Schwetzingen. Was passiert, wenn ein Mensch ganz unten war und es trotzdem wieder nach oben schafft? Die Lebensgeschichte von Andreas Niedrig, ehemals heroinabhängig und später international erfolgreicher Triathlet, gibt auf diese Frage eine eindrucksvolle Antwort. Am Freitagvormittag hatten Schüler des Hebel-Gymnasiums und der Kurt-Waibel-Schule im Jugendzentrum GoIn Schwetzingen die Möglichkeit, dieser außergewöhnlichen Lebensreise zu begegnen, persönlich und unmittelbar, in einer Lesung mit Autor Jörg Schmitt-Kilian.
Die Veranstaltung wurde von der Stadt Schwetzingen in Kooperation mit der Stadtbibliothek organisiert. Kulturmanagerin Katharina Simmert eröffnete den Vormittag mit einer persönlichen Erinnerung: „Ich habe früher selbst eine Hauptrolle in einem Theaterstück gespielt, das auf Schmitt-Kilians Jugendroman ‚Shit‘ basierte. Als wir uns letztes Jahr bei der Criminale in Hannover wiedertrafen, habe ich gesagt: Du musst nach Schwetzingen kommen.“
Jörg Schmitt-Kilian: Freier Vortrag, statt klassisches Vorlesen
Bevor Schmitt-Kilian mit der Lesung begann, zeigte er einen kurzen Videoclip, in dem er seinen beruflichen Hintergrund vorstellte. Statt danach einfach aus dem Buch vorzulesen, entschied er sich für einen freien Vortrag. Er verknüpfte die Biografie von Andreas Niedrig mit eigenen Erfahrungen, mit Einblicken aus der Polizeiarbeit und mit gesellschaftlichen Fragen, die heute aktueller denn je sind.
Dass seine Bücher nicht nur recherchiert, sondern auch von Nähe zu den Betroffenen geprägt sind, wurde schnell deutlich. „Ich war bei vielen Schicksalen sehr nah dran“, erklärte Schmitt-Kilian.
Die Verbindung zu Andreas Niedrig entstand in den 1990er Jahren über dessen Vater, den der Autor damals bei einem Drogenseminar in Amsterdam kennenlernte. Jahre später, als Niedrig selbst den Ausstieg geschafft hatte, kam er auf Schmitt-Kilian zu und bat ihn, seine Geschichte öffentlich zu machen. Dabei stand nicht nur seine sportliche Leistung im Fokus, sondern der Wunsch, anderen Mut zu machen.
Für Niedrig war es nicht eine klassische Therapie, sondern seine Tochter, die den Ausschlag zur Wende gab. „Er wollte nicht, dass sie mit einem Junkie als Vater aufwächst. Dieser Gedanke hat sein Leben verändert“, so Schmitt-Kilian. Der Weg zurück war schwer und voller Rückschläge, führte aber schließlich zu sportlichen Erfolgen auf Weltklasseniveau. Die außergewöhnliche Lebensgeschichte wurde 2008 unter dem Titel „Lauf um dein Leben“ auch für das Kino verfilmt. Dennoch äußerte Schmitt-Kilian kritische Anmerkungen zur Umsetzung. „Die Szene, in der Andreas nach Jahren wieder Kontakt zu seinem Vater aufnimmt, hätte ich gerne früher im Film gesehen. Diese Vater-Sohn-Geschichte zeigt, wie sehr Versöhnung auch ein Ausweg aus der Sucht sein kann.“
„Was ist, wenn man schon tot ist?“
Im anschließenden Gespräch mit den Schülern ging es um weit mehr als nur um die persönliche Geschichte eines Einzelnen. Themen wie die Cannabis-Legalisierung, der Umgang mit Konsum im eigenen Umfeld und die Bedeutung von offener Kommunikation standen im Mittelpunkt. Schmitt-Kilian machte deutlich, dass echte Prävention nicht durch Abschreckung, sondern durch Dialog funktioniert. „Es geht nicht darum, Angst zu machen, sondern ehrlich zu sprechen. Wer nur mit dem Zeigefinger kommt, erreicht niemanden“, betonte er. Besonders eindrücklich beschrieb er, wie sich der Wirkstoffgehalt von Cannabis über die Jahrzehnte verändert hat und wie trügerisch der Eindruck sein kann, man habe alles unter Kontrolle. „THC (Tetrahydrocannabinol) geht nicht einfach weg. Es speichert sich, auch wenn man sich gut fühlt. Das macht es tückisch.“
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Die Schüler reagierten sehr aufmerksam und nachdenklich. Moritz Wilke, 16 Jahre alt und Schüler des Hebel-Gymnasiums, sagte: „Ich fand es spannend, die Geschichte direkt vom Autor zu hören. So versteht man viel besser, was ihn bewegt hat, nicht nur beim Schreiben, sondern auch persönlich.“ Auch Noemi Ilchthev, ebenfalls 16, erinnerte sich an einen Moment, der ihr besonders im Gedächtnis blieb: „Er hat gesagt: Was ist, wenn man schon tot ist? Das fand ich krass. Und es hat mich sehr nachdenklich gemacht.“
„Die Droge entscheidet für Dich“
Auch die begleitenden Lehrer zeigten sich beeindruckt. Carsten Abbe lobte die Veranstaltung als wichtigen Beitrag zur außerschulischen Bildung. „Die Schüler erleben hier nicht nur Literatur, sondern echte Biografien. Das bleibt im Kopf.“ Seine Kollegin Birgit Schillinger ergänzte: „Ich kenne sowohl das Buch als auch den Film. Dass Herr Schmitt-Kilian heute hier liest, ist großartig. Ich hätte Andreas Niedrig selbst gerne eingeladen, leider kam uns damals Corona dazwischen.“
Zum Abschluss zeigte Schmitt-Kilian den Trailer zur Filmadaption und sprach über die Herausforderungen beim Drehbuchschreiben. Trotz einzelner inhaltlicher Kritikpunkte bleibe die zentrale Aussage erhalten, dass Veränderung möglich ist, wenn man bereit ist, sich der eigenen Geschichte zu stellen. Besonders eindrücklich war der Schlusssatz, den viele Besucher mit nach Hause nahmen: „Wenn du dich nicht entscheidest, entscheidet irgendwann die Droge für dich. Und ab dem Moment bist du kein freier Mensch mehr.“
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