Schwetzingen. Im ersten Augenblick schien hier etwas nicht zu stimmen. Das Thema, so düster wie nur wenige, und dann die Frau, die mit soviel Enthusiasmus auf Einladung des Zonta-Clubs Schwetzingen darüber sprach, als stände sie kurz davor, die Probleme dieser Welt zu lösen. Doch schon im nächsten Moment wird beim Vortrag im Welde-Brauhaus klar, dass Mensch und Thema haargenau zusammenpassen. Es braucht Frauen wie Dr. Dorothea Kaufmann, die sich in das Thema Kindesmissbrauch geradezu hineinstürzen, um dann vielleicht in Zukunft schneller und vor allem besser helfen zu können.
Kaufmann ist Leiterin des Projekts „Armed – Telemedizinische Untersuchung von Kindern nach Missbrauch und Misshandlung“ am Universitätsklinikum Heidelberg. Ziel ist es, Wissen und Know-how in Sachen Untersuchung von Opfern per Telemedizin in die Fläche zu bringen, damit die Zahl der unentdeckten Fälle sinkt.
Und dass genau das dringend notwendig ist, macht ein kurzer Blick auf die Zahlen für Deutschland deutlich. Im Jahr 2021 verzeichnete die Polizeistatistik 17 498 sexuelle Missbräuche an Kindern. Das sind 48 an jedem Tag des Jahres. Wichtig ist, das sind nur die offiziell erfassten Fälle. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) deuten darauf hin, dass in Deutschland bis zu einer Million Kinder von sexuellem Missbrauch betroffen sind.
Zonta-Club Schwetzingen: "Armed" gegen Gewalt an Kindern – Untersuchung mit Hilfsmitteln
Das wären statistisch gesehen mindestens ein Kind in jeder Schulklasse deutschlandweit. Nur der Vollständigkeitshalber, hinzu kommen für 2021 noch fast 19 000 Fälle von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung von Kinderpornografie und über 3000 Fälle in dieser Kategorie, Jugendliche betreffend. Und die Zahlen steigen, was aber nicht unbedingt mit mehr Fällen, sondern mehr mit veränderten Anzeigeverhalten zu tun haben kann.
Der Handlungsdruck, das betonte auch die Präsidentin des Zonta-Clubs, Petra Presser, zur Begrüßung, sei riesig. Dabei könne das Projekt von Kaufmann und ihrem Team für viele Betroffene einen Unterschied bezüglich des Ausgangs aus der Leidspirale machen.
Uns, so fängt Kaufmann an, geht es vor allem um das Erkennen. Denn genau das ist allzu oft das Problem. Nicht in Heidelberg, wo es 365 Tage rund um die Uhr eine geöffnete Gewaltambulanz gibt, wo Betroffene Hilfe finden und Untersuchungen möglich sind, deren Ergebnisse gerichtsfest seien. Heißt, sie können als Beweise vor Gericht dienen. Doch das ist bei Weitem nicht überall der Fall. Und genau hier kommt die Telemedizin ins Spiel. Einfach gesagt, wird dabei forensische Kompetenz aus Heidelberg in die Fläche gebracht.
Gebraucht wird dabei vor allem einem Headset, bestehend aus Kamera und Mikrofon, die die Ärztin vor Ort, und eine Ärztin an einem Universitätsklinikum oder einem rechtsmedizinischen Institut koppelt. Damit könne gewährleistet werden, dass die Untersuchung fachgerecht und damit auch beweisfest verläuft. Und dass etwaige Fälle überhaupt erkannt werden. Das, so Kaufmann, sei gar nicht immer so leicht. „Die Unterscheidung von Gewalt und Unfall ist nicht immer trivial.“ Darüber hinaus müsse die Untersuchung in genau abgestimmten Schritten vonstatten gehen, damit die Ergebnisse vor Gericht Bestand haben.
Zonta-Club Schwetzingen: "Armed" gegen Gewalt an Kindern – Kleine Investition, große Wirkung
Erstaunlich ist, dass diese Idee bis dato weltweit noch niemand hatte. Dabei ist diese im digitalen Zeitalter geradezu simpel. Am Ende träumt Kaufmann von einer Welt, in der in jeder Praxis, jeder Klinik solche eine Datenbrille liegt und die Untersuchungen am Ende auf alle Gewaltopfer ausgedehnt werden können. Damit schaffe man zwar nicht die Gewalt aus der Welt. Aber man katapultiere das Erkennen, die Untersuchung und die Beweislast in neue Dimensionen und kann den Opfern wenigstens im Nachhinein effektiv helfen.
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Nur am Rande, aber eminent wichtig, erwähnte Kaufmann den Datenschutz. Mit dem in Heidelberg praktizierten System sei maximaler Datenschutz gewährleistet. Die Daten lägen ausschließlich auf extra gesicherten Servern des Instituts. Und sie würden auch nur genutzt, wenn eine Anzeige erfolgt. An Investitionen schlägt die Brille übrigens mit 2800 Euro zu Buche. „Sie hält rund fünf Jahre und kann steuerlich abgeschrieben werden.“
In Verhandlungen bezüglich der Behandlung stehe man mit den Krankenkassen gerade in Verhandlung. Kaufmann hofft, dass diese Frage bald geklärt werden kann. Denn es werde Zeit, dass das Projekt richtig ins Rollen kommt. Eine Sicht, die unter den Mitgliedern des Frauen-Service-Clubs völlig unstrittig war. Das sei, so der Tenor unter den rund 25 Zuhörerinnen, wirklich Technik zum Wohle von Menschen.
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