Region Rhein-Neckar/Welt. Es ist eine der schönsten Sachen der Welt. Kaum etwas schafft auch nur einen vergleichbaren Rahmen für die Begegnung von Menschen. Schon immer setzten sich Menschen zusammen, um gemeinsam zu essen. Essen steht dabei für weit mehr als nur die Aufnahme von Lebensmitteln. Mensch und Lebensmittel schaffen einen Raum der Begegnung, des Austausches und des Vertrauens. Kriege zwischen Staaten oder Konflikte in der Familie werden am Esstisch behandelt und im Idealfall beendet. Doch dieser Raum gerät in jüngster Zeit gewaltig unter Druck und wird damit auch immer mehr selbst zum Konfliktherd. Zum einen wird Nahrung zunehmend moralisiert und zum anderen immer stärker industrialisiert. Der Verzehr von Fleisch und eigentlich allen tierischen Produkten wird per se als Mord bezeichnet. Und gleichzeitig wird das Tier immer mehr zum reinen leblosen Industrieprodukt. Eine fatale Zangenbewegung für die Fleischkultur.
Es ist leicht, gegen Fleischessen zu sein. Die Argumentationsfront ist überwältigend. Ein Tier muss sterben, in der Massentierhaltung sind Quälereien an der Tagesordnung, in einem Kilogramm Rindfleisch stecken rund 15 000 Liter Wasser, Antibiotika im Masseneinsatz, die Nutztierhaltung beansprucht weltweit rund 70 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche, Regenwälder geraten enorm unter Druck und die Klimabilanz ist katastrophal. Die „Food and Agriculture Organisation“ (FAO), die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO, beziffert die globalen Treibhausemissionen der Nutztierzucht auf zwölf Prozent. Wobei sich in der Wissenschaft bei der Betrachtung der gesamten Erzeugerkette mit bis zu 40 Prozent ein deutlich höherer Wert zu etablieren scheint.
Gleich zu Beginn: Das Dilemma des Sterbens ist unauflösbar. Solange Fleisch nicht als Retorte aus dem Labor kommt, muss ein Lebewesen sterben. Es stellt sich nur die Frage, inwieweit eine immer weiter um sich greifende moralisierende Aufladung für die Natur Sinn macht.
Wieso die Nahrungskette ein Kreis ist
Grundlegend für die Natur ist die kreisförmige Nahrungskette. Ein Lebewesen ist Nahrungsgrundlage für ein anderes Lebewesen. Und der Mensch ist zweifelsfrei Teil dieser Kette. Er isst Lebewesen und wird von Lebewesen gegessen. Streng genommen wollen Vegetarier diese Kette sprengen. Denn das Dogma, keinem Lebewesen Schaden zufügen zu wollen, führt streng logisch zur Entfernung des Menschen aus der Natur und ihren Kreisläufen. Der Gedanke, kein Lebewesen zu schädigen, führt in einem nächsten Schritt zu einem Leben unter veganen Gesichtspunkten. Tabu sind nicht nur Fleisch, sondern auch Käse, Milch, Honig, Leder und alle anderen tierischen Produkte.
Stringent weiter geführt müsste dann für den Menschen, der sich auf diesen Weg begeben hat, der Frutarier stehen. Frutarier ernähren sich ebenfalls ausschließlich pflanzlich, achten darüber hinaus aber noch darauf, dass das Lebewesen Pflanze nicht geschädigt wird. Auf die Spitze getrieben heißt das, ein Apfel wird erst gegessen, wenn er vom Baum gefallen ist.
Am Ende dieser Verdrängung des Menschen aus der Natur würde dann die Ernährung auf Basis von Licht bestehen. Eine Methode, die von einigen Menschen durchaus in Betracht gezogen wird und auch immer wieder Schlagzeilen macht (siehe den Film „Am Anfang war das Licht“). Wobei klar zu sagen ist, dass Letzteres in der Welt der Wissenschaft als Nonsens gilt.
Gegen diese logische Kette, genauer gegen den Schritt vom Veganer zum Frutarier, wird das fehlende Nervennetz der Pflanzen ins Feld geführt. Sie spüren keinen Schmerz oder Ähnliches. Eine These, die bis vor einigen Jahren übrigens auch für Tiere galt. Frutarier springen genau in diese Lücke und behaupten, dass die Pflanzen sehr wohl leidensfähig seien, es nur noch nicht wissenschaftlich bewiesen wäre. In der von Frutariern immer wieder angeführten Welt der Naturvölker und ihren schamanischen Weisheiten findet man tatsächlich keinen Unterschied zwischen Pflanzen und Tieren. Alle und alles ist Teil des Lebens und hat Recht auf Leben. Nur führt dieses Denken bei den Naturvölkern nicht zum Abschied aus der natürlichen Nahrungskette, sondern zu Respekt, Demut und einem rituellen Einhegen der Kulinaria. Nicht unähnlich dem früher auch hier wichtigen Erntedankfest. Sicher ist hier, dass Pflanzen auf Umwelt reagieren und damit irgendeine Art von Bewusstsein haben. Alles Weitere ist bisher spekulativ.
Systemische Tierquälerei
Alles andere als spekulativ ist dagegen das Problem der Quälerei. In der Massentierhaltung ist Tierquälerei systemisch. Heißt, es geht hier nicht um böse Menschen, sondern um gesellschaftliche Rahmendaten. Eine Gesellschaft, die so viel und so billig Fleisch isst, schafft zwangsläufig tierquälerische Strukturen. Weltweit fallen dem Fleischhunger jährlich rund 60 Milliarden Tiere zum Opfer. Die FAO schätzt, dass sich diese Zahl bis 2050 verdoppeln wird. Unvorstellbar angesichts der Probleme, die bereits jetzt bestehen. In Deutschland isst jeder Deutsche im Laufe seines Lebens fast 1100 Tiere. Pro Jahr entspricht das 60 Kilogramm Fleisch. Für die „Deutsche Gesellschaft für Ernährung“ (DEG) ist das mehr als doppelt so viel wie empfohlen. Die FAO propagiert sogar nur 7,3 Kilogramm Fleisch pro Jahr und Kopf. Das wären 20 Gramm am Tag. Weltweit liegt der Pro-Kopf-Fleischverbrauch übrigens bei 42,5 Kilogramm. 79 Kilogramm in den Industrieländern und 33 Kilogramm in den Entwicklungsländern.
Auch alle anderen Probleme, von Wasser- und Futterverbrauch über Antibiotika bis zu Klimaproblematik und Flächenfraß lassen sich auf diese enormen Zahlen zurückführen. Und genau deshalb liegt auch die Lösung in diesen Zahlen. Weniger Nutztiere bedeutet weniger Land für die Futterproduktion und zugleich mehr Korn für den Menschen. Auf den Einsatz von Antibiotika kann bei der Weidwirtschaft mit wenigen Tieren fast komplett verzichtet werden. Klug gemanagte Grünland-Weiden sind sogar wahre Kohlendioxyd-Senken. Wiesen und Weiden, so der Bericht des Weltklimarates, speichern rund ein Drittel des globalen Kohlenstoffs. Der Weltagrarbericht ist unmissverständlich. „Die Kuh ist kein Klimakiller.“ Rinder stoßen zwar das klimaschädliche Methan aus. Leben sie jedoch auf eine Weide und haben ausreichend Platz, sodass sich das Wurzelwerk der Gräser ungestört entwickeln kann, werden Klimagase in gleicher Höhe gebunden. Fleisch und Milch können, so der von der Heinrich Böll Stiftung und dem Bund für Umwelt und Naturschutz herausgegeben „Fleischatlas“, klimaneutral erzeugt werden.
Ein ziemlich umstrittenes Feld ist das Thema Gesundheit. Oberarzt Dr. André Burchhard von der Asklepios Klinik in Hamburg hat sich viel mit Ernährung beschäftigt und seine Einschätzung ist überdeutlich. „Wir müssen kein Fleisch essen.“ Wobei er im zweiten Satz gleich betont, dass das nicht per se für tierische Produkte gelte.
Vegane Ernährung ist für Schwangere und Kinder in seinen Augen zumindest riskant. Problematisch seien vor allem die Versorgung mit Calcium, Vitamin B12 und Eisen. Sauerkraut und Nüsse, die ebenfalls B12 in sich bergen, reichen nicht aus. Und dass Kinder stets ausreichend Sauerkraut äßen, könne zumindest in Zweifel gezogen werden. Bei gesunden Erwachsenen mit gutem Ernährungswissen scheint eine vegane Ernährung vertretbar. Wobei auch hier einzelne Ernährungsergänzungen angezeigt seien. Frutariern bliebe aus wissenschaftlicher Sicht gar keine andere Wahl, als sich auf die moderne Pharmazie zu stützen. Ansonsten drohten erhebliche Mangelerscheinungen und damit starke gesundheitliche Beeinträchtigungen.
Es ist der Beleg dafür, dass der Mensch Teil dieses Kreislaufs ist, der vor dem Hintergrund, dass alle Geschöpfe ein Recht auf Leben haben, ethisch schwierige aber eben nicht unlösbare Fragen stellt. Gar nicht schwierig ist dagegen das Urteil über die Massentierhaltung. Auf allen nur vorstellbaren Ebenen ist die Bilanz der Massentierhaltung negativ.
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