Carl-Theodor-Schule

"Woyzeck" in Schwetzinger Schule: Niemand will ein "Loser" sein

Von 
Marco Montalbano
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Julian W. Koenig brilliert in der Rolle als „Franz Woyzeck“. Seine Kulisse ist so simpel wie beeindruckend. © Montalbano

Schwetzingen. „Woyzeck“ ist eines der am meisten gespielten Dramen der deutschen Literatur. Geschrieben hat es Georg Büchner vor fast 190 Jahren. Er bietet damit einen eindrucksvollen Einblick in die Welt der „Loser“ in der Gesellschaft samt aller Grausamkeiten, die sich Menschen gegenseitig antun können. Schauspieler Julian W. Koenig vom Karlsruher „Theatermobilespiele“ zeigte das Ein-Mann-Stück in der Aula der Carl-Theodor-Schule in Schwetzingen vor Schülern der zwölften Klasse. Die Inszenierung von Thorsten Kreilos entführte in die harte und von prekären Lebensumständen geprägte Welt des Soldaten und Mörders Franz Woyzeck. Die Schüler waren beeindruckt.

Keine Frage: Georg Büchner hat Großes geschaffen. Am Ende seines kurzen Lebens verfasste er 1837 und mit gerade einmal 23 Jahren das Drama. Inspirieren ließ sich der Autor von einem Kriminalfall. Dabei griff er universelle Themen auf: Armut macht krank, seelische Misshandlung auch, die in einer Welt stattfindet, in der Menschen begafft werden, die anders sind, besonders, wenn es ihnen nicht gut geht. Von Ärzten werden sie als Versuchskaninchen missbraucht und die Betroffenen lassen dies aus ökonomischen Gründen zu. Schizophrenie und psychische Labilität können die Folgen sein. So auch in Woyzecks Fall, wo dies in einem Mord gipfelt.

Auf der Bühne: nur ein Mann, umgeben von Puppen und in einer Umgebung, die schlimmer nicht sein könnte. Ist es ein Kriegsschauplatz im Ersten Weltkrieg – oder in der Ukraine? Der Schlafplatz eines Wohnsitzlosen unter den Betonpfeilern einer Brücke? Umgeben ist die mobile Bühne von Maschendraht, doch warum? Ein Ausgangspunkt seien laut Kreilos die nicht lange nach Georg Büchners Ableben begonnenen „Menschenschauen“, in denen diese wie Tiere in Käfigen gehalten und ausgestellt wurden. Alles auf der Bühne weist auf Gewalt hin. Der Protagonist durchwühlt Kleiderberge und Hinterlassenschaften. Gedanken an Bilder von Schuh- und Textilienbergen von den in Auschwitz Ermordeten drängen sich auf.

"Woyzeck" in Schwetzingen: Ein Stück am Puls der Zeit

Der Soldat, finanziell seinem unehelichen Kind und dessen Mutter verpflichtet, arbeitet für zwei Herren bei kargem Lohn – für den Hauptmann als Diener, für den Dorfarzt als Versuchskaninchen, die ihn beide immer wieder erniedrigen. Der skrupellose Arzt setzt ihn auf eine Erbsendiät. Tatsächlich fanden zu Büchners Zeit derartige Versuche mit Soldaten statt – mit verheerenden Auswirkungen: Wahnvorstellungen, Halluzinationen und muskulärer Kontrollverlust. Woyzeck zitiert Bibelstellen, zittert, rast, schimpft, schreit. Vom Band ertönt die kalte Stimme des Mediziners mit zynischen Kommentaren: „Ein guter Mord, ein echter Mord, ein schöner Mord. So schön, dass man sich ihn wünschen täte.“ – „Was gafft ihr so?“ schreit Woyzeck ins Publikum. Die Jugendlichen starren gebannt. Wenn, schweift ihr Blick nur kurz auf das Display ihres Mobiltelefons ab und nur bis zum nächsten Aufschrei vorn. Am Ende: tosender Applaus.

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Im Anschluss stand Julian W. Koenig für Fragen zur Verfügung. So mancher musste das Stück wohl sacken lassen, was angesichts des Bombardements unserer Jugend mit Gewaltdarstellungen in den Medien erstaunlich erscheinen mag. Daher dauerte es etwas, bis die Schüler fragten. Ob es nicht schwierig sei, eine solche Rolle zu spielen, wollte jemand wissen, wie lange Koenig zum Einstudieren der Rolle gebraucht habe oder Fragen zum Bühnenbild. „Niemand ist oder spielt gern den ‚Loser‘, den Verlierer, der ganz unten ist. Aber ich finde es gut, auch solchen Menschen eine Stimme zu geben“, kommentierte er und meinte weiter: „Es gab schon immer Menschen, die am Boden waren und sind. So wie auch in unserer heutigen kapitalistischen Welt. Es geht nicht darum, wann das Stück spielt, sondern darum, was immer gültig ist.“

Noel Steinmetz (17) meinte: „Ein sehr gut gemachtes, beeindruckendes Stück“ und die gleichaltrige Christina Schultz kommentierte: „Ich fand besonders die Figuren toll.“ Lehrerin Barbara Kappes-Cann erläuterte: „Wir haben den Stoff im Unterricht behandelt und schon eine andere Inszenierung aus den 1970er Jahren gesehen, um dann zu vergleichen. Schüler sagten: ‚Aber so ist das heute doch nicht‘. Doch auch in unserem Zeitalter der Mindestlöhne und der Bildungsferne gibt es Menschen, denen es schlecht geht“, und, fügte sie hinzu: „Eine gelungene Aufführung mit hochaktueller Thematik.“

Freier Autor Freier Journalist. Davor Pressereferent. Studium der Politikwissenschaft.

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