Literatur - Vulgärsprache legt psychische Strukturen offen

Tijan Sila liest in Speyer aus seinem hochgelobten Roman „Krach“

Kann man bekennender Pfälzer sein – und Punker noch dazu? Tijan Sila hat in seinem Roman das Kunststück fertig gebracht, zwei scheinbar unvereinbare Identitäten miteinander zu versöhnen.

Von 
Uwe Rauschelbach
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Im Alten Stadtsaal liest in einer von der Literaturwissenschaftlerin Christine Stuck moderierten Lesung der derzeitige Reinfrank-Preisträger Tijan Sila aus seinem Roman „Krach“. © Venus

Speyer. Kann man bekennender Pfälzer sein – und Punker noch dazu? Tijan Sila hat das Kunststück fertig gebracht, zwei scheinbar unvereinbare Identitäten miteinander zu versöhnen. In seinem Roman „Krach“ trägt der 18-jährige Gansi die antipodischen Spannungen, die sich zwischen der fiktiven pfälzischen Kleinstadt Calvusberg und der wilden Bühne einer Punkband aufbauen, in sich aus. Das endet dann in der Regel in wüsten Prügelszenen, die der Autor in der Literaturreihe Speyer.Lit durchaus mit eigenen Erfahrungen anreichert.

Tijan Sila – so der Künstlername des 1981 in Sarajevo geborenen Schriftstellers – spielt selbst als Gitarrist in einer Punkband. Im bürgerlichen Leben ist er übrigens Berufsschullehrer in Kaiserslautern. Für seinen zweiten Roman „Die Fahne der Wünsche“ wurde er im vorigen Jahr mit dem Arno-Reinfrank-Literaturpreis der Stadt Speyer ausgezeichnet.

Sein aktueller Roman „Krach“ spielt in den 1990er Jahren. Einer Zeit, die – so der Autor im Gespräch mit der Speyerer Literaturwissenschaftlerin Christine Stuck – deutlich stärker von Gewaltbereitschaft in gewissen Milieus geprägt gewesen sei als heute. In „Krach“ stattet Tijan Sila seinen Hauptprotagonisten mit den Erfahrungen eines bosnischen Migranten aus, der sich in der neuen (pfälzischen) Heimat zurechtfinden muss und seine Wahlfamilie in der rebellischen Subkultur der Punkbewegung findet.

Behütetes Zuhause

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Häusliche Geborgenheit und anarchisches Rockerleben schließen sich dabei nicht aus, wie der Schriftsteller und Pädagoge aus eigener Anschauung berichtet. Vielmehr erscheinen die Auswüchse der gegen jede Ordnung unterlaufende Unterwelt als notwendige Ergänzung im Erleben eines Heranwachsenden, der noch mitten in der Suche nach der eigenen Identität steht und in der pubertären Trotzphase des Punkrockers seine Grenzen auslotet.

Tijan Sila lässt seinen authentischen Coming-of-Age-Roman, wie ihn Moderatorin Christine Stuck bezeichnet, anders als etwa seine populären Vorbilder „Der Fänger im Roggen“ oder „Tschick“, keineswegs vor dem Hintergrund problematischer Familienverhältnisse spielen. Das Zuhause spendet vielmehr ein Behütetsein, dem sich der 18-jährige Gansi entziehen muss, um seine „Selbsterfindung“, wie es der Autor definiert, zu betreiben. Dabei ergeben sich zwischen dem Umgang im Freundeskreis und in der Familie einerseits und den Gewaltexzessen im Rockermilieu andererseits durchaus schroffe Brüche, die Sila allerdings mit trockenem und lockerem Humor überwindet.

Dialekte und Soziolekte bilden ein provinziell-anarchisches Leben ab, das zwischen Familie, Arbeiter- und Rockermilieu changiert. Gerade die häufig genutzte Vulgärsprache erweist sich indes als überraschend geeignet, sensible psychische Strukturen offenzulegen, die unter der Oberfläche dieser miteinander konfrontierten diversen Soziokulturen schimmern.

Im Gespräch präsentiert sich ein offener, auskunftsbereiter Schriftsteller, der obendrein genügend selbstironische Distanz aufbringt, um seinen von der Fachpresse überwiegend hochgelobten Roman nicht allzu ernst aussehen zu lassen. Schließlich gilt es auch spätestens anderntags, die Punkeridentität abzustreifen und sich wieder als Lehrer an der Berufsschule in Kaiserslautern blicken lassen zu können.

Freier Autor

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