Lutherhaus (mit Fotostrecke)

Talk in Schwetzingen: Wie ein Pizzakarton Béla Réthy in Wembley rettet

Béla Réthy ist eine Legende unter den Fußballkommentatoren im deutschen Fernsehen - und er pflegt Verbindungen in die Kurpfalz. Doch nicht nur deshalb war er Talkgast in Schwetzingen, wo er aus dem Nähkästchen plauderte.

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Nicolai Lehnort
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Zwei Sportreporterlegenden auf einer Bühne: Andreas Lin, langjähriger Sportchef dieser Zeitung, im Gespräch mit TV-Urgestein Béla Réthy. © Andreas Gieser

Schwetzingen. Beinahe 400 Fußballspiele hat er live kommentiert. Da einen Höhepunkt zu finden - nicht leicht. Und doch verrät Béla Réthy schon früh am Abend eines der Highlights seiner fast 40 Jahre langen Karriere als Sportreporter beim ZDF: das Finale der Europameisterschaft 1996 in London. Oliver Bierhoff hatte das erste Golden Goal der Fußballgeschichte zum 2:1-Erfolg der deutschen Nationalmannschaft gegen Tschechien geschossen - und Béla Réthy war als Kommentator bei seinem ersten Endspiel live dabei.

„Das war sehr emotional. In diesem Spiel war alles drin an Geschichten“, sagt er rückblickend. Und natürlich versieht er dieses historische Ereignis gleich noch mit einer wahnwitzigen Anekdote - wie so oft an diesem Abend im Schwetzinger Lutherhaus. So viel vorweg: Ohne einen Pizzakarton wäre er in Wembley aufgeschmissen gewesen.

Beifall für Béla Réthys Haltung in Bezug auf die WM-Vergabe nach Katar

Doch der Reihe nach: Béla Réthy kann mit seinen 67 Jahren eine bewegte Vita vorweisen. Das wurde gleich zu Beginn des Talks, durch den Andreas Lin als Sportchef dieser Zeitung führte, klar. Als Sohn ungarischer Eltern wurde Béla Andreas Réthy 1956 in Wien geboren. Mit nur sechs Monaten ging es für ihn „in einem Wäschekorb auf einem Flüchtlingsschiff nach Brasilien“, zu seinen Großeltern, wie er erzählt, die Ungarn bereits 1949 gen Brasilien verlassen hatten. Béla Réthy verbrachte seine Kindheit in São Paulo. Von dort habe er „die Beklopptheit für den Fußball“, schließlich gab es im Sportunterricht in der Schule immer nur KIcken. Schon als Dreijähriger imitierte er die brasilianischen Radiomoderatoren beim Fußball.

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Béla Réthy wuchs zweisprachig auf: Ungarisch und Portugiesisch. Deutsch war nicht dabei. „Aber fürs Fernsehen hat’s trotzdem gereicht“, sagt er lachend. Genau wie die rund 200 Besucher im Publikum, die der Mann mit der markanten Stimme schon nach den ersten Späßen in der Tasche hat. Immer wieder sorgt er mit pointierten Aussagen für Amüsement, mit klaren Haltungen für Beifall. Etwa, als Béla Réthy den Weltverband Fifa für die Vergabe der WM nach Katar kritisiert. „Bei Sepp Blatter haben wir gedacht, sie haben das Höchstmaß an Korruption erreicht - und dann kam Gianni Infantino“, kritisiert er offen. Auch gegen Béla Réthy keimte als Stimme des Fußballs im deutschen Fernsehen regelmäßig Kritik auf. Sein Stil sei zu langweilig, einschläfernd. Damit geht er souverän um. „Das gehört zum Leben. Wer will schon jedem gefallen?“ Der Applaus der Zuschauer gibt ihm recht.

Aus seiner einstigen Heimat behalten hat Béla Réthy sich bis heute die Mentalität. „Die nötige Gelassenheit hilft bei Krisen“, sagt der 67-Jährige. So wie 1996 beim EM-Finale im Wembley-Stadion. Es war das erste Turnier, bei dem Laptops zum Einsatz kamen. All seine Notizen zum Endspiel hatte er digital eingetippt. Doch am Tag selbst streikte die Technik, nichts war zu retten.

Ein Blick ins Publikum im Lutherhaus. Aufmerksam lauschen die Gäste den Ausführungen des Talk-Gespanns auf der Bühne. © Andreas Gieser

Auf dem Weg zum Stadion habe sein Kollege Martin Schneider (Réthy: „Der hat wirklich immer Hunger“) dann schnell zwei Pizzen gekauft. „Auf der Rückseite des Pizzakartons habe ich mir dann alles aus dem Kopf aufgeschrieben“, erzählt er - und damit von den Kommentatorenplätzen aus das Endspiel der Fußball-EM vor 34 Millionen deutschen TV-Zuschauern begleitet. „Wenn du das überstehst, steht dir eine große Karriere bevor“, habe er sich gedacht.

Als jugendlicher Ausreißer schläft Béla Réthy in einer Telefonzelle

Béla Réthys Weg aus Brasilien nach Deutschland führte ihn einst über ein ungarisches Internat in Oberbayern. Der zehnjährige Béla habe als „schwer erziehbar“ gegolten, erzählt er. Das wies er im Internat gleich nach, als er gemeinsam mit einem Freund abhauen wollte. Zwei Nächte in einer Telefonzelle später und 19 Kilometer vom Internat entfernt, endete die kurze Reise. Die Polizei fand die beiden Kinder. „Ich werde wieder abhauen, wenn ihr mich hier nicht rausholt“, habe der rebellische Junge damals zu seinen Eltern beim Ferngespräch gesagt. Diese persönlichen Einblicke sind es, die Besucher Manfred Hey gefallen. „Es wurde über viel Privates gesprochen, nicht nur über Fußball“, sagt der Ketscher und lobt die menschliche Seite des Reporters: „Er ist wirklich unwahrscheinlich nett.“

Als Taxifahrer findet Réthy den Weg zum Fernsehen

Die Eltern von Béla Réthy kamen nach Deutschland, als er zwölf Jahre alt war. Sie wurden im Rhein-Main-Gebiet sesshaft. Noch heute lebt Béla Réthy in Wiesbaden. Er machte dort sein Abitur und begann 1977 in Mainz ein Publizistikstudium. Nebenbei verdiente der Student sich sein Taschengeld als Taxifahrer - und fand dadurch den Weg zum ZDF. Der damalige Sportchef Hanns Joachim Friedrichs sei sein Fahrgast gewesen. Von ihm erfuhr er, dass der Sender sich auf der Suche nach einem Helfer fürs Archiv befinde. Der erste Fuß war in der Tür.

Und mit seinem Sprachtalent öffneten sich rasch weitere Wege. Als der Hamburger SV im Europapokal auf einen spanischen Vertreter traf, sollte dieser vorgestellt werden. Béla Réthy war der einzige Spanisch sprechende Mitarbeiter. Dank des Portugiesischen beherrschte er auch Spanisch. Heute spricht er außerdem Englisch, Französisch, Ungarisch und Deutsch. Schnell hatte er den Ruf des sprachlichen Alleskönners und stand immer öfter vor der Frage: „Fliegst du nach Spanien oder machst du deinen Statistikschein?“ Das Studium fiel der Karriere als Sportreporter zum Opfer, die Béla Réthy ab 1987 fest angestellt beim ZDF verfolgte. Seine erste WM hatte er als freiberuflicher Assistent schon ein Jahr zuvor in Mexiko erlebt.

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Auf diese Zeit blickt der Reporter mit schönen Erinnerungen zurück: „Die Zugangsmöglichkeiten zu Weltstars waren damals anders als heute.“ Wer etwas wissen wollte, sei eben ins Training gegangen und habe die Profis einfach gefragt. „Heute gibt es gleich ganze Bücher voller Statistik“, zieht Béla Réthy einen Vergleich. Ohnehin schimmert hier und da leise Kritik an der überbordenden Berichterstattung durch die inzwischen zahllosen Angebote auf unterschiedlichen Plattformen durch. Wie auch an der heutigen Blase des Profifußballs. David Beckham habe ihm einst nach einem Spiel ein Interview im Kabinentrakt geben wollen - bis ein Offizieller dazwischenkam. „Nach ein paar Sätzen hat er ihn beiseitegezogen“, schildert der Reporter beispielhaft, wie der Fußball sich immer mehr zu einem Geschäft entwickelt.

Seit 1986 Teil der deutschen Fernsehgeschichte

Seit 1986 war Béla Réthy für das ZDF Teil der deutschen Fernsehgeschichte. Er war bei allen Welt- und Europameisterschaften mit von der Partie. Die Reporterlegende verfügt über einen schier unerschöpflichen Erfahrungsschatz. Dazu gehört die „legendäre Situation“ (Rethy) beim EM-Halbfinale 2008, als das Fernsehbild für 16 Minuten ausfiel. Erfahren habe er das erst, als die Zuschauer schon acht Minuten auf einen schwarzen Bildschirm starrten - von seinem Pizzakarton-Weggefährten Martin Schneider. „Das ist der stoischste Mensch der Welt“, sagt Béla Réthy. „Aber da wurde selbst er unruhig.“ Er habe dann eben Radio gemacht. „Das war ungewohnt - und gar nicht so gut“, schaut er kritisch zurück - trotzdem gab’s dafür einen Fernsehpreis.

Die Gäste können am Schluss noch elf Fragen an Béla Réthy stellen. © Andreas Gieser

Seinen emotional schwierigsten Moment erlebte Béla Réthy bei der EM 2021, als der Däne Christian Eriksen einen Herzstillstand auf dem Platz erlitt. „Da habe ich mich als Reporter komplett rausgenommen“, schaut er zurück. Schließlich müssten die Informationen mit äußerster Vorsicht verarbeitet werden. Später wurde die Partie wieder angepfiffen. An Fußball dachte da niemand mehr. Weiter zu kommentieren, sei „das Schwierigste“ gewesen, erzählt der Reporter.

Vor der EM im Juni kehrt Béla Réthys Stimme noch mal zurück

Am Tag seines 66. Geburtstags, im Dezember 2022, erklang seine Stimme ein letztes Mal als ZDF-Kommentator, beim WM-Halbfinale in Katar. Zum Abschied rief ihn gar die kürzlich verstorbene Fußball-Ikone Franz Beckenbauer an: „Es tut mir in der Seele weh, dass Du aufhörst“, habe der Kaiser gesagt. Die EM im eigenen Land, sie wird für zahllose Fußballfans das erste Fußballgroßereignis ohne die wohl bekannteste Stimme im deutschen Sportfernsehen. „Das wird seltsam“, verrät Béla Réthy im Gespräch nach der Veranstaltung.

Stefanie Ansorge freut sich über den Hauptpreis. © Andreas Gieser

Ganz weg vom Fenster ist er aber doch noch nicht. Schließlich habe er nur aufgehört, weil er musste - der Rentenregelung wegen. Vor der EM ist Béla Réthy bei MagentaTV zu hören, stimmt auf das Turnier ein. „Inzwischen glaube ich sogar, dass wir in der Vorrunde nicht ausscheiden“, sagt er schmunzelnd im Hinblick auf die letzten Testspielergebnisse.

Den Weg zum Talk nach Schwetzingen ebnete übrigens Bélas Onkel Alexander Réthy, der in Ketsch wohnt. Als ältestes Mitglied des Fördervereins für Städtepartnerschaften Schwetzingen hat der gebürtige Ungar den Kontakt zu Béla Réthy hergestellt. „Jetzt, wo er in Rente ist, hat es nach mehreren Anläufen endlich geklappt“, freut sich auch der Ehrenvorsitzende des ausrichtenden Vereins, Gabor Kollanyi.

Volontariat Nicolai Lehnort ist seit Juli 2023 Volontär.

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