Geschichte und Geschichten

„Zähringer Hof“ in Schwetzingen: Kultur von unten – aber auf oberstem Niveau

Der „Zähringer Hof“ war Kult. Auch, weil hier Anfang der 1990er Jahre eine Kulturbühne entstanden und jahrelang erfolgreich betrieben worden ist. Mitinitiator Rolf Simianer blickt auf diese Zeit zurück.

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Rolf Simianer
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Jörg Fränznick (l.), Matthias Schäuble (r.), Bodo Primke, Jürgen Sauerbrey, Frank Isherwood, Alex „Al“ Auer, Klaus Alandt und eine ganze Reihe weitere in der Region sehr bekannte Musiker machten den „Zähringer“ zu ihrer Heimatbühne. © Jörg Fränznick

Schwetzingen. Diese Geschichte spielt vor der Zeit von Rauchverboten in der Gastronomie und von vorschriftsgemäß anzubringenden Rauchmeldern. Im Gastraum des „Zähringer Hof“ stechen Kegel aus Sonnenlicht durch die kleinen Fenster in diffuse Wirbel aus Zigarettenqualm, die wie dünne irische Nebel vom Dielenboden bis hoch zur Decke wabern. Gleich links vorne, ein paar Meter hinter dem Eingang, sitzen acht ehemalige Handwerker lustig am Rentner-Stammtisch beisammen; sie trinken Bier, spielen in zwei Gruppen Skat und rauchen.

An der Theke dahinter belegen fünf weitere, etwas jüngere Männer einen Teil der Barhocker. Auch sie rauchen, trinken Bier, Asbach-Cola oder Cola-Rot. Einige haben kurz zuvor im Arbeitsamt in der Herzogstraße ihre Nummer gezogen und werden später mehr oder weniger beschwingt zu ihren Terminen erscheinen. Die Wirtin spricht mit einem der Gäste und zapft gleichzeitig ein neues Export.

Coole Mucke von der Mädchenband „X.B. lieb mich“ – die offene Bühne sorgte für ungeahnte Möglichkeiten. Im „Zähringer Hof“ war halt immer was los. © SZ-Archiv

Sogar die Tische rechts – entlang der durchgehenden Sitzbank mit der hohen Lehne und den Zwillingskleiderhaken aus Messing – sind jetzt schon größtenteils besetzt. Es ist kurz vor 10 Uhr an einem Dienstagmorgen im Jahre 1995 – im „Zähringer Hof“ herrscht Hochbetrieb. Nur nicht im hinteren Raum der Kneipe, der durch eine mehrfarbig verglaste Schiebetür von der Gaststube abgetrennt werden kann. Dort stehen zwar auch Tische und Stühle, doch befindet sich da viel ungenutzter Platz. „Mensch, genau da gehört eine Bühne hin“, denkt sich der junge Mann von den „Schwetzinger Kabarettfreunden“, der auf der Suche nach einem Ersatz für die nicht mehr verfügbare Spielstätte im „Luxor-Kino“ gerade den „Zähringer Hof“ erkundet.

Das sprach sich in der Szene rum. Sinti-Jazzer Schnuckenack Reinhard. © Junk

Beim Wirtsehepaar Peggy Schäfer und George Zaroff stößt er nach nur kurzer anfänglicher Skepsis mit seiner Bühnenidee auf immer offenere Ohren. Denn abends ist nichts los im „Zähringer“, der daher oft bereits um 19 Uhr schließt. Dieser finanziell gesehen betrübliche Zustand könnte mit einem abendlichen Bühnenbetrieb doch ganz prima beseitigt werden. Und als die „Kabarettfreunde“ auch noch bereit sind, die Herstellung der Bühne mit einem großzügigen Geldbetrag zu sponsern, beauftragt Peggy Schäfer ihren Vater, einen selbstständigen Schlossermeister mit Sitz im Brühler Weidweg, mit dem Bau.

Professionelle Hilfe geholt

Aber wie? – Professionelle Beratung muss nun dringend her. Dazu erklärt sich der Berliner Kabarettist Arnulf Rating auf Bitte der Sponsoren bereit. Rating war bereits als Kopf der legendären Anarcho-Kabarett-Truppe „Die drei Tornados“ oft in der Region aufgetreten, unter anderem im Pumpwerk in Hockenheim und als Solokünstler im Schwetzinger Luxor-Kino. Und Rating rät: „Eure Bühne muss mindestens vier Mal drei Meter lang und breit sein, zudem 80 Zentimeter bis einen Meter hoch. Dann braucht ihr einen seitlichen Bühnenabgang mit drei Stufen in eine kleine, blickdichte Pausenkabine hinein. Mehr nicht.

Jürgen Sauerbrey bei einem seiner zahlreichen Auftritte. © Götz Junk

Zur Beleuchtung reichen sechs einfache Bühnenstrahler an einer Schiene an der Decke montiert völlig aus.“ Und genauso wird sie gebaut, die Kulturbühne im „Zähringer Hof“. Zuerst tritt regelmäßig einmal die Woche die Jazz-Combo um den Saxofonisten Thomas Engelhard auf. Und jedes Mal belegen die hiesigen Jazz-Freunde ein paar Tische. Es sieht gut aus für die Zukunft der Bühne. Doch das Stammpublikum grummelt. Es fremdelt mit den plötzlich aufgetauchten „Kulturnasen“.

„Die beiden sehr unterschiedlichen Gruppen haben sich bis auf wenige Ausnahmen nie vermischt“, stellt Peggy Schäfer in der Rückschau fest. Doch ihr gelingt es – mit Umsicht und Strenge – die schwierige Situation zu meistern. „Bis 20 Uhr ist Kneipenbetrieb, ab dann Musik, basta!“, bestimmt sie. Damit können alle leben. Schäfer, die nach der frühen Scheidung von ihrem Mann alleinige Pächterin ist, gelingt auch das Kunststück, den lärmbedingten Streit mit den Mietern im Obergeschoss des Lokals sowie einigen Anwohnern durch strikte Einhaltung zeitlicher Obergrenzen zu schlichten.

Frank Isherwood war immer ein gern gesehner Gast im „Zähringer“. © Junk

Zu dieser Zeit tagt auch der „Soziale Kunst- und Kultur-Förderverein (Skunk) jeden Mittwoch von 20 Uhr bis Mitternacht im „Zähringer Hof“, eine Vereinigung von bildenden und darstellenden Künstlern der Region. Götz Junk ist Mitglied des Vorstandes. Nach und nach beginnen Kunstschaffende aus diesem Kreis mit Junks Unterstützung die vorhandene Bühne zu nutzen. Die nun jedem zugängliche „offene Bühne“ wird dadurch zusehends bekannter und beliebter. Die Anfragen nach Auftritten häufen sich bald so sehr, dass Götz Junk beschließt, als freiwilliger Koordinator den Bühnenbetrieb zu regeln und zu leiten.

Ein begnadeter Kabarettist und guter Ratgeber für die Bühnenausstattung war Arnulf Rating. Hier ist er als Punker zu sehen. Die Besucher haben sich schlapp gelacht. © SZ Archiv

Damit beginnt die Blütezeit der Kulturbühne. Freitags spielen die Bands; dienstags finden die Musik-Sessions statt. Dazwischen immer wieder Erstauftritte von neuen Bandformationen. Die Schwetzinger Musikszene um Matthias Schäuble, Bodo Primke, Jürgen Sauerbrey, Frank Isherwood, Alex „Al“ Auer, Klaus Alandt und vielen anderen ist jetzt häufig zu Gast. Von Fans organisierte Gastauftritte von deren Lieblingsbands bringen noch mehr Vielfalt ins Bühnenprogramm.

Eine echte Belebung der Szene

Der bekannte Sinti-Jazzer Schnuckenack Reinhard kommt bei einem Konzert von Wedeli Köhler vorbei und spielt gleich selbst mit. Die Musicalgesellschaft Mannheim führt im „Zähringer Hof“ die Kulturmusicals „Hair“ und „Watzmann“ auf. Die Schwetzinger Kulturszene reicht nun „vom Zähringer Hof bis zum Rokokotheater“ – so schreibt es die Schwetzinger Zeitung.

Ein paar Bühnenscheinwerfer und die Wirtshausstühle – schon war die Bühne bereitet für die Kleinkunst. Hier amüsiert sich das Publikum über Arnulf Rating. © SZ Archiv

Aus der Gruppe der Schwetzinger Musiker ragt Gitarrist Bodo Primke heraus. Ob zu Hause am Küchentisch oder im „Zähringer“ vor fast 200 Leuten, der Bundessieger bei „Jugend musiziert“ bringt mit seinem zauberhaften akustischen Gitarrenspiel alle Zuhörer ins Träumen. In sich und seine Musik versunken webt er Klangteppiche zum Abheben in eine schönere, in eine bessere Welt.

Die Atmosphäre im „Zähringer“ ist zumeist heiter und angefüllt mit kreativer Lebensfreude. Der Gemeinsinn, mit dem so viele Akteure „Kultur von unten“ schaffen, ist bei jeder Veranstaltung zu spüren. Dies – und natürlich die moderaten Getränkepreise – führt dazu, dass der „Zähringer Hof“ an den Freitagabenden die Besucher der Schlossplatz-Lokale geradezu aufsaugt.

Legendär waren auch die Jazz-Sessions im „Zähringer Hof“. Wer aus der Szene Zeit hatte, machte mit oder brachte Gastmusiker mit in den Saal. © Götz Junk

Im Jahr 2001 steigt Peggy Schäfer dann aus familiären Gründen aus dem Pachtvertrag aus und Götz Junk übernimmt die Gaststätte. Die nächsten anderthalb Jahre geht der Betrieb nach bewährtem Muster erfolgreich weiter. Am Jahresende 2002 gibt die Welde-Bräu, die zwischenzeitlich bei einem Bieterverfahren das gesamte Gebäude ersteigert hat, bekannt, dass der Gaststätten- und Bühnenbetrieb enden müsse. Das gesamte Gebäude soll renoviert und der Gastraum zu einer Speisegaststätte ausgebaut werden.

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Am 18. Januar 2003 findet vor vollem Haus und traurigem Publikum das Abschiedskonzert statt. Dann gehen über der Bühne im „Zähringer Hof“ zum letzten Mal die Lichter aus – und die wahrscheinlich außergewöhnlichste Kulturstätte, die Schwetzingen jemals gesehen hat, gehört der Vergangenheit an.

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