Speyer. Der schriftliche Nachlass des bekannten Speyerer Unternehmers und Mäzens Töns Wellensiek wird künftig die Bestände des Speyerer Stadtarchivs ergänzen. Nachlassgeberin Gudrun Wellensiek hat jetzt eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten und Fotos ihres im letzten Jahr verstorbenen Gatten dem Archiv überlassen.
Zwei große Kisten mit Briefen, Urkunden und Fotos aus dem Hause Wellensiek sind jetzt angekommen. Der Nachlass umfasst fünf opulente Fotoalben, zwei Familienbibeln, 15 Papierhefter mit jeweils 30 bis 90 Dokumenten: Zeitungsartikel, Briefe, Fotos, Urkunden und zwei dicke Leitzordner mit interessanten Dokumenten. Sie belegen die weitreichende regionale und internationale Vernetzung der Tabakfabrik Wellensiek & Schalk bis hin in die USA, nach Brasilien und nach Kuba. Die damit dokumentierte Familien- und Firmengeschichte umfasst vier Generationen des Wellensiekschen Tabak-Imperiums. Es sind bedeutende Zeugnisse der Speyerer Wirtschafts- und Sozialgeschichte.
Speyers Alt-Oberbürgermeister Werner Schineller hat vermittelt
Darüber freuten sich bei der Übergabe im Lesesaal des Stadtarchivs Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler, Bürgermeisterin Monika Kabs sowie Oberbürgermeister a. D. Werner Schineller, der den Nachlass an das Stadtarchiv vermittelt hatte. Erfasst und katalogisiert werden die Dokumente im Archiv von Almut Neef, die als frühere Mitarbeiterin des Historischen Museums die notwendige Expertise mitbringt.
Töns Wellensieks Großvater, der Fabrikant Hermann Wellensiek, kam 1881 aus dem westfälischen Bünde nach Speyer und etablierte mit seinem Partner Carl Schalk schnell eine sehr erfolgreiche Zigarrenproduktion. Was mit zwölf Arbeiterinnen und Arbeitern begann, wurde rasch zum Erfolgsunternehmen. Man hatte den Tabak vor der Haustür in der Pfalz, musste ihn aber auch bald durch Lieferungen aus dem Ausland ergänzen. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Speyer 51 Industriebetriebe mit fast 3000 Beschäftigten, davon alleine 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Wellensiek & Schalk.
Die Tabakindustrie war zu dieser Zeit der größte Arbeitgeber in der Domstadt – auch mit zahlreichen Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen. Diese arbeiteten vermutlich nicht zu den besten Bedingungen, aber Dank des sozialen Engagements der beiden Firmengründer wurde eine firmeneigene Krankenkasse gegründet, der 1894 bereits 1070 Mitglieder angehörten. Die Firma wurde für viele Jahrzehnte zum bedeutendsten Wirtschaftsfaktor für Speyer. Wellensiek & Schalk mit Hauptsitz in der Domstadt hatte auch Niederlassungen auf der anderen Rheinseite in Altlußheim, Rheinhausen, Oberhausen, Philippsburg, Rheinheim, in Rot und St. Leon.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, eine Zeit der Automatisierung, verlor das Unternehmen an Bedeutung, wurde verkauft und die Produktion nach Westfalen verlagert. Töns Wellensiek war der letzte in Speyer verbliebene Nachfahre dieser Zigarrendynastie und blieb eine Zeit lang nach der Verlagerung des Firmensitzes auch am neuen Standort in der Verantwortung. Er ließ berufliche Jahre in Brasilien folgen, bevor er in die Domstadt zurückkehrte und unter anderem als Geschäftsinhaber tätig war. Ganz im Sinne seiner Vorfahren zeigte auch er bürgerschaftliche Verantwortung für seine Stadt. Seit 2000 vergab er alljährlich einen Preis für Jungfilmer in Speyer, den Töns-Wellensiek-Videopreis. 2008 errichtete der Filmbegeisterte mit 70 000 Euro eine Stiftung dafür. Im April 2017 entschloss er sich, die Stiftung zu erweitern und unter dem Dach der Kulturstiftung Speyer einzugliedern.
Eine Einladung vom König
Der Nachlass von Töns Wellensiek hat auch außergewöhnliche Fundstücke zu Tage gefördert, wie Alt-OB Werner Schineller bei der Übergabe der Dokumente süffisant demonstrieren konnte. Zum Beispiel die Einbürgerungsurkunde von Wellensieks Großvater Hermann, ausgestellt in Speyer am 9. Mai 1913. Zuzug nach Speyer war damals nur mit Einbürgerungsgespräch und Zustimmung der Stadtverwaltung möglich.
Wellensieks Großvater stieg dann mit dem Erfolg des Unternehmens schnell zum königlich bayrischen Kommerzienrat auf und erhielt in der Folge eine Einladung des bayerischen Königs zu einem Festessen auf Schloss Villa Ludwigshöhe zusammen mit anderen ranghohen Repräsentanten aus der damals bayerischen Pfalz. Das Einladungsschreiben mit königlichem Siegel, der bereitgestellte Transport in königlichen Karossen von Edenkoben zur königlichen Residenz, die Sitzordnung im Festsaal des Schlosses, die Menüfolge einschließlich Weinkarte sind im Nachlass lückenlos dokumentiert. So lebendig kann Archivarbeit werden!
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