Heidelberg. Herr Professor Harnisch, nach dem Anschlag auf Donald Trump schlägt dieser mäßigende Töne an. Ist er geläutert?
Sebastian Harnisch: Unmittelbar nach der Tat hat Trump die Symbolik und die Macht der Bilder begriffen. Er ist aufgestanden, hat die Faust ins Publikum gereckt und sich kämpferisch gezeigt. Jetzt folgt die zweite Phase, in der er versucht, die Ereignisse zu nutzen, um sich für ein breiteres Wählerpublikum aufzustellen.
Zugleich hat er auf dem Parteitag J.D. Vance zu seinem Vizekandidaten für die Präsidentschaftswahl gemacht - einen Hardliner und Scharfmacher. Wie passt das zusammen?
Harnisch: Das passt sehr gut für Donald Trump zusammen. Aus seiner Sicht war es in seiner ersten Präsidentschaft ein Fehler, Mike Pence als moderierende Stimme zum Vize zu machen. Deswegen hat er jetzt mit Vance einen ultraloyalen Kandidaten nominiert. Einen, der ihn früher scharf kritisiert hat, der aber jetzt bekehrt wurde.
USA-Experte
- Sebastian Harnisch (Jahrgang 1967) ist Professor für Internationale Beziehungen und Außenpolitik am Institut für Politische Wissenschaft (IPW) an der Universität Heidelberg.
- Der USA-Experte ist zudem Mitglied des Direktoriums des Heidelberg Center for American Studies (HCA).
Dass Vance sehr schnell Joe Biden die Schuld an dem Attentat gab, widerspricht doch Trumps - zumindest derzeit - mäßigendem Ansatz.
Harnisch: Richtig. Aber mit den moderierenden Tönen kann sich Trump in der Rolle des Staatsmanns präsentieren, als einer, der versucht, die Phase bis zum Wahltag möglichst gewaltfrei über die Bühne zu bringen.
Wie groß ist das Risiko, dass es zu weiteren Gewalttaten oder gar Anschlägen kommt?
Harnisch: Wir wissen aus Umfragen und auch aus wissenschaftlichen Studien, dass die Gewaltbereitschaft insbesondere der Unter-30-Jährigen auf beiden Seiten des politischen Spektrums erheblich ist. Aus diesem Spektrum kommt auch der Attentäter - da müssen die Sicherheitsbehörden jetzt sehr aufpassen. Die Dynamik, die im Moment herrscht, kann zwar gebrochen werden durch eine Moderation von Donald Trump, aber sie könnte auch noch weitergehen.
Woran denken Sie?
Harnisch: Es ist möglich, dass es zu Gewalt gegen Wahlkampfhelferinnen und -helfer kommt - wie es sie ja auch in Deutschland gab. Oder dass Richter oder Staatsanwälte angegriffen werden, die mit Verfahren gegen Donald Trump betraut sind. Einen erneuten Anschlag auf die Präsidentschaftskandidaten halte ich hingegen für unwahrscheinlicher, weil die Sicherheitskräfte jetzt noch stärker sensibilisiert sind.
Trump hat einen Tag nach dem Attentat gesagt, er wolle versuchen, das Land zu einen. Und ergänzt: „Aber ich weiß nicht, ob es möglich ist.“ Ist es das?
Harnisch: Das ist sehr schwierig zu beantworten. Normalerweise sollten in einer Demokratie Wahlen eine befriedende Wirkung haben. Allerdings steht es derzeit tatsächlich sehr in Frage, ob Donald Trump und J.D. Vance ein Wahlergebnis anerkennen, falls sie unterliegen. Es wäre dann also wieder eine umstrittene Wahl. Und wir haben sichere Hinweise darauf, dass es eine relevante Minderheit von Anhängern Donald Trumps gibt, die bereit sind, zu den Waffen zu greifen, wenn das Wahlergebnis nicht zugunsten ihres Kandidaten ausfällt.
Wie sicher sind diese Erkenntnisse?
Harnisch: In den USA gibt es Forschung zur Gewaltbereitschaft vor Wahlen. Und Sie haben vielleicht mitbekommen, dass das FBI und das Department of Homeland Security am Dienstag einen Sicherheitshinweis herausgegeben haben, der zeigt, dass es ein erhöhtes Level an gesellschaftlicher Gewaltbereitschaft gibt, gegen die jeweils andere politische Gruppe mit Waffen vorzugehen. Das muss man ernst nehmen. Außerdem werten die Sicherheitsbehörden zahlreiche Informationen aus, etwa Hinweise aus den Milizen, von Menschen, die sich am Sturm auf das Capitol beteiligt haben, und auch von Parteimitgliedern, die darauf hindeuten, dass sie die Wahl nicht anerkennen werden, wenn die Demokraten gewinnen würden.
Die Anerkennung einer Wahl-Niederlage ist eine Grundregel der Demokratie.
Harnisch: Ja, und sie ist vor allem wichtig für die befriedende Wirkung von Wahlen in Demokratien. Wie es Joe Biden in seiner Ansprache nach dem Attentat gesagt hat: Man trägt politische Meinungsverschiedenheiten über Wahlen und nicht über Gewalt aus.
Wie gefährdet ist die US-Demokratie?
Harnisch: Ich glaube, dass ein erhebliches Risiko besteht, dass es über dien Wahlprozess hinweg zu längerfristigen politischen Gewaltausbrüchen kommen kann. Die USA sind eine Gesellschaft, in der Waffen sehr weit verbreitet sind, dazu kommt die bereits angesprochene deutlich gestiegene Bereitschaft in weiten, signifikanten Teilen der Gesellschaft, den politischen Meinungskampf mit Waffen auszutragen. Daher kann man nicht mehr ausschließen, ja man muss sogar einrechnen, dass es vor, während oder nach dem Wahlakt zu politisch motivierter Gewalt kommt.
Mit Auswirkungen auf die Demokratie?
Harnisch: Das kann dann in der Folge entweder zu einer Festigung der demokratischen Spielregeln führen, wenn die politisch Verantwortlichen von dieser Klippe zurücktreten. Es kann aber auch den Weg bereiten zu einer autoritären Regierungsform. Nämlich dann, wenn sich die Kräfte durchsetzen, die die Verfassung umformulieren und die Rechte politisch Andersdenkender massiv, zum Teil mit Waffengewalt, einschränken wollen.
Die Rhetorik im US-Präsidentschaftswahlkampf war traditionell schon immer viel aggressiver als in Europa. Aber wie konnte es nun zu dieser Zuspitzung kommen?
Harnisch: Das liegt vor allem daran, dass Donald Trump ein Populist ist. Sein politisches Weltbild baut darauf auf, dass eine verkommene Elite das amerikanische Volk - vor allem den weißen, judeo-christlichen Teil - verraten habe. Und durch diese Rhetorik des Verrats versucht er, ein politisches Mandat von der Bevölkerung zu erhalten, vorbei an den etablierten Eliten und Institutionen. Das ist ihm auch teilweise in der ersten Amtszeit gelungen und ...
... vieles deutet darauf hin, dass es ihm wieder gelingen wird.
Harnisch: Ich glaube trotzdem nicht, dass Trump schon gewonnen hat. Im Moment hat er in sechs wichtigen Swing States einen Vorsprung zwischen zwei und fünf Prozent. Das ist nicht viel, und da können dramatische Ereignisse im Inland oder auch außenpolitische Ereignisse einen großen Einfluss haben.
Womit müssen Brüssel und Berlin rechnen?
Harnisch: Das kommt wirklich darauf an, wie gewählt wird. Sollten wir bürgerkriegsartige Zustände oder eine massive Beeinträchtigung des Wahlakts sehen, wäre die Reaktion aus Brüssel und Berlin natürlich deutlich anders, als wenn die Wahl sauber und friedlich abläuft. Niemand weiß das heute.
Selbst bei einer sauberen Wahl, aus der ein Präsident Trump hervorgeht, würde sich sehr viel für Europa ändern . . .
Harnisch: Ein Wahlsieg von Trump kann die Bundesrepublik und die Europäische Union erheblich durchschütteln. Darauf bereitet sich die Politik schon seit geraumer Zeit vor - jetzt noch einmal mit erheblich mehr Nachdruck. Die allgemeine Einschätzung ist ganz offenbar, dass ein Wahlsieg Trumps nach dem Attentat noch einmal wahrscheinlicher geworden ist.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/politik_artikel,-politik-nach-attentat-auf-donald-trump-hohes-risiko-fuer-weitere-gewalttaten-_arid,2226275.html
Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Nach den Schüssen auf Donald Trump steht Amerika am Abgrund