Theater am Puls

Sexualisierte Gewalt als Bühnenstück in Schwetzingen

Das Theater am Puls bringt das Stück "Nichts, was uns passiert" auf die Bühne, das Gesellschaft und sexuelle Gewalt auf komplexe Weise beleuchtet. Die Aufführung verspricht eine intensive Erfahrung und wird durch eine Podiumsdiskussion vertieft.

Von 
Stefan Kern
Lesedauer: 
„Nichts, was uns passiert“ – oder doch? Laura Álvarez als „Anna“ und Jonas Werling als „Jonas“ trinken gemeinsam und dann passiert’s. . . . nur was eigentlich wirklich? © Nicole Boehm

Schwetzingen. Die neue Vorsitzende des Freundeskreises Theater am Puls, Birgit Schillinger, attestierte jüngst dem Intendanten und Gründer des kleinen Schauspielhauses in der Marstallstraße in Schwetzingen, Joerg Steve Mohr, in einem Gespräch mit dieser Redaktion „enorm viel Mut“. Und als hätte es eines Beweises bedurft, steht auf dem Spielplan für diesen Freitag, 20. Oktober, mit „Nichts, was uns passiert“ nun ein Stück, mit dem Mohr sich und sein Theater sozusagen zwischen alle nur möglichen Stühle setzt.

Szene aus „Nichts, was uns passiert“. © Nicole Boehm

Das Stück, in dem Laura Álvarez und Jonas Werling ein Tragödien-Universum rund um eine Vergewaltigung entfalten, wiegt Tonnen und macht es allen im Publikum schwer. Das war bei einer exklusiven Vorpremiere für die Mitglieder des Freundeskreises spürbar. Die öffentliche Premiere an diesem Freitag dürfte nicht anders werden – Karten gibt es noch! Und mehr: Joerg Steve Mohr weiß um die Tragweite des Stücks und dessen Inhalt. Er forciert daher im Anschluss eine Podiumsdiskussion, um die Menschen mit ihren Gedanken nicht allein nach Hause gehen zu lassen.

Kontroverse Theateraufführung in Schwetzingen: Sexuelle Gewalt und Gesellschaftsreflexion im Fokus

Vergewaltigung oder einvernehmlicher Sex? Aussage gegen Aussage. Ein Duopol, der niemals auch nur irgendwie zusammengeht. Und doch findet sich das Publikum genau mittendrin und ist gezwungen, sich zu orientieren. Das Feuer der Synapsen war bei der exklusiven Vorpremiere förmlich zu spüren. Gut und böse war nicht die Frage. Es ging um Verletzung, Enttäuschung, Vertrauen, wie mit umgehen, was tun und wie weiter. Nichts Klares oder Greifbares, aber genau deswegen ist dieses Stück großartig und bringt das Beste im Menschen hervor: das wirkliche Nachdenken und Nachempfinden jenseits aller vorschnellen Stereotypen.

Mehr zum Thema

Im Interview

Tod eines Handlungsreisenden: Arthur Millers Meisterstück in Schwetzingen

Veröffentlicht
Von
Noah Eschwey
Mehr erfahren
Theater am Puls

Birgit Schillinger an der Spitze des Freundeskreises Schwetzinger TaP

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren
Im Interview

Theater am Puls in Schwetzingen: Walter Imhof blickt zufrieden zurück

Veröffentlicht
Von
Katja Bauroth
Mehr erfahren

Die Eckdaten des 2018 von Bettina Wilpert geschriebenen Werks sind schnell erzählt. Anna, gerade mit ihrem Studium fertig, und Jonas, mitten in seiner Doktorarbeit, begegnen sich in der Bibliothek. Ausgelassene Sommerstimmung, Gespräche über Literatur und Alkohol führen sie gemeinsam ins Bett. Alles ist gut. Einige Zeit später begegnen sie sich auf einer Geburtstagsfeier wieder. Erneut viel Alkohol und wieder Sex. Aber dieses Mal ist nichts gut. Für ihn: „Wir waren betrunken und hatten Sex, das passiert.“ Für sie: „Ich habe nein gesagt.“ Dazwischen erschütternde Stille und drumherum eine genauso erschütternd laute Gerüchte- und Interpretationsküche, die das Leidlevel noch weiter in die Höhe treibt.

Theatererlebnis in Schwetzingen: Gesellschaftliche Komplexität und Schauspielkunst

Gesellschaftliche Dynamiken sind nie gerecht, zu viel Macht und Ohnmacht, zu viele Urteile und zu wenig Verantwortung vertreiben Betroffene zusätzlich aus ihrem Leben. Das alles spielen die beiden Schauspieler grandios. So grandios, dass es sich am Ende fast komisch anfühlte, die beiden Hand in Hand beim Verbeugen zu sehen. Es ist wirklich zutiefst berührendes und aufwühlendes Theater. Die alten Griechen mit ihrem Anspruch, Welten zu zeigen, die es nicht erlauben, sich mit einem „Held“ zu identifizieren, und damit fatale und vor allem komplexe gesellschaftliche Strukturen zu offenbaren, wären auf Mohr, Álvarez, Werling und das ganze Theater-am-Puls-Team stolz gewesen. Gesellschaft und das Leben darin ist allzu oft weitaus komplizierter als die Geschichte von Gut und Böse. Das zu wissen und zu leben, ist wichtig für eine anständige Gesellschaft.

Mehr zum Thema

Theater am Puls

Theater am Puls Schwetzingen enthüllt Spielzeit 2023/24 mit fünf Premieren

Veröffentlicht
Von
Katja Bauroth
Mehr erfahren
Theater am Puls

Schwetzinger Schüler zu Gast beim Theater am Puls

Veröffentlicht
Von
Nicolai Lehnort
Mehr erfahren
Im Interview

Daniele Veterale: Vielseitiger Schauspieler verlässt Theater am Puls in Schwetzingen

Veröffentlicht
Von
Maria Herlo
Mehr erfahren

Ganz zu anfangs erschienen auf einem Bildschirm Sätze rund um sexuelle Gewalt und den gesellschaftlichen Umgang damit. Einer lautete, wenn sich jemand noch nie mit dem Thema sexualisierte Gewalt auseinandergesetzt hat, ist alles, was er denkt, entweder falsch oder stereotyp. Für alle die, die dieses wichtige Stück gesehen haben, dürfte das so nicht mehr vollends stimmen. Das ist nicht wenig.

Info: Die Premiere „Nichts, was uns passiert“ im Theater am Puls ist am Freitag, 20. Oktober, 20 Uhr. Karten gibt es im SZ-Kundenforum, Carl-Theodor-Straße 2 und unter www.theater-am-puls.de.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

Copyright © 2025 Schwetzinger Zeitung