Speyer. 110 Jahre Pfalz-Flugzeugwerke! Was unglaublich klingt, wurde jetzt am Freitag mit einem Festakt und der Enthüllung eines Zeremoniensteins auf dem Werksgelände am Neuen Rheinhafen gefeiert. Zur Feier mit anschließendem Werksrundgang hatten Unternehmensleitung und hochrangige Repräsentanten vom Betreiber Hutchinson sowie den Flugzeugherstellern Airbus und Boeing allen Grund. Nach einschlägigen Statistiken werden nur knapp zwei Prozent aller Unternehmen 100 und mehr Jahre alt.
Die Pfalz-Flugzeugwerke, die unter dem Namen PFW Aerospace GmbH seit Januar 2020 zum internationalen Konzern Hutchinson mit Sitz in Paris gehören, bilden also eine große Ausnahme. Festmachen lässt sich das ohne Frage an der Qualität der Produkte, einer meist zielorientierten Geschäftsleitung und dem Engagement qualifizierter Mitarbeiter, so hießt es bei den Festreden.
Das Leistungsspektrum ist enorm. Bei Rohrleitungssystemen für Flugzeuge ist das Speyerer Unternehmen gar Weltmarktführer. Es umfasst ferner weitere Strukturbaugruppen und Komponenten für Luftfahrzeuge. In ihrer Gesamtheit spiegelt die Produktpalette eindrucksvoll die Innovationsfähigkeit sowie technische und kaufmännische Flexibilität selbst bei zwingend erforderlichen Reorganisation-Maßnahmen wider.
Airbus und Boeing als Kunden in Speyer
1900 Mitarbeiter, davon 1400 in Speyer, sind für einen möglichst reibungslosen Ablauf verantwortlich. Die restlichen 500 Beschäftigten verteilen sich auf weitere Standorte in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und der Türkei. Wichtigste Kunden sind Airbus und Boeing.
Den Einstieg in den Festakt markierte ein kurzer Film, der anschaulich über die Herstellung und Vielfalt typischer PFW-Produkte informierte. Daran und an die Innovationsfähigkeit des Unternehmens anknüpfend, betonte Stefan Zimmermann, Chief Executive Officer (CEO) bei PFW Aerospace, dass die Zukunft wichtiger sei als die Vergangenheit. Der offizielle Akt erfolgte übrigens auch ohne Arbeitnehmerbeteiligung. Die Belegschaft feiert das Jubiläum mit Familienangehörigen am Samstag, 17. Juni gesondert.
Beurkundet wurde die Gründung des Speyerer Traditionsunternehmens am 3. Juni 1913 in Neustadt an der Weinstraße. Bereits am 12. Juli erfolgte die Eintragung ins Handelsregister beim Amtsgericht Ludwigshafen. Schon im zweiten Jahr flog der erste Doppeldecker aus den Pfalz-Flugzeugwerken bis nach „Deutsch-Südwest Afrika“. In den nächsten Jahrzehnten lösten sich Höhepunkte und wirtschaftliche Krisen in schöner Regelmäßigkeit ab. Während die Pfalz-Flugzeugwerke im Ersten Weltkrieg drittgrößter Hersteller von Kampfflugzeugen waren, wurde 1932 eine Zwangsversteigerung eingeleitet. Nach einem Intermezzo als Flugwerke Saarpfalz kam 1945 das nächste Aus.
Erst 1954 erfolgte mit Beginn der Heinkel-Ära ein Neustart. So lief in Speyer zunächst der legendäre Heinkel-Kabinenroller – also ein Kleinwagen – vom Band. Dem folgte als Ernst Heinkel Flugzeugbau GmbH in Kooperation mit anderen Unternehmen die Produktion von Flugzeugen. In diese Zeit fällt auch die Zulassung des heutigen Flugplatzes als Verkehrslandeplatz.
Große Krisen bewältigt
Bedingt durch die Fusion der Ernst Heinkel Flugzeugbau mit der Focke Wulf Weser-Flugzeugbau zu den Vereinigten Flugtechnischen Werken (VFW) verlor Speyer seinen Status als Sitz eines eigenständigen Unternehmens und war fortan Fertigungswerk im VFW-Verbund. In der Folge bestimmten wieder einmal Krisen- und Blütezeiten das Geschehen. Gestiegenen Beschäftigungszahlen folgten Existenzkämpfe, die selbst die früheren rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Helmut Kohl und Bernhard Vogel auf den Plan riefen.
In der jüngeren Vergangenheit bleiben die Übernahmen von VFW durch Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) mit der Wartung von Hubschraubern in Erinnerung. Das Auf und Ab der wechselvollen Firmengeschichte war noch lange nicht zu Ende. Ab den späten 1980er Jahren bestimmte die Deutsche Aerospace AG (Dasa) das Geschehen. In den 1990er Jahren drohte mit der Schließung des Speyerer Werkes ein dramatischer Flächenbrand, der dank des Engagements der Mitarbeiter, die das Werk für einen symbolischen Preis kauften, abgewendet wurde.
Relative Ruhe kehrte mit der Beteiligung des US-Pensionsfonds Safeguard und dem Flugzeugbauer Airbus ein. Heute gehört die PFW Aerospace zu Hutchinson. Unter deren Führung wurde eine weitere Bedrohung gemeistert, als die Corona-Epidemie der Luftfahrtindustrie und damit den Herstellern von Flugzeugen und Baugruppen schwer zusetzte.
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