Schwetzingen. Mauern tauchen auf, immer wieder, grenzen ab, behindern, stellen sich den Menschen in den Weg. Auf der einen Seite wird zu lustiger Musik gefeiert, während anderswo auf der Welt und teils vor der eigenen Haustüre andere auf der Flucht sind, in Lebensgefahr schweben, misshandelt oder ausgebeutet werden. Viele sterben dabei.
Mit eindrucksvollem Schauspiel vermittelten Federica Belmessieri, Denis Campitelli, Tanja Hartmann, Angela Pezzi, Maria Regosa und Renato Valmori vom italienischen Teatro Due Mondi aus Faenza in einem einstündigen Auftritt vor dem Lutherhaus Eindrücke von Mauern, Grenzen, Zäunen, physische wie zwischenmenschliche. Sie erreichten die Herzen der Menschen, die mit den Protagonisten erkennbar mitfieberten und mitlitten. Die zweite und letzte Aktion der außerplanmäßig auch dieses Jahr in Schwetzingen stattfindenden Interkulturellen Woche (wir berichteten) vermittelte Inhalte auf universell verständliche Weise jenseits aller Sprachbarrieren, die zum Nachdenken anregten.
Mauern in den Köpfen
Margit Rothe, Gemeindediakonin der evangelischen Kirche hieß die Zuschauer willkommen, die schon zahlreich auf den bereitgestellten Bänken Platz genommen hatten. Nach einleitenden Worten richtete sie ihren Dank an Maria Thöle von der Migrationsberatung des Diakonischen Werkes für die Herstellung des Kontaktes: „Danke, dass du das Teatro Due Mondi ‚gefunden‘ hast. Es gibt nicht nur echte, sondern auch Mauern in den Köpfen der Menschen und wir sind schon ganz neugierig, wie man diese zum Einsturz bringen könnte.“
Auch der ehemalige Landtagsabgeordnete Manfred Kern (Grüne) war anwesend und verfolgte das Schauspiel aus der ersten Reihe. Er war es, der als Sprecher der AKSU, der Arbeitsgemeinschaft der Kulturvereine Schwetzingen und Umgebung, die zuerst gar nicht so sichere Anreise und Unterbringung der Straßentheatergruppe „in trockene Tücher“ gebracht und so den Auftritt letztendlich ermöglicht hatte.
„Legalisiere mich“
Sechs Schauspieler stehen auf der kleinen Bühne und singen im Brecht’schen Stil von einem Garten, in dem Kinder aus allen Teilen der Welt gemeinsam und ohne Abgrenzungen miteinander spielen. Die Sprache ist mal Deutsch, mal Italienisch. Doch die vier noch auf dem Boden vor ihnen liegenden metallenen Trennwände lassen nichts Gutes ahnen.
Schnell werden die Themen Flucht und Vertreibung erkennbar. Menschen irren umher, Bomben fliegen, Maschinengewehre rattern. Ein Zettel geht an Manfred Kern, der kurzfristig eingebunden wurde. Er liest, dass alles „normal“ ist zuhause – für uns. Im Kleinen sei alles nur auf Zeit, aber die Mauern in den Städten, die würden bleiben. Die Geflüchteten tanzen zum „Immigrant Punk“ der New Yorker Gruppe „Gogol Bordello“, die traditionelle Musik der Roma mit Punk und Dub mischen.
Immer wieder ertönt „legalize me“, also „legalisiere mich“, womit der Aufruf gemeint ist, einen gültigen Aufenthaltstitels zu gewähren. Dann erklingen südamerikanische Töne, ein Pärchen in eleganter Kleidung tanzt ausgelassen. Sorglosigkeit und Leichtigkeit des Seins wird dem Leiden gegenüber gestellt.
Die Mauern werden umher gefahren, werden angegriffen. Eine Frau klopft verzweifelt dagegen, während auf der anderen Seite gefeiert wird. Man sieht ein Boot der Küstenwache. Ein Rettungsring wird geworfen, doch er nützt nichts mehr. Es ist zu spät. Eine Frau wird an einer Staatsgrenze angeschrien, doch sie versteht nicht, hält verzweifelt ihren Ausweis in die Höhe. Rechtsradikale Parolen werden skandiert, zuerst sauber getarnt in Sätzen, die wohlwollend, ja schützend klingen wollen. Dabei sind sie gegen alle die „nicht dazugehören“, gegen die, die anders sind. Als dann auf der kleinen Bühne ein rechter Arm in die Höhe schnellt, ist alles klar. Immer wieder tauchen „George und Mildred“ alias Tanja Hartmann und Renato Valmori auf, trinken Champagne, wenden sich beim Anblick des menschlichen Elends aber mit Entsetzen ab, fühlen sich bedroht, sie schreit.
Dann klingt es von der Bühne: „Ich bin ein Mauerspringer, ich bin der, der über Bord geht, der im Meer versinkt und nicht schwimmen kann.“ Ein Hinweis auf das von der EU geförderte Programm „Mauerspringer“, bei dem auch das Due Mondi mitmacht, indem Migranten in Theaterprogramme integriert werden.
Die Menschen im Publikum schweigen betroffen mit entsetztem Gesichtsausdruck. Die Botschaft ist angekommen. Die Menschen klatschen laut. Marisol Franz aus Schwetzingen muss erst um Worte ringen. „Es war sehr ergreifend. In Spanien, meinem Herkunftsland, gibt es Flüchtlinge an jeder Ecke. Sie wissen nicht, wohin. Es ist so erschreckend, dass die Autoritäten nicht besser mit dem Thema umgehen, sie aus der Illegalität holen“, und fährt fort: „Besonders die Kinder leiden, werden ausgebeutet und zum Teil gezwungen, sich zu prostituieren. Das Thema Migration müsste auf europäischer Ebene angegangen und den Menschen endlich geholfen werden, damit sie nicht in die Fänge von Kriminellen geraden, eine Chance haben.“
Theater aus Überzeugung
Schauspielerin Tanja Hartmann berichtete: „Ich komme aus Bremen, bin aber schon lange in Faenza beim Teatro Due Mondi. In unseren ‚senza confini‘-Workshops, was ‚ohne Grenzen‘ heißt, binden wir Migranten ein“, und verriet weiter: „Das Theater wurde 1979 gegründet. 2011 wurden wir zu einem Haus auf dem Land gerufen, in dem provisorisch 30 Geflüchteten untergebracht waren, mit denen keine Verständigung möglich war. Doch das Theater kann eine universelle Sprache sein. So fing dieser Themenschwerpunkt an.“
Alle Künstler bestätigten, dass es ihnen ein Anliegen sei, Inhalte zu vermitteln, so auch Angela Pezzi, eine der Gründerinnen: „Die Zuschauer involvieren, das emotionale Feedback erhalten, das ist uns wichtig.“ Regisseur Alberto Grilli stellte fest: „Wir haben vorher in Freiburg gespielt, aber die Anteilnahme des Publikums hier war besonders hoch. Das freut uns sehr. Morgen fahren wir nach Schwerte, danach für zwei Tage nach Hoyerswerda, wo wir mit Geflüchteten spielen werden.“
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-theater-macht-das-schwetzinger-publikum-nachdenklich-_arid,1856889.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen.html