Speyer. Dass die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz ihr Musikfest in Speyer mit Felix Mendelssohn-Bartholdys „Lobgesang“ abgeschlossen hat, ist eigentlich nur eine Randnotiz wert. Aber die Art der Aufführung dieses symphonischen Kantatenwerks in der Gedächtniskirche ist vielmehr als herausragendes Ereignis zu würdigen, das seinen solitären Charakter auf absehbare Zeit behaupten dürfte. Zusammen mit dem Domchor und dem Kathedraljugendchor hat die Staatsphilharmonie einen „Lobgesang“ inszeniert, der seinesgleichen suchte.
Wenn der Chor nach der instrumentalen Sinfonia, die das Werk mit zahlreichen thematischen Bezügen einleitet, endlich einsetzt, wirkt das wie eine Epiphanie. Doch was da erscheint, ist nicht genau zu beschreiben – es ist eine Wirkung aus strahlendem Licht und grenzüberschreitendem Jubel. Seine appellative Kraft entfaltet der Choral „Alles was Odem hat, lobe den Herrn“ über die Chorstimmen hinaus – alle sind einbezogen: Skeptiker, Pessimisten, Hadernde. Gläubige wie Zweifelnde.
Freilich hat diese Gewalt, die von dieser machtvollen Klangkulisse ausgeht, auch etwas Überrumpelndes. Sie lässt uns keine Wahl. Fast wirkt die beträchtliche Lautstärke, die sich in der vollbesetzten Gedächtniskirche aufbaut, ein wenig schrill. Doch das mögen Abwehrmechanismen einer auf kritische Distanz geschulten Wahrnehmung sein. Musik, die Tod und Teufel vertreiben und jede Form von Verzagtheit in Zuversicht verwandeln kann, bezwingt selbst jenen Geist, der alles verneint.
Die Musik bereitet in der Gedächtniskirche in Speyer das Feld
Der Chefdirigent der Staatsphilharmonie, Michael Francis, leitet ein Orchester mit scharf konturierten, emphatischen Streichern, markigen Posaunen, elegischen Klarinetten und Fagotten. Mit Hingabe wird die romantisch-hymnische Klangsprache und werden die dynamischen Sogkräfte entfaltet.
Bevor der Chor einsetzt, scheint die Musik immer tiefer in eine Innerlichkeit zu führen, die sich als Stadium der Vorbereitung auf ein bedeutungsvolles Geschehen interpretieren lässt. Die dramatische Szene, in der die bange Frage: „Ist die Nacht bald hin?“ dem erlösenden Zuspruch weicht: „Die Nacht ist vergangen!“ wirkt wie eine ekstatische Erfüllung dieser von Mendelssohn mit zerreißender Spannung versehenen Erwartung.
Chor und Orchester schaffen bei Musikfest in Speyer ein Glaubensmanifest
Tenor Stefan Cifolelli gestaltet nicht nur diese Szene mit stark empfindender, lyrischer Eindringlichkeit. Herausragend indes Sopranistin Ania Vegry, die dieser Aufführung solistisch wie als Duettpartnerin auf gesanglich hohem Niveau und mit enormer Ausdrucksintensität wertvolle Akzente verleiht. Im Duett mit Mezzosopranistin Eleonora Vacchi gelingt die Arie „Ich harrete des Herrn“ im Wechselgesang mit dem Chor als bewegendes, an tiefe Empfindungen rührendes Ereignis.
Spätestens, wenn der von Domkapellmeister Markus Melchiori einstudierte Chor a cappella in den Choral „Nun danket alle Gott“ einsetzt, herrscht in der Speyerer Gedächtniskirche der Protestation eine Atmosphäre von lutherischer Unerschütterlichkeit. Mit diesem „Lobgesang“ haben Staatsphilharmonie und Domchor ein klingendes Glaubensmanifest vorgelegt, das man in einer von Krisen und Fluchtbewegungen schwer gebeutelten Kirche so kaum mehr erwartet.
Bisher scheint die Musik zu bewahren, was unter sakral-liturgischen Bedingungen nur noch schwer vermittelt werden kann. Und manchmal erwischt uns das so sehr, dass es schmerzt – wenn das nicht das eigentliche Wunder ist.
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