Literaturreihe Speyer.Lit

Schriftsteller Christian Baron macht Armut in Speyer anschaulich

Christian Baron liest in Speyer aus seinen Familienromanen, in denen sich immer wieder gute Momente inmitten von Armut und Verwahrlosung finden.

Von 
Uwe Rauschelbach
Lesedauer: 
Christian Baron zeigt ein Exemplar der Erstauflage seines Romans „Ein Mann seiner Klasse“, das er mehrmals flicken musste, damit er daraus lesen kann. © Klaus Venus

Speyer. „Oasen des Glücks in einer verwüsteten Kindheit“: Immer wieder sind es solche Orte, in die Christian Baron seine Leser und Hörer mitnimmt, wenn er über das Leben in einer Familie berichtet, die von Armut und Verwahrlosung betroffen ist. Doch da sind auch Erinnerungen an gute Momente, die Baron in seine Lesung in Speyer einstreut – und die sich wie Rettungsinseln aus einem düsteren, nassen Grau erheben, das alle Hoffnungen zu verschlingen droht.

In seinen beiden Romanen „Ein Mann seiner Klasse“ und „Schön ist die Nacht“ schildert der aus dem pfälzischen Kaiserslautern stammende und heute in Berlin lebende Schriftsteller die Geschichte seiner Familie. Tatsächlich Erlebtes befindet sich darin, die Klassifizierung als Roman verweist auf einen freieren Umgang mit dem biografischen Material, geht es hierbei doch weniger um historische Exaktheit als um eine persönliche Aufarbeitung.

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Seine Leser und Zuhörer nimmt Christian Baron in einen „Kosmos“ der 1970er und 1980er Jahre mit, der in die engen Grenzen einer sozial benachteiligten Existenz gespannt ist. Der Vater ein Säufer und Schläger, die Mutter in ihrer häuslichen Rolle gefangen und mit der Kindererziehung alleine gelassen: Das sind die Koordinaten einer Adoleszenz in einer schäbigen und ungeheizten Wohnung mit dem Türrahmen als Horizont.

Eine Welt, in der das Bier nach der Arbeit in der Kneipe zum traurigen Höhepunkt des Tages zählt, bevor zu Hause eine frustrierte Frau und eine Handvoll betreuungsbedürftiger Kinder warten. In der schnell mal eine Hand ausrutscht und giftige Worte fallen, die in den Köpfen und Herzen über die Jahre hin eine toxische Mischung aus Stumpfsinn und Verdruss hinterlassen. Statt eines vollwertigen Essens steht „Spaghettimatsch“ auf dem Herd. Und Urlaub ist das, was sich nur Reiche leisten können.

Christian Baron in Speyer: Politische Ansichten eingestreut

Barons Oberthema und zugleich Motivation für das Schreiben lautet: „Armut in einem reichen Land.“ Zwischen den Passagen seiner Lesung in Speyer streut er immer wieder politische Ansichten ein, die aus eigenen Lebenserfahrungen resultieren. Dass er sich selbst politisch links verortet, verwundert nicht. Als Schriftsteller ist er nicht nur an der Aufarbeitung des eigenen Familienschicksals interessiert, sondern auch an der Art und Weise, wie Politik und Gesellschaft mit real existierenden Armutsverhältnissen umgehen.

Die Tatsache, dass sozial benachteiligte Eltern und Kinder in der Zeit der 1970er und 1980er Jahre nicht nur der konsequenten staatlichen Unterstützung ermangelten und die soziale Stigmatisierung wie ein lebenslanges Gefängnis wirkte, aus dem es kein Entrinnen gab, ist aus Sicht Christian Barons auch das Versäumnis einer an Fortschritt und Wohlstand orientierten Öffentlichkeit. Deshalb haften dem Thema Armut zahlreiche Ambivalenzen an, wie der Autor ausführt: Der zuschlagende Vater erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur als Täter, sondern zugleich als Opfer. Andererseits lässt sich die Armutsbiografie nicht in moralisches Recht ummünzen.

Autor Christian Baron: Rettung durch die Tante

Christian Baron hatte Glück: Nach dem frühen Tod der Mutter kamen die Kinder zu einer Tante, die sich resolut für das Weiterkommen der ihr anvertrauten Schützlinge einsetzte. Der Junge machte Abitur, studierte, wurde Journalist. Gewiss ist es diese noch immer einzigartige Laufbahn nach einer solch schwierigen Ausgangslage, die dem Erwachsenen heute einen weitgehend unabhängigen und befreiten Blick auf die eigene Vergangenheit ermöglicht.

Für seine Eltern, die doch vieles an ihren Kindern schuldig geblieben sind, findet er deshalb Worte des Verständnisses und der Versöhnung. Über den Vater sagt Baron gleichwohl: „Mit diesem Typen bin ich noch lange nicht fertig.“ Das nächste Buch ist denn auch in Vorbereitung. Bei seiner Lesung in Speyer präsentiert sich der Schriftsteller aber nicht nur abgeklärt und souverän. Die Dialoge zwischen seinen Protagonisten trägt er auf Pfälzisch vor, das hat teilweise kabarettistische Qualität, sorgt aber auch für willkommene Entspannung mit Blick auf jenes schonungslos geschilderte und bedrückende Milieu. Wer mit Christian Baron einen Blick hinein geworfen hat, den kann das Thema Armut fortan nicht mehr kalt lassen.

Redaktion Zuständig für Lokales in Lampertheim (Kommunalpolitik, Kultur), Mitarbeit im Kulturressort des Mannheimer Morgen (Musikkritik, CD- und Bücher-Rezensionen).

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