Schwetzingen. Die neue Vorsitzende des Freundeskreises Theater am Puls, Birgit Schillinger, attestierte jüngst dem Intendanten und Gründer des kleinen Schauspielhauses in der Marstallstraße in Schwetzingen, Joerg Steve Mohr, in einem Gespräch mit dieser Redaktion „enorm viel Mut“. Und als hätte es eines Beweises bedurft, steht auf dem Spielplan für diesen Freitag, 20. Oktober, mit „Nichts, was uns passiert“ nun ein Stück, mit dem Mohr sich und sein Theater sozusagen zwischen alle nur möglichen Stühle setzt.
Das Stück, in dem Laura Álvarez und Jonas Werling ein Tragödien-Universum rund um eine Vergewaltigung entfalten, wiegt Tonnen und macht es allen im Publikum schwer. Das war bei einer exklusiven Vorpremiere für die Mitglieder des Freundeskreises spürbar. Die öffentliche Premiere an diesem Freitag dürfte nicht anders werden – Karten gibt es noch! Und mehr: Joerg Steve Mohr weiß um die Tragweite des Stücks und dessen Inhalt. Er forciert daher im Anschluss eine Podiumsdiskussion, um die Menschen mit ihren Gedanken nicht allein nach Hause gehen zu lassen.
Kontroverse Theateraufführung in Schwetzingen: Sexuelle Gewalt und Gesellschaftsreflexion im Fokus
Vergewaltigung oder einvernehmlicher Sex? Aussage gegen Aussage. Ein Duopol, der niemals auch nur irgendwie zusammengeht. Und doch findet sich das Publikum genau mittendrin und ist gezwungen, sich zu orientieren. Das Feuer der Synapsen war bei der exklusiven Vorpremiere förmlich zu spüren. Gut und böse war nicht die Frage. Es ging um Verletzung, Enttäuschung, Vertrauen, wie mit umgehen, was tun und wie weiter. Nichts Klares oder Greifbares, aber genau deswegen ist dieses Stück großartig und bringt das Beste im Menschen hervor: das wirkliche Nachdenken und Nachempfinden jenseits aller vorschnellen Stereotypen.
Die Eckdaten des 2018 von Bettina Wilpert geschriebenen Werks sind schnell erzählt. Anna, gerade mit ihrem Studium fertig, und Jonas, mitten in seiner Doktorarbeit, begegnen sich in der Bibliothek. Ausgelassene Sommerstimmung, Gespräche über Literatur und Alkohol führen sie gemeinsam ins Bett. Alles ist gut. Einige Zeit später begegnen sie sich auf einer Geburtstagsfeier wieder. Erneut viel Alkohol und wieder Sex. Aber dieses Mal ist nichts gut. Für ihn: „Wir waren betrunken und hatten Sex, das passiert.“ Für sie: „Ich habe nein gesagt.“ Dazwischen erschütternde Stille und drumherum eine genauso erschütternd laute Gerüchte- und Interpretationsküche, die das Leidlevel noch weiter in die Höhe treibt.
Theatererlebnis in Schwetzingen: Gesellschaftliche Komplexität und Schauspielkunst
Gesellschaftliche Dynamiken sind nie gerecht, zu viel Macht und Ohnmacht, zu viele Urteile und zu wenig Verantwortung vertreiben Betroffene zusätzlich aus ihrem Leben. Das alles spielen die beiden Schauspieler grandios. So grandios, dass es sich am Ende fast komisch anfühlte, die beiden Hand in Hand beim Verbeugen zu sehen. Es ist wirklich zutiefst berührendes und aufwühlendes Theater. Die alten Griechen mit ihrem Anspruch, Welten zu zeigen, die es nicht erlauben, sich mit einem „Held“ zu identifizieren, und damit fatale und vor allem komplexe gesellschaftliche Strukturen zu offenbaren, wären auf Mohr, Álvarez, Werling und das ganze Theater-am-Puls-Team stolz gewesen. Gesellschaft und das Leben darin ist allzu oft weitaus komplizierter als die Geschichte von Gut und Böse. Das zu wissen und zu leben, ist wichtig für eine anständige Gesellschaft.
Ganz zu anfangs erschienen auf einem Bildschirm Sätze rund um sexuelle Gewalt und den gesellschaftlichen Umgang damit. Einer lautete, wenn sich jemand noch nie mit dem Thema sexualisierte Gewalt auseinandergesetzt hat, ist alles, was er denkt, entweder falsch oder stereotyp. Für alle die, die dieses wichtige Stück gesehen haben, dürfte das so nicht mehr vollends stimmen. Das ist nicht wenig.
Info: Die Premiere „Nichts, was uns passiert“ im Theater am Puls ist am Freitag, 20. Oktober, 20 Uhr. Karten gibt es im SZ-Kundenforum, Carl-Theodor-Straße 2 und unter www.theater-am-puls.de.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-sexualisierte-gewalt-als-buehnenstueck-in-schwetzingen-_arid,2136709.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen.html
[2] https://www.theater-am-puls.de