Speyer. Er ist ein Meister des suggestiven Plauderns und präsentiert Kabarett auf höchstem Niveau: Dreieinhalb Stunden räsonierte Hagen Rehter mit messerscharfen Kommentaren über den Zustand der Gesellschaft und der Welt. Damit hat er in Speyer erneut ein begeistertes Publikum erobert und ihm gleichzeitig drastisch den Spiegel vorgehalten.
Mit „Na, Schnuckis? Wie ist die Freiheit?“ begrüßte er die Besucher in der Stadthalle. Aufgrund der Corona-Zwangspause mussten diese fünf Jahre auf seinen neuerlichen Auftritt in Speyer warten. Sechsmal hat er bisher dort seit 2008 in der Regie der „arkaden“-Agentur sein Programm „Liebe“ präsentiert, dessen Titel sich nie verändert, aber dessen Inhalt er immer fließend der aktuellen Situation anpasst.
Die Bühne war wie gewohnt minimalistisch ausgestattet, einige wenige Requisiten genügten, sein Welttheater zu entfalten. Kein Klavierstuhl, sondern ein Bürostuhl steht am Flügel, in dem er sich beim Plaudern genüsslich wiegt und räkelt; ein paar Bananen zieren das stattliche Instrument. Der dunkle Anzug und der markante Pferdeschwanz sind nach wie vor Markenzeichen. Neu ist der Philosophen-Bart, ein Ergebnis der Corona-Zeit. Er selbst habe sich während der Pandemie mit diesem Bart ein Haustier zugelegt, das er liebevoll „Frettchen“ nannte. Das habe zudem den Vorteil, „dass Frauen Männer mit Bart nicht so attraktiv fänden“.
Der Kabarettist, der sich seit Jahrzehnten der Klimakatastrophe, dem Versagen der Politik, der gesunden Ernährung und der Geschlechterungerechtigkeit widmet, zeigte an unzähligen Beispielen und Geschichten auf, dass „wir alle tun, als ob wir drei Planeten hätten“ und dass wir mit unserem Konsumverhalten die Erde zugrunde richten würden. Fluchtursachen könnten nicht von der Politik bekämpft werden, weil wir selbst die Fluchtursache seien: „Kenia ist am Arsch, weil das ganze Wasser dort für unsere Schnittblumen draufgeht.“ Eindringlich machte er seinem Publikum klar, dass wir alle selbst schuld sind an der Misere unserer Zeit. Und dass wir uns alle bequem eingerichtet haben auf Kosten anderer Länder, die wir seit Jahrhunderten ausgebeutet haben.
Dabei sparte der überzeugte Veganer nicht mit Kritik an Politik, Gesellschaft, der ausbleibenden grünen Revolution, unseren Essgewohnheiten und den Kirchen. Der Dalai Lama, Christian Lindner und die FDP, aber auch Angela Merkel und die Großkonzerne sind beliebte Ziele seines Spotts. Schon dass man in der Stadthalle zusammengekommen sei, aus verschiedenen Ecken der Region, um mit dem Auto anzureisen und dann „drei Stunden lang mit ihm über Ökologie zu reden“ sei ja „Irrsinn“. Aber andererseits hinterließe ja selbst der Dalai Lama, jener „Peter Lustig für enttäuschte Christen“, mit seinen Reisen durch die ganze Welt einen CO2 Abdruck wie ein ganzes Kohlekraftwerk.
Hagen Rether in Speyer: Christian Linder und sein Porsche
Süffisant nahm er Christian Lindner mit seinem „pubertären Porsche-Gehabe“ und seiner „neoliberalen Ideologie“ aufs Korn. Ihm gehe es aber nicht darum, Personen zu attackieren, sondern darum, Muster sichtbar zu machen. Dazu gehört jenes, dass wir immer wieder das Patriarchat wählen, das alleinerziehende Mütter und Geringverdiener benachteilige, so lange, bis hart arbeitende Menschen wie Busfahrer Wohngeld beantragen müssten oder sich Polizisten in München, in der Stadt, für die sie Dienst tun, keine Wohnung mehr leisten könnten. Ein anderes Muster sieht er darin, krisenhafte Situationen wie den Klimawandel oder die anhaltende Zuwanderung lange zu verleugnen, um dann schlagartig in Resignation zu verfallen und rechte Parteien zu wählen.
Angesichts scharfsinniger Zustandsbeschreibungen blieb den aufmerksamen Besuchern nicht selten das Lachen im Halse stecken. Aber Hoffnungslosigkeit ließ Rether nicht zu. Die Stammtischparole „Es ändert sich ja doch nix“ wollte er nicht gelten lassen und erinnerte daran, wie zerstört Deutschland vor 80 Jahren nach Kriegsende ausgesehen habe und wie aus dem Land, das für den Holocaust verantwortlich war, mit vielen internationalen Hilfen schließlich wieder ein beliebter Staat geworden sei. Er hat die Hoffnung in der Tat noch nicht aufgegeben und Stift und Schreibblock in die Stadthalle mitgebracht, um zwischendurch immer mal wieder das Publikum zu befragen, ob es denn neue Ideen zur Lösung dieser Probleme habe, die er gerne notieren und mitnehmen wolle. Er meinte das ganz wörtlich mit seiner Aufforderung zum Mit- und Andersdenken. Die Resonanz im Publikum auf solche Fragen blieb allerdings sehr verhalten.
„Warum mache ich das überhaupt?“, fragte sich Rether zum Schluss des Abends, als er sich endlich auch noch dem Flügel zuwandte, den er ganz nebenbei bravourös beherrscht. Zu Beethovens „Neunter“ und „Over the rainbow“ zog er noch einmal alle Register des Weltuntergangs, um dann doch noch - musikalisch und textlich - ein Fünkchen Hoffnung zu verbreiten: Resignation ist für ihn keine Option. „Jeder, der morgens aufsteht, ist schon Optimist.“ Es sei für ihn das Mindeste, sagte er, sich an solchen Abenden in den Anzug zu werfen und auf die Bühne zu steigen, „wenn Holocaust-Überlebende auch nach 80 Jahren diesen unglaublichen Liebesdienst tun, in die Schulen zu gehen und aufzuklären.“
Man verlässt den Saal nach Rethers Auftritt und kommt sich ein wenig aufgewühlt vor. Es ist alles gesagt und alles entlarvt. Jetzt kommt es nur noch darauf an, über die eigenen Fernreisen, den eigenen Fleischkonsum und das eigene (Fehl)Verhalten nachzudenken. „Seid nett zu Euren Kindern“, gibt er ganz zum Schluss seinem Publikum noch einen letzten, gut gemeinten Ratschlag mit auf den Nachhauseweg, bevor er ganz leise hinter dem schwarzen Vorhang verschwindet.
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