Kolumne SWR Festspiele Schwetzingen: Hintergründe der Stücke im Blick

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Jakob Roth
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Schwetzingen. Manchmal ist es schon verlockend anzunehmen, dass Komponisten ihre Schicksale in ihrer Musik verarbeiten. Das bekannteste Beispiel: Beethoven verliert sein Gehör und komponiert sofort seine düstere Klaviersonate „Pathétique”, in der das Leid aus jedem Akkord quillt.

Doch ist das wirklich so einfach? Diese Frage stellte sich mir am Wochenende bei den Schwetzinger SWR Festspielen. Hier waren die beiden Streichsextette von Johannes Brahms zu hören. Das sind Stücke, die viele Bezüge zu Brahms Privatleben haben sollen. Seine gescheiterte Liebe zu Agathe von Siebold wird mit der Tonfolge A-G-A-H-E kommentiert. Einzelne musikalische Elemente erinnern an Robert Schumann, der für Brahms ein enger Freund war. Ich fragte mich: Wie stark sind das Leben und das Schaffen von Komponisten miteinander verbunden?

Bei aller Interpretation ist meiner Meinung nach Vorsicht geboten. Romantische und klassische Werke unterscheiden sich meist sehr stark, wenn es um die Verarbeitung von persönlichen Gefühlen geht. Denn nicht jeder Affekt, der in klassischer Musik transportiert wird, steht mit dem Leben des Komponisten in direkter Verbindung. Für Mozart war es sogar ein echter Graus, eigene Gefühle in die Musik einfließen zu lassen. Trotzdem komponierte er kurz nach dem Tod seiner Mutter eine seiner dramatischsten Klaviersonaten in a-Moll. Ebenso sind Beethovens Sinfonien, so stürmisch sie auch teilweise klingen mögen, kein endgültiger Beweis für seine eigenen intimen Gedanken. Auch sind Namen wie „Schicksalssinfonie” oder „Mondscheinsonate” erst von Dritten zu seinem Werk kommentierend hinzugedichtet worden.

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Sicher sind für viele Komponisten persönliche Erfahrungen eine unabdingbare Inspiration. Vor allem bei Werken der Wiener Klassik ist das aber oft schwer zu belegen, es fehlen meist persönliche Stellungnahmen der Komponisten. Damals gab es eben keine Interviews und Youtube-Kanäle, auf denen sich Mozart oder Beethoven hätten äußern können. Romantiker wie Johannes Brahms kommunizieren ihre Gefühle offener: Im Fall des Streichsextetts hat Brahms sogar zugegeben, sich mit den Werken von „seiner letzten großen Liebe” abgewendet zu haben.

Dieses Thema ist einfach spannend. Und auch heute gibt es die Frage nach dem Hintergrund von Musikstücken. Wir möchten wissen, was Komponist oder Sänger „XY” denn so zu seinen Songs inspiriert. Doch manchmal müssen wir akzeptieren, dass diese Frage nicht beantwortet werden kann: Das Prinzip „dunkle Zeiten, dunkle Klänge” gilt eben nicht immer.

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