Speyer. Dieses Buch hat ihn an den Rand seiner Kraft gebracht. Noch immer sieht man Feridun Zaimoglu die Strapazen des Schreibens an. Und noch immer scheint er von seiner „Reise in die Düsternis“ nicht vollständig zurückgekehrt zu sein; eine heftige Erkältung tut ihr Übriges. Bei seiner Lesung aus seinem aktuellen Roman „Bewältigung“ beeindruckt der deutsch-türkische Schriftsteller in Speyer vor allem dank seiner persönlichen Durchlässigkeit.
Vom Mainzer Kulturaktivisten Günter Minas ebenso fachkundig wie sensibel befragt, gewährt Feridun Zaimoglu tiefe Einblicke in jene Schaffensphase, aus der sein Roman „Bewältigung“ hervorgegangen ist. Dabei ist der Titel durchaus auch autobiografisch zu verstehen; denn das Buch über jenes „Menschenschwein“, wie Adolf Hitler im Roman bezeichnet wird, hat dem Autor nicht nur alle Kraft abverlangt – es ist auch ein Buch über das Scheitern, sich eines solchen Stoffes auf diese besondere Weise zu bemächtigen.
Denn Absicht dieses Romans war es nicht etwa, das Leben des deutschen Diktators aus dem Auge des Interessierten zu schildern, sondern die Ich-Perspektive einzunehmen. Es ging um nichts weniger als die innere Anverwandlung, also die geistige und psychische Aneignung dessen, was einen solchen Menschen antreibt. Dabei ist Zaimoglu wie ein Schauspieler vorgegangen, der in die Rolle eines anderen schlüpfen muss. Je obsessivere Züge dieser Vorgang annahm, umso heftiger brachen Identitätskonflikte auf. Die 600 Seiten, die Zaimoglu über diese Introspektion, angereichert mit umfangreichen Recherchen und Reisen an die Originalschauplätze, zunächst geschrieben hatte, sind vom Verlag abgelehnt worden. Dem Hausjustiziar fehlte eine reflexive Ebene, die das Ungeheuerliche, das der Schriftsteller in diesem Hitler zutage förderte, einzuordnen und zu relativieren helfe. „Nach ein paar schwarzen Tagen“, wie Feridun Zaimoglu in Speyer schildert, habe er sich dann an ein neues Buch gemacht.
Verkörperung des Bösen
Darin ist nun eine Autorenebene eingezogen, die immer wieder Distanz schafft zu jener Figur, die in der Rückschau als Verkörperung des Bösen schlechthin gilt. Doch es ist gerade die banale und ins Peinliche karikierte Kleinlichkeit dieses Adolf Hitler, die jener Autor unter anderem bei seinen fiktiven Begegnungen mit Zeitzeugen zutage fördert. Zusätzlich steht auch der Autor unter Beobachtung, nämlich unter der desjenigen, der diesen Roman schreibt. Auf diese Weise wird das Geschehen vielfältig gebrochen. Das Monströse schrumpft auf menschliches Format.
Doch zugleich ist „Bewältigung“ eben auch ein Dokument des Scheiterns: Des Autors im Roman, der sich in die Person Hitlers hineinzusetzen versucht, aber auch desjenigen, der diesen Roman über jenen Autor verfasst. Von Bewältigung kann also keine Rede sein; allenfalls von einer Obsession, die ein solches Sujet einfordert, ohne eingelöst zu werden. Bei seiner Lesung in Speyer trägt Feridun Zaimoglu zwei längere Passagen aus seinem Roman vor, das mit einer Szene bei den Bayreuther Festspielen beginnt, wo der Wagner-Clan für die kulturelle Veredelung der nationalsozialistischen Umtriebe sorgt.
Zaimoglu liest rhythmisch und melodisch, versenkt sich in Rollen, Milieu und Aromen seines Romans, nimmt stimmhaft Anteil am Geschehen. Teilweise wirkt es, als würde er noch beim Lesen aufgesogen von jenem Schwarzen Loch, das in der Figur des Adolf Hitler anstelle einer Seele klafft. Ein Buch über diesen „kaputten Typen“ zu schreiben, das muss ein wahrer Grenzgang gewesen sein. „Es verdirbt einen“, bekräftigt Zaimoglu im Gespräch mit seinen Zuhörern. Er selbst scheint bei diesen Worten zu schaudern.
Geschrieben hat er in den Monaten, als die Corona-Pandemie den Alltag infizierte. Ein globaler pathologischer Zustand, der sich auf alle Lebensbereiche auswirkte. „Tatsächlich zerfiel mein Alltag“, berichtet der Schriftsteller. Und er gesteht: „Ich war besessen.“ Noch heute könne er sich wie auf Knopfdruck in den Kopf dieses Hitler hineinversetzen, denken und sprechen wie er. Seinen Roman charakterisiert er selbst als „verschriftlichten Hass“. Doch hinter diesem Buch steht auch eine riesige Trauer: Die Trauer um die vielen Toten, die diese Diktatur und der von ihr ausgelöste Weltkrieg mitsamt der Judenpogrome hinterlassen hat.
Mittlerweile sitzt Zaimoglu an einem neuen Roman. Man mag mit ihm auf eine kathartische Art des Schreibens und Denkens hoffen, die nicht in gleicher Weise an die Grenzen der Existenz geht wie „Bewältigung“. Auf die Spuren einer geschichtlichen Person wie die Hitlers – oder Luthers im Vorgängerroman – begebe er sich diesmal nicht, gibt der Autor zu verstehen. Die Zuhörer in Speyer vernehmen es mit Erleichterung. urs
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/speyer_artikel,-speyer-eine-reise-in-die-duesternis-und-in-hitlers-kopf-_arid,2050344.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/speyer.html