Im Gespräch - Zia Akbari versucht seit Jahren, seine Familie nach Deutschland zu holen / Er scheitert immer wieder an den Vorgaben und der Bürokratie – nun fürchtet er um das Leben seiner Lieben

Zia Akbari bangt um Frau und Sohn in Afghanistan

Von 
Katja Bauroth
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Schwetzingen. Die Bilder aus Afghanistan sind unbegreiflich. Was passiert da gerade? Wie kann es sein, dass eine Terrorgruppe erneut ein ganzes Land unter ihre Kontrolle bekommt und die Welt dabei zusieht, wie Menschen zu Gefangenen werden? Im 21. Jahrhundert! Sie denken, Afghanistan ist weit weg? Nein, das Schicksal ist mitten unter uns und wir verleihen ihm ein Gesicht: das von Zia Akbari, seiner Frau Bibigul und seinem kleinen Sohn Abulfalz. Denn während die westliche Welt sich die größten Sorgen um „ein neues 2015“ in Bezug auf Flüchtlinge macht, steckt Afghanistan schon mitten in einem „neuen 1996“ (letzte Machtübernahme der Taliban in Kabul) – mit Terror, Gewalt, Willkür und Hilflosigkeit.

Zia Akbari schläft nicht mehr. Den 35-Jährigen plagen nur noch Sorgen um seine Frau Bibigul und den zwölfjährigen Sohn Abulfalz. Beide leben noch in Afghanistan, halten sich derzeit in der südlich gelegenen Stadt Ghazni auf. Alle Versuche, sie aus Afghanistan herauszuholen, scheiterten bislang. Und hier sprechen wir von Versuchen, die seit Jahren laufen, doch immer wieder an Behörden, der Bürokratie, scheitern – sowohl hierzulande als auch vor Ort. Zuletzt in den vergangenen Wochen.

Zwei Jahre im Kasernencamp

Mit der Schwetzingerin Raquel Rempp ist Zia Akbari in die Redaktion gekommen, um seine Geschichte zu erzählen, um den Lesern die Augen zu öffnen, was da gerade in seinem Heimatland passiert, welchen Gefahren die Afghanen – vor allem alleinstehende Frauen und Kinder – ausgesetzt sind und warum die Nato, Deutschland und gerade auch die USA daran mit Schuld sind.

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Zia Akbari spricht neben Persisch, Englisch und Griechisch sehr gut Deutsch, bringt Gedanken auf den Punkt, wie sie besser nicht beschrieben werden können. Er ist seit dem Teenageralter auf der Flucht, auf der Suche nach Freiheit und einem sicheren Leben – erst Iran, dann Griechenland, seit 2013 Deutschland. Er lebte zwei Jahre im Flüchtlingscamp auf dem Tompkins Areal in Schwetzingen und hat so die sozial engagierte frühere Stadträtin Raquel Rempp kennengelernt. Zia Akbari arbeitet, hat eine eigene Wohnung, versorgt sich selbst. „Für mich käme es nie infrage, dem Staat auf der Tasche zu liegen. Ich bin stolz darauf, dass ich arbeite“, erzählt der handwerklich begabte Mann, der bei einem Unternehmen eine Festanstellung als Hausmeister in Vollzeit nachgeht. Er verdient gut, zahlt Steuern, er kann für seine Familie sorgen, wenn diese hier wäre. „Doch die deutsche Bürokratie ist unflexibel.“ Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Stand jetzt hat er ein Abschiebungsverbot. „Ich darf hier bleiben, jedoch nicht hier leben“, macht er in Bezug auf das deutlich, was für ihn Leben ausmacht: seine Familie und mit ihr in Freiheit, ohne Angst vor Terror, zusammensein zu können. „Es ärgert mich einfach: Viele Politiker reden von Gleichheit und Gerechtigkeit, aber sie sprechen anders als sie handeln. Ich fühle mich wie Schaum auf dem Meer, der bei der kleinsten Bewegung zerstört werden kann“, verdeutlicht er.

Zia Akbari erzählt, dass er vor zehn Jahren das letzte Mal in Afghanistan war. Erst Anfang dieses Jahres konnte er bei einem heimlichen Treffen in Pakistan seine Frau und den Sohn in die Arme schließen. Den Jungen hatte er zuletzt 2011 gesehen, damals war dieser zwei Jahre alt. „Unser Ziel war es, Bibigul und Abulfalz erst einmal per Schengenvisum nach Deutschland zu holen“, erzählt Raquel Rempp. Das hätte drei Monate Gültigkeit – eine Zeit, in der hier weitere Klärungsschritte hätten folgen können. Seitens der hiesigen Ausländerbehörde war alles geklärt, Rempp übernahm die Bürgschaft für die afghanische Familie, machte sich sozusagen „formell nackig“ bei den Ämtern. Problem: Die deutschen Botschaften reagieren nicht auf die Visa-Anfragen von Rempp. Seit April versuchte sie eine Reaktion aus der Vertretung in Kabul, Afghanistan, zu bekommen. Nichts. Sie wandte sich an die in Neu-Delhi, Indien. Die antwortete aufgrund von Corona nicht. Auch aus Islamabad, Pakistan, kommt lang keine Reaktion. „Online konnte man sich dort für ein Visum registrieren, doch seit Mai ist dieser Button weg – es ist kein Visumsantrag möglich“, sagt sie und zeigt eine Mail vom 1. Juli, in der es aus Islamabad heißt, dass bis auf Weiteres keine Schengen-Visa ausgestellt werden. Ihrer Meinung nach ist das alles Kalkül und – mit Blick auf die Eroberungen der Taliban – lange vorbereitet. Das sieht auch Zia Akbari so.

Westliche Welt hat blind vertraut

Beide stehen mit Menschen vor Ort in engem Kontakt. Sie schildern, was die Afghanen und auch sie selbst denken: Die Nato habe Afghanistan 20 Jahre lang Hoffnung gemacht und nun im Stich gelassen. 20 Jahre, in denen sich die Taliban prima vorbereiten konnten für diese neuerliche Übernahme nach 1996 (bis 2001). 20 Jahre, in denen der Westen – auch Deutschland – den Korruptionssumpf durch blindes Vertrauen und die Spenden unterstützt hat. Die Nato habe die Macht in die verkehrten Hände gegeben, die Gelder wurden missbraucht. Das sieht man nicht zuletzt daran, mit welchen Waffen die Taliban auf die Menschen in den afghanischen Städten und Dörfern schießen: Diese sind aus den USA. Warum haben wohl afghanische Politiker tolle Villen in Dubai und ihre Kinder studieren auf amerikanische Universitäten? Afghanische Soldaten soll es 300 000 geben – „auf dem Papier“ (Rempp). Auf dem Papier wurden auch Straßen, Schulen und Krankenhäuser von deutschen Spenden errichtet – „aber wer hat’s denn kontrolliert?“ Besser wäre doch gewesen, der Bevölkerung im Land, die freilich nicht durchweg so eine Bildung erfährt wie hierzulande, klarzumachen, welche Rohstoffe sie hat und wie sie mit ihnen arbeiten sollte, so Rempp. Und: die Opiumvorkommen plattmachen. „Die Taliban kriegen das meiste Geld aus Opiumgeschäften.“ Davon haben die Machthaber und die Paschtunen, der größte Volksstamm in Afghanistan, profitiert, die wiederum Milliardengeschäfte mit den Amerikanern gemacht hätten, erklärt Akbari, der selbst zur Minderheit der Hazara gehört. Er erzählt, dass die Mitglieder der verschiedenen Volksstämme seiner Heimat untereinander keine Probleme hätten, sehr wohl aber ihre Grenzen wüssten. („Paschtunen würden sich nie von Hazaras führen lassen.“) Die Probleme kämen mit Amtsinhabern in der Politik, mit Macht und mit dem Geld.

Europa und die Nato haben sich blenden lassen von vermeintlich modern eingestellten Politikern in Afghanistan. „Doch das Moderne an ihnen war die Kleidung, sie sind schlimmer als die Taliban. Denn im Gegensatz zu denen haben sie die Menschen bestohlen. Taliban klauen nicht, sie gehen radikal vor“, schildert Akbari.

Die Aussage kann Raquel Rempp direkt mit einem Hilferuf eines befreundeten Ingenieurs aus Kabul unterstreichen: „Bitte, hilf uns, hol uns hier raus“, schreibt ihr der Mann während unseres Gesprächs per Whatsapp. Er schickt Sprachnachrichten, in denen er auf Englisch die katastrophalen Zustände in der Stadt schildert. Menschen, die zum Flughafen wollen, dort aber nicht mehr reinkommen, weil die Taliban überall Checkpoints aufgebaut haben. Ein Video zeigt, wie ein Mann, auf der Straße erschossen wird. In einer weiteren Nachricht wird beschrieben, wie ein Afghane, der ein Visum hatte und ausreisen durfte, von US-Soldaten vor dem Flughafen erschossen wurde – Chaos und Angst regieren. „Wo sollen die Menschen hin? Alle Landesgrenzen sind zu, alle Provinzen werden von Taliban kontrolliert“, beschreibt Akbari. Ganz Afghanistan ist ein Gefängnis. Rempp: „Die Menschen werden dem Wolf zum Fraß hinterlassen.“

Hoffnung auf Hilfe

Zu diesen Menschen zählt auch Zia Akbaris Frau Bibigul und sein Sohn Abdulfalz. „Ich kann meiner Familie nicht mal mehr Geld schicken – wohin? Es kommt ja nichts an.“ Die Banken werden von den Taliban kontrolliert, postalische Möglichkeiten gibt es nicht. Bislang hat er, wie viele Afghanen im Ausland, die Familie und arme Landsleute so unterstützt. Allein lebende Frauen sind sowieso Freiwild. Die Gesetze der Taliban erlauben ihnen nicht, ohne männliche Begleitung aus dem Haus zu gehen. „Wie soll meine Frau einkaufen gehen, wie an Essen kommen?“ Zia Akbaris Augen sind feucht. Im Moment hilft ein Freund, kauft für sie ein. Was, wenn diesem etwas passiert? Egal, ob die Männer im Ausland arbeiten oder Flüchtige sind – allein lebende Frauen haben keine Rechte, sie werden sogar zwangsverheiratet. „Jedem Taliban-kämpfer wurde eine Frau versprochen“, schildert Rempp. Frau heißt hier auch Mädchen, zehn, zwölf Jahre alt. Die Taliban seien wie Roboter, gefühllos, ohne nachzudenken, folgen sie Befehlen. „Was die Welt, die Politik den Afghanen antut“, ringt Akbari nach Worten, „keiner sagt was, keiner hilft richtig, alle schauen zu.“

Die Hilfsversuche, die auch die Bundeswehr startet, seien eher erbärmlich, zu spät und zum jetzigen Zeitpunkt kaum umzusetzen. Unbürokratische Hilfe der westlichen Welt, die wäre wichtig, ohne um Stempel in Pässen zu feilschen. Das, was beide abschließend sagen, stammt nicht nur von ihnen, sondern von Menschen aus Afghanistan: „Was jetzt dort passiert, ist schlimmer als das, was in den 40 Jahren Krieg passierte. Es ist ein großer Verrat an den Menschen.“ Und doch wünscht sich Zia Akbari, dass Afghanistan Hilfe erfährt, das ist seine einzige Hoffnung. Auch für seine Familie.

Autor Katja Bauroth liebt Begegnungen und Storys - im Lokalen und auf Reisen.

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