Von Janine Ak
Tamara Stefanovich gehört zu den renommiertesten Interpretinnen und Vermittlerinnen Neuer Musik. Am Mittwoch, 24. Mai, ist sie um 19.30 Uhr bei den Schwetzinger Festspielen live zu erleben. Wir haben mit der Pianistin vorab gesprochen, was sie mit dem Publikum vorhat und warum man ihren Auftritt auf keinen Fall verpassen sollte.
Frau Stefanovich, Sie haben an der Uni Belgrad im Alter von 13 Jahren begonnen, Musik zu studieren. Wie kamen Sie zur Neuen Musik?
Tamara Stefanovich: Spät, erst mit 24 Jahren an der Kölner Hochschule. Pierre-Laurent Aimard hat einen Workshop über Boulez‘ Structures 2 gegeben. Ich stand da, schaute auf das Poster und dachte: Wer ist Boulez und was sind Structures 2? Wenn man so viele Fragen hat, muss man doch hingehen! Zum ersten Mal war ich ohne Meinung, aber transportiert in eine andere Welt, in der ich nichts verstanden habe, aber auch nichts verstehen wollte. Das war befreiend, und gleichzeitig wollte ich komplett dazugehören. Wenn man sich ins Ungewisse bewegt, ohne es bewerten zu müssen und zu wollen, kann man viel mehr erleben. Das war der entscheidende Moment. In Ex-Jugoslawien und in Curtis hatte ich nur minimal Zugang zur Neuen Musik - da war leider die Glamour-Idee vom erfolgreichen Solo-Musiker immer wichtiger als die vom Musiker als Entdecker und Vermittler.
Selbst ausgebildete Musiker können Neue Musik nicht auf Anhieb „vom Blatt“ spielen, weil sie unkonventionell notiert ist. Wie erschließen Sie sich die Werke?
Tamara Stefanovich: Wie jede gute Literatur oder Malerei. Man schaut, was überwiegt: der Wunsch nach Architektur oder nach besonderem akustischen Material. Hat es viele oder wenige Noten, braucht es große oder minimale Gesten, usw. Es ist eine Arbeit für Kreative, für Leute, die einen inneren Reichtum an Ideen und Erlebnissen haben und was Neues erleben wollen. Keine Arbeit, wo man einen schnellen, sicheren Weg kopiert und sich nur aufs Ziel freut. Wenn Sie zum Beispiel eine Partitur von Kurtag öffnen, sehen Sie, dass er konzentriert im Zeitrahmen ist, wenige Noten braucht, aber viele Kontraste einbaut. Was sagt uns das? Das sind wie Aphorismen, wo man wie ein guter Schauspieler alles genauestens abwägen muss und eine gut portionierte Menge an Noten ins Ohr tröpfeln lassen soll - keine generalisierten Tsunamis an Phrasen.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass sich das Publikum noch immer nicht in gleichem Maße für Neue Musik begeistern lässt wie für die „Klassiker“?
Tamara Stefanovich: Da sprechen Sie von Quantität, und die ist nicht immer entscheidend. Es gibt mehr Leute, die sich für Beyoncé begeistern als für Bach. Das heißt aber nicht, dass Beyoncé schlecht ist und die Leute dumm, sondern dass jede Musik ein Publikum hat. Ich entscheide mich, so wie jeder Künstler sich entscheiden muss, für das, was ich als wesentlich empfinde: Erfolg zu messen gehört für mich nicht zur Kunst. Ich höre seit 40 Jahren, dass die Neue Musik nicht überleben wird, aber ich erlebe etwas völlig anderes. Avantgarde war der Gesellschaft immer voraus. Sie schaut nicht, ob die Masse mitkommt, sondern ist nur daran interessiert, uns weiterzubringen. Aber eine Gegenfrage: Verstehen Sie die letzten Beethoven-Quartette? Verstehen Sie Machaut?
Was können Veranstalter, Musiker und das Publikum selbst dafür tun, dass Neue Musik mehr akzeptiert wird?
Tamara Stefanovich: Man kann Familien von Komponisten aus verschiedenen Epochen bilden und so zeigen, dass die neueren Komponisten von irgendwoher kommen. Sie sind doch keine Aliens, die einfach auf den Planeten Erde geplumpst sind. Kein Beethoven ohne Bach und Monteverdi, kein Bartok ohne Beethoven, kein Kurtag ohne Bartok. Aber es muss nach vorne schauend sein: Nicht diese ständige 19.-Jahrhundert-Melancholie in sich tragen, dass früher alles besser war. Weniger beurteilen, mehr experimentieren! Wenn ich Neue Musik an Kinder vermittle, haben die nie Probleme oder Affinitäten. Es geht nur um interessante oder langweilige Musik. Auch Sprache empfinden sie nicht als neu oder fremd. Das heißt, das Problem sind Gewohnheiten - und die waren immer tödlich für die Kunst.
Sie werden bei Ihrem Klavierabend in Schwetzingen Werke von Beethoven, Debussy, Skrjabin und Rachmaninow zeitgenössischen Werken von Messiaen, Bacewicz, Ligeti und Nicolaou gegenüberstellen. Warum?
Tamara Stefanovich: Es ist keine Gegenüberstellung, keine Provokation, sondern eine Cocktail-Party mit Leuten, die sich noch nie getroffen haben - das ist viel lustiger. Ich erzähle die Geschichte der Musik, sie gehört uns allen. Dafür nehme ich zwei kurze Formen, Bagatellen und Etüden, als Leitmotiv. Die musikalischen Formen sind wie ausgeschnittene Papierformen von Puppen, die man mit immer wechselnder Kleidung neu gestaltet.
Sie sind nicht nur eine erfahrene Interpretin zeitgenössischer Musik, sondern setzen sich auch sehr für ihre Vermittlung ein. Was planen Sie für Schwetzingen? Werden Sie während des Konzerts die Werke erklären und analysieren?
Tamara Stefanovich: Das überlasse ich tatsächlich meiner Tagesform. Ob ich das Publikum ganz überrasche oder ein paar Fenster öffne und zeige, wo es gucken soll, weiß ich noch nicht. Ich bin gespannt und überrasche mich selbst. Eine durchgeplante Moderation mache ich nie: Ich muss die Energie des Publikums erst erspüren.
Sie unterrichten an der Accademia di Musica di Pinerolo bei Turin und sind Jurorin internationaler Wettbewerbe. Was versuchen Sie, Ihren Studenten mitzugeben? Wann ist für Sie ein musikalischer Vortrag gelungen?
Tamara Stefanovich: Wenn mich die Studenten nicht mehr brauchen und gelernt haben, selbstständig zu denken. Das ist optimal. Die Idee vom pädagogischen Guru verabscheue ich: Das ist toxisch und nimmt den jungen Leuten ihre eigene Kraft und Inspiration. Natürlich habe ich ein bestimmtes Wissen durch meine jahrelange Erfahrung und mein großes Repertoire von knapp 60 Klavierkonzerten. Dazu kommen Erfahrungen in der Arbeit mit Komponisten, die ich weitergeben will. Aber vor allem will ich die Art zu denken und die Experimentierfreudigkeit weitergeben.
Warum sollte das Publikum Ihren Konzertabend in Schwetzingen unbedingt besuchen?
Tamara Stefanovich: Wenn Sie schauen wollen, ob György und Ludwig sich streiten oder zusammen einen Schnaps trinken, dann kommen Sie!
Wann wäre der Abend für Sie gelungen?
Tamara Stefanovich: Wenn man etwas erlebt, das man nicht erwartet hat. Wenn man nach Hause geht und vielleicht probiert, kreativer zu sein im Denken, beim Sprechen, beim Kochen, bei der Arbeit, sodass die Kreativität mehr Platz in unserem Leben einnimmt und wir uns vom Streben nach Sicherheit und Erfolg wegbewegen.
- Klavierabend Tamara Stefanovich: Mittwoch, 24. Mai, 19.30 Uhr, Mozartsaal Schloss Schwetzingen. Einführung: 18.30 Uhr, Jagdsaal. Karten von 19 bis 59 Euro gibt es im SZ-Kundenforum, bei der Hotline 07221/30 01 00 und unter www.swr.de/swrclassic/schwetzinger-festspiele.
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