Speyer. Stadtführer leiten Menschengruppen durch die Speyerer Innenstadt, die Freisitze sind voll, in den Geschäften wird geshoppt. Völlig normal, der Samstag. Fast. Denn draußen, auf der Maximilianstraße, mischen sich Gestalten aus einem anderen Zeitalter unters Volk.
Das Spectaculum hat sich angekündigt. Tage im Voraus. Da sind Bauzäune gestellt und komplette Dixi-Landschaften geliefert worden. Lkw sind selbst in die schmale Gasse Richtung Rhein gestoßen, haben Bühnenteile, Lautsprecherboxen und Mobiliar abgeladen. Viel Vorbereitung für zwei Tage Mittelalter im Domgarten.
Wieder ist Speyer eine Station des „MPS“, dem Mittelalterlich-Phantasie-Spectaculum. Das geht ins 30. Jahr. Einige Besucher könnten von Anfang an dabei gewesen sein. Andere haben trotz junger Jahre schon Blut geleckt am Leben der Epoche zwischen Antike und Neuzeit. Wieso nur?
Karina Freyland hat die simple Antwort: „Weil’s einfach Spaß macht.“ So einfach ist die Sache dann doch nicht. Denn sie ist mächtig aufwendig, wie das Beispiel der Frau aus Waldkirch zeigt. Meterweise Stoff hat sie für ihr Kostüm verarbeitet. Kräftige Farben, lagenweise geschichtet, teilweise in Fetzen, schwerer Stoff, doppelt genäht, mit vielen Details und viel Behang – beim MPS wird Freyland zur Hexe.
Kirsch-Rum vom Wikinger
Grundsätzlich ist alles auf dem weitläufigen Gelände zu finden, das auf zwei Standorte verteilt ist. Minimal haben sich Mittelalter-Fans einen Mantel umgeworfen. Maximal gibt’s die volle Dröhnung, mit Schminke, Schwert, Schmuck und Schnickschnack. Letzteres vor allem in Form von Füllhörnern, die – klar – niemals leer werden.
„Der ist sehr zu empfehlen“, grätscht ein Wikinger in die Überlegung eines Burgfräuleins und ihres fellbehangenen Begleiters, der durch die Kostümierung eine gigantische Erscheinung abgibt. „Kirsch-Rum“ steht auf der Flasche des Wikingers. Die Empfehlung wird angenommen. Pistazien-Likör für das Fräulein gibt’s extra. Die Bandbreite der „Hexengetränke“ ist enorm. Die langhalsigen Flaschen eignen sich, um sie direkt an die Kehle zu setzen, sollte das Füllhorn mal fehlen.
„Wir sind zum dritten Mal hier in Speyer. Das Flair ist genial, mit dem Dom im Hintergrund und der alten Mauer“, plaudert Richard Piehl, der sich mittelalterlich Bernulf nennt, über seine Freude am Besuch des MPS. Mit der Mauer meint er das Heidentürmchen, vor dem eine der Musikbühnen aufgebaut ist. Auch Piehl hat eine weite Anfahrt hinter sich. Aus Münster kommt er. Übernachtet wird im Wohnwagen. Echte Fans nehmen sowas in Kauf.
Gaukler bespaßen Kinder, Schwertkämpfer die ganze Familie, die Bands vor allem die Erwachsenen des mittleren Alters im Mittelalter. Sich zu outen hat Konjunktur. Versengold, Saor Patrol, Saltatio Mortis – die Favoritenbands stehen gut lesbar auf T-Shirts geschrieben. Der Kommerz lebt sowieso. Schmuck, Schuhe, Shampoo – gezahlt wird in Goldmünzen. Stilecht, das Ganze.
Wie der Zyklopenspieß. Falafel und Softeis sind Schmarotzer, die den Einzug ins Mittelalter gepackt haben. Zufriedene Gäste in der Neuzeit sind die Hauptsache für den Veranstalter aus Drensteinfurt in Nordrhein-Westfalen, der auf eine vierstellige Zahl eingestellt ist. Die probieren dafür gern mal Neues – wie Pommes mit Nutella. Ziemlich abenteuerlich. So ist das Mittelalter nun mal.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/speyer_artikel,-speyer-spectaculum-in-speyer-geniales-flair-mit-dem-dom-als-kulisse-_arid,2119346.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/speyer.html