisierung deutlich sichtbar. Wegen des gewaltigen Nachholbedarfs wirkt Deutschland wie ein Entwicklungsland bei Bildung, Behörden und Gesundheitswesen. Im Vergleich zu dieser Großbaustelle scheint die Wirtschaft – zumindest auf den ersten Blick – lediglich mit einigen Schrammen das Pandemiegeschehen zu meistern. Ohne auf die chaotische Abwicklung von Wirtschaftshilfen, das Leiden der Veranstaltungs- und Reisebranche, die Existenznöte der Gastronomie und des stationären Einzelhandels einzugehen, haben viele Produktionsbetriebe flexibel auf die neuen Rahmenbedingungen reagiert.
„Nicht überraschend sind Online-Kundengewinnung und digitale Kundenbindung von großem Interesse, gerade bei den kleinen und mittleren Betrieben. Dazu gehören auch Fragen nach der rechtssicheren Gestaltung des eigenen Internetauftritts oder wie die Sichtbarkeit der Webseite im Internet gesteigert werden kann“, erklärt Dr. Nicolai Freiwald. Der Bereichsleiter Innovation, Umwelt und Energie bei der IHK Rhein-Neckar stellt fest, dass „uns viele Anfragen rund um das Thema E-Commerce erreichen“.
Hintergrund
Laut der bundesweiten IHK-Umfrage ist die digitale Transformation aus Sicht der Betriebe mit zahlreichen unternehmerischen Herausforderungen verbunden.
Branchenübergreifend steht dabei die Komplexität der Aufgabe, vorhandene Systeme und Prozesse umzustellen, an vorderster Stelle (45 Prozent). Ein hoher Kosten- und Investitionsaufwand (40 Prozent) sowie fehlende zeitliche Ressourcen (38 Prozent) werden als zweit- und dritthäufigste Herausforderungen genannt.
Auch das Thema Weiterbildung von Belegschaft und Führungskräften beschäftigt viele Unternehmen (32 Prozent). Als sonstige Herausforderungen schildern die Unternehmen unter anderem Unsicherheiten beim Thema Datenschutz sowie infrastrukturelle Defizite. uvw
Die Betriebe interessierten sich für kurzfristig umsetzbare Digitalisierung von Prozessen. „Hier erreichen uns täglich Anfragen, insbesondere nach Fördermitteln für Digitalisierungsvorhaben“, bilanziert Freiwald. Mehr als 50 Veranstaltungen, Webinare und Weiterbildungskurse zu allen Aspekten der digitalen Transformation hat die IHK Rhein-Neckar im vergangenen Jahr veranstaltet. Rund 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Betrieben der Region nutzten dieses Angebot, um detailliertes und praxisnahes Wissen auf dem Weg ins Digitalzeitalter zu erhalten.
Investitionen in Produktqualität
Unabhängig von dieser Beratung hat diese Zeitung bei drei ortsansässigen Betrieben nachgefragt, ob sie in den vergangenen zwölf Monaten in Digitalisierung investiert haben. „Oh ja, das haben wir – sowohl geplant als auch ungeplant“, betont Max Spielmann. Der Chef der Welde Braumanufaktur mit Sitz in Plankstadt nennt eine ganze Reihe von Investitionen und Innovationen. Geplant war die Installation mehrerer neuer Kontrollgeräte in der Flaschenfüllerei. Dafür wurde über mehrere Wochen die gesamte Füllerei auseinander- und wieder zusammengebaut.
„Das geht nicht ohne akribische und lange Planung“, sagt Spielmann. „Diese recht große Investition haben wir trotz der Corona-bedingt schwierigen Lage durchgeführt, weil sie für die Zukunft wichtig ist“, weist der Welde-Chef auf die Firmenphilosophie hin, Produktqualität und -sicherheit noch mehr zu stärken.
Nicht von langer Hand geplant war die umfangreiche Modernisierung in Hard- und Software bei der internen Kommunikation und an den Arbeitsplätzen. „Wo bisher vor allem die Außendienstmitarbeiter mit mobilen Arbeitsmitteln ausgestattet waren, haben wir nun für die gesamte Verwaltung und in Produktion und Logistik überall da, wo es sinnvoll und machbar ist, in neue Notebooks und die dazugehörige Infrastruktur wie Software, neue Bildschirme und Dockingstationen investiert. Mit den Notebooks können die Mitarbeitenden jetzt sowohl im Homeoffice als auch im Büro in Plankstadt unkompliziert arbeiten.“
Seit März 2020 sind bei der Welde viele Mitarbeitende im Homeoffice. „Insofern war diese Umstellung ebenfalls ein wichtiger Schritt in Richtung Zukunft. Denn mobiles Arbeiten wird auch nach der Pandemie ein großes Thema bleiben.“ Derzeit wird die Serverkapazität des Sudhauses modernisiert, die Arbeitsplätze in der Produktion wie in Füllereibüro, Gärkeller und Filteranlage wurden bereits digital aufgerüstet.
Neues Warenwirtschaftssystem
„Es geht nicht ohne Digitalisierung“, bestätigt Jeanette Zeuner-Kiefer. „Bereits vor fünf Jahren haben wir uns Gedanken gemacht“, sagt das Mitglied der fünfköpfigen Geschäftsleitung bei der Kartonveredelung Knapp. Das Unternehmen in Schwetzingen beschäftigt 150 Mitarbeiter, davon 90 Menschen in der Produktion und 60 in Verwaltung, Vertrieb und Mediengestaltung. In diesem Jahr sind überwiegend Investitionen in die Hardware geplant. Dem voraus ging die Anschaffung eines neuen Warenwirtschaftssystems. „Das ist unser Herzstück. Da haben wir viel investiert. Diese Vorbereitung hat uns in der Pandemie sehr geholfen“, sagt Zeuner-Kiefer.
Und wie funktioniert bei Ihnen Homeoffice? Bei der Kartonveredlung Knapp wurde direkt zu Beginn des ersten Lockdowns am 15. März 2020 den Mitarbeitern in Vertrieb und Verwaltung freigestellt, von daheim aus zu arbeiten. Die technischen Voraussetzungen dafür hat das Unternehmen bereitgestellt. Gleichzeitig bestand die Möglichkeit, zu Abstimmungsgesprächen ins Büro zu kommen – auch weil für manche Themen die Kommunikationsplattformen nicht sicher genug sind.
Dazu passt ein Ergebnis aus der aktuellen bundesweiten IHK-Umfrage „Digitalisierung mit Herausforderungen“ aus dem laufenden Jahr: „Mehr als die Hälfte der Unternehmen verschlüsselt ihre Daten und E-Mails und hat formelle Nutzungsrichtlinien für die Beschäftigten erlassen. Ein Großteil der Unternehmen verfügt über ein Identitätsmanagementsystem, das Daten durch unterschiedliche Maßnahmen vor unberechtigtem Zugriff schützt.“ Allerdings gibt es auch bei Knapp noch Nachholbedarf. „Besonders in der Personalverwaltung hinkt die Digitalisierung hinterher“, beschreibt Zeuner-Kiefer ihre Beobachtung zu Arbeitsverträgen, Personalakten und handgeschriebenen Urlaubsmeldungen. Eine Studentin des Dualen Hochschulstudiums Betriebswirtschaft (DHBW) nimmt sich jetzt im Rahmen ihrer Bachelorarbeit dieser Aufgabe an.
Stolpersteine bei der Einführung
Bei Welde klappt das Homeoffice mittlerweile sehr gut. Zu Beginn – im März vergangenen Jahres – gab es den einen oder anderen Stolperstein. „Wir haben quasi über Nacht Mitarbeitende ins Homeoffice geschickt, vor allem die, von denen wir wussten, dass sie selbst bestimmte gesundheitliche Probleme haben oder wo es zu Hause Hochrisiko-Angehörige gibt“, sagt Max Spielmann. Nicht alle hatten damals schon ein passendes Laptop oder einen passenden Rechner daheim, um sich optional mit den Welde-Systemen zu verbinden. Außerdem hatte das Unternehmen nicht ad hoc ausreichend Geräte, um jeden Mobilarbeiter damit zu versorgen.
Dazu erzählt der Welde-Chef, dass er von mindestens einer Mitarbeiterin wisse, dass sie sich am letzten Öffnungstag eines großen Technikanbieters noch schnell ein neues Laptop kaufte, um im Homeoffice arbeiten zu können. Weil es auf die Schnelle vielfach anders nicht möglich war, haben Mitarbeitende zunächst eigene Geräte für die Arbeit im Homeoffice genutzt. „Der Run auf Notebooks war im Frühjahr 2020 so groß, dass wir kaum an ordentliche Hardware zu realistischen Preisen kamen. Deshalb sind wir aufrichtig dankbar, dass alle erstmal unbürokratisch so mitgemacht haben.“ Mittlerweile ist ausreichend Hardware vorhanden. Seit Sommer 2020 kann die Welde Braumanufaktur sehr flexibel auf die Pandemie reagieren, ohne dass es im Unternehmen zu Problemen kommt.
Maskenpflicht, Abstand, Plexiglas
„Ich bin ein Homeoffice-Skeptiker“, sagt Frank Schmeckenbecher. Der Geschäftsführer der Firma Krämer Pferdesport mit 1000 Beschäftigten, davon 400 in Hockenheim, denkt dabei an jene Familien – insbesondere die Mütter –, die nebenbei noch das Homeschooling zu managen haben. Im Gegensatz zu zahlreichen Einzelhändlern war das Geschäft mit Tiernahrung und -zubehör durchgehend geöffnet. Trotzdem habe der Versandhandel deutlich zugenommen, weist Schmeckenbecher auf die 53-jährige Erfahrung in diesem Vertriebszweig hin. Und wie steht es mit dem Gesundheitsschutz? Überall sei ausreichend Platz für Abstand. Auf dem gesamten Betriebsgelände herrsche Maskenpflicht und „unsere Kassen stehen mittlerweile hinter großen Plexiglasabtrennungen“, betont Schmeckenbecher. „Aber, trotz aller Sicherheitsvorkehrungen gab es einen Corona-Ausbruch im Lager“, schildert der Geschäftsführer die schwierige Situation, diesen Personalengpass zu kompensieren. Allerdings sei der Mitarbeitermangel im Logistikbereich grundsätzlich schon seit Jahren eine organisatorische Herausforderung.
Um die Prozesse zu optimieren und die Produktion unter Pandemiebedingungen aufrecht zu erhalten, hat die Welde in Produktion und Logistik die Schichten neu aufgebaut und damit entzerrt, sowohl zeitlich als auch personell: Mitarbeiter halten ausreichend Abstand und können trotzdem gut ihre Arbeit machen. Außerdem wurden generell die Brau- und Füllereipläne verändert. Auch den Mitarbeitern im Versandbüro wurde Homeoffice ermöglicht, damit in der zentralen Anlaufstelle der Lastwagen nur noch ein Mitarbeiter vor Ort im Büro ist und die anderen von zu Hause mitarbeiten. Das A und O sei viel Homeoffice und viel digitale Kommunikation, heißt es.
Wegen der umfangreichen Handarbeit und der produktionsbedingten Einzelüberwachung ist bei der unmittelbaren Kartonveredelung der Firma Knapp kein Homeoffice möglich. Das Unternehmen produziert im Zwei-Schicht-Betrieb. „Wir haben auf die Schichtübergaben verzichtet. Außerdem gibt es eine Pause von 15 Minuten zwischen den Schichtwechseln. Alle tragen Maske am Arbeitsplatz. Und im Herbst haben wir eine Grippeschutzimpfung angeboten“, weist Zeuner-Kiefer auf die Gesundheitsfürsorge als Arbeitgeber hin.
Zusätzlich wurden in den Büros und in der Produktion Plexiglasabtrennungen eingebaut. „Der Ernst der Lage war jedem bewusst. Alle Beschäftigten haben die Regeln mitgetragen“, lobt Geschäftsleitungsmitglied Zeuner-Kiefer die Belegschaft. Eigentlich wollte das Unternehmen im vergangenen Jahr sein 50-jähriges Bestehen groß feiern. Ebenfalls sei die Weihnachtsfeier ausgefallen, bedauert Zeuner-Kiefer den erzwungenen Verzicht auf Geselligkeit. Als Trostpflaster gab es einen 50-Euro-Gutschein für eine ortsansässige Location.
Eher Ausbau statt Abbau
Und wie geht’s weiter? Corona bleibt. Das weiß jeder oder ahnt es zumindest. Haben Sie deshalb über neue Geschäftsmodelle nachgedacht oder planen Sie Unternehmenszweige zu schließen? Eindeutig „Nein“, antwortet Max Spielmann. „Wir sind und bleiben Bierbrauer mit Herz und Leidenschaft. Und ganz im Gegenteil zu Schließungsgedanken werden wir – sobald die Gastronomie wieder öffnen kann – unseren neuen Kurpfalzbräu Brauereiausschank am Schwetzinger Schlossplatz eröffnen. Der ,Grüne Baum’ mit seiner großen Terrasse mit Blick aufs Schloss wartet ungeduldig mit uns darauf.“
„Zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit prüfen wir regelmäßig, welche Prozesse optimiert werden können“, erklärt Zeuner-Kiefer. „Bis Ende nächsten Jahres werden wir unseren Materialfluss neu organisieren.“ Möglich ist dies, weil die Firma Liqui-Box Germany ihren Standort in der Dortmunder und Essener Straße in Schwetzingen komplett aufgegeben hat (SZ berichtete am 16. Oktober). Das Grundstück im Gewerbegebiet „Lange Sandäcker“ ist nach wie vor im Besitz der Firma Kiefer + Knapp, Liqui-Box war nur Mieter. Die Firma Knapp integriert die nunmehr leerstehende Halle in ihre eigene Produktionsschiene. Zwar hat das Unternehmen Kunden aus Gastronomie und Handel verloren. Diese Verluste werden derzeit aber durch Verpackungen für Masken und Schnelltests kompensiert.
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