Theater am Puls

Suche nach Gerechtigkeit: Premiere für "Nichts, was uns passiert" in Schwetzingen

Das Theaterstück beleuchtet das heikle Thema sexueller Übergriffe, Identität und Meinungsbildung. Ein polarisierendes Drama, das zur Sensibilisierung aufruft. Die Premiere erfolgte mit anschließender Diskussionsrunde.

Von 
Marco Montalbano
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Noch verstehen sich die beiden Studierenden Jonas (Jonas Werling) und Anna (Laura Álvarez) gut – doch das soll sich bald ändern. © Marco Montalbano

Schwetzingen. Vergewaltigung. Schlimmer geht es kaum. Einer der Alpträume einer jeden Frau und eines jeden Menschen. Oft steht Aussage gegen Aussage. Und was, wenn viel Alkohol im Spiel ist und dadurch große Gedächtnislücken vorhanden sind? Mit dem Bühnenstück „Nichts, was uns passiert“ nach dem Debütroman von Bettina Wilpert aus dem Jahr 2018 bewies Intendant Joerg S. Mohr wieder einmal Mut. Denn es ist ein Thema, das polarisiert.

Es geht dabei darum, was eine solche Situation mit Menschen macht, wobei nicht nur die Frau, sondern auch der Mann in den Blickpunkt gerückt wird. Denn sind Anschuldigungen falsch, können diese einen Menschen schnell ins gesellschaftliche Aus treiben und dazu führen, dass jemand zu Unrecht alles verliert. Im Blickpunkt stehen auch die Menschen im Allgemeinen, die sich heute immer schneller eine Meinung und Haltung zulegen und diese zum Teil hoch aggressiv nach außen transportieren. So erscheint ein Dialog oft unmöglich.

Jonas Werling und Laura Álvarez gehen in ihren Rollen auf. © Marco Montalbano

Mohr ließ nach der Premiere die Zuschauer nicht mit dem Thema alleine und diskutierte mit ihnen zusammen mit den Schauspielern Laura Álvarez (Anna), Jonas Werling (Jonas) und Regieassistentin Daniel Kirschner.

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Anna und Jonas – sie ist 27, er 28 Jahre alt – sind beide Studenten an der Uni in Leipzig. Sie hat ihren Master in der Tasche, er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und schreibt an seiner Doktorarbeit. Sie begegnen und mögen sich, trinken zusammen einen Liter Wodka, landen sturzbetrunken im Bett und haben einvernehmlichen Sex. Sie lebt ihre Sexualität frei und oft aus. Männer kommen und gehen noch schneller. Sie ist an „nichts Festem interessiert.“ Er kommt gerade aus einer langjährigen Beziehung und sehnt sich nach Zärtlichkeit.

„Nichts, was uns passiert“ im Theater am Puls: Erinnerung ist lückenhaft

Sie treffen sich wieder, sie will nochmals unverbindlichen Sex. Er lehnt ab, denn eigentlich sei er nicht so der „One-Night-Stand-Typ“. Sie begegnen sich auf einer Party erneut und sind am Ende noch betrunkener als beim ersten Mal. Sie kann sich kaum auf den Beinen halten und am Ende liegen sie wieder gemeinsam in seinem Bett. Beide haben danach Gedächtnislücken, besonders sie. „Du hast mich geküsst.“ – „Nein das habe ich nicht“, antwortet Anna. Oder doch?

Diskutieren mit den Zuschauern: Laura Álvarez (v. l.), Jonas Werling, Regisseur und Intendant Joerg S. Mohr und Regieassistentin Daniela Kirschner. © Montalbano

Sie kann sich nur daran erinnern, dass er ihre Hose auszog. Die Penetration hätte wehgetan. Dann hätte sie sich hingegeben – oder den Widerstand gelassen? Die Sekunden habe sie gezählt – 1830 Sekunden hätte es gedauert. Wochen danach Panikattacken und Angstgefühle. Es sei, als wäre in ihrem Kopf ein großes weißes Loch. Erst Monate später erstattet sie, nach dem Rat einer Freundin, Anzeige. Es folgt ein Spießrutenlauf. Bohrende und als entwürdigend empfundene Fragen der Polizei, Frauen solidarisieren sich mit ihr, verurteilen und schneiden Jonas, der sich keiner Schuld bewusst ist. Er verliert seine Stelle, seine Freunde und seine Zukunft. Am Ende muss er Sozialhilfe beantragen. Zuschauerin Christiane Vogtmann meinte: „Ein schwieriges Thema in einem auch kurzweiligen Theaterstück dargestellt. In sich stimmig.“

„Nichts, was uns passiert“ im Theater am Puls: „Verhalten ist berechtigt“

In der eindeutigen Verurteilung einer furchtbaren Straftat dürften sich alle einig sein. In der Diskussion im Anschluss wurde allerdings deutlich, wie sehr das Thema in der dargestellten Form polarisierte. „Wie geht man an das Thema als Schauspieler heran?“, wollte jemand wissen. „Zuerst war die Rolle schwierig, da sie so irrational ist“, so Laura Álvarez und fuhr fort: „Was passiert ist, ist in Annas Wahrheit so passiert. Ihr Verhalten ist berechtigt.“

Die meisten Zuschauer bleiben noch für die Podiumsdiskussion im Anschluss. © Marco Montalbano

Eine Dame fragte: „Was ist Ihr Anliegen?“ Mohr antwortete: „Es ist ein vielschichtiges Thema und eine Suche nach Gerechtigkeit.“ Sein Ansinnen sei es, zu sensibilisieren: „Ein wichtiger Punkt ist, dass keiner außer Laura und Jonas dabei war. Aber trotzdem haben alle eine Meinung dazu. Heute bilden sich die Menschen oft vorschnell eine Meinung zu vielen Themen, obwohl sie keine Experten sind. Zuvor sollte man immer zwei Mal nachdenken. Zwischen Schwarz und Weiß gibt es meist noch viel Grau.“ Wichtig sei, aufeinander zugehen zu können.

Freier Autor Freier Journalist. Davor Pressereferent. Studium der Politikwissenschaft.

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