Mannheim. Müssen die Unternehmen in Süddeutschland künftig mehr für den Strom zahlen? Dass die Nordlichter wieder mal einen Vorstoß in diese Richtung gestartet haben – sie würden die Bundesrepublik am liebsten in mehrere Strompreiszonen aufteilen – muss Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern eigentlich keine große Angst einjagen.
Denn das letzte Wort hat in dieser Sache Brüssel. Allerdings droht von dort Ungemach: Die EU-Kommission plädiert schon seit Jahren für eine Reform. Und sie wird die jüngste Initiative der norddeutschen Bundesländer mit Freuden verfolgen. Nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.
Wirtschaft und Verbände leisten großen Widerstand gegen verschiedene Strompreiszonen
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bringt es auf den Punkt: „Es geht nicht an, dass die Länder bestraft werden, die beim Ausbau der Erneuerbaren gut aufgestellt sind.“ Aktuell erzeugen die Bundesländer im Norden mehr Energie, vor allem mit Windkraftanlagen an Land und auf See. Die südlichen Bundesländer verbrauchen mehr, weil dort viele große Industrieunternehmen ihren Standort haben und energiehungrig sind.
Wieder Woidke: „Voraussetzung für die Beibehaltung einer einheitlichen Strompreiszone ist, dass es endlich beim Netzausbau vorangeht und kein Land sich beim Ausbau Erneuerbarer wegduckt.“ Die selbsterklärten Musterschüler wollen künftig weniger für den Strom zahlen und die weniger Fleißigen müssen dann halt mehr zahlen.
Aber es gibt großen Widerstand. „Wir sind gegen die Einführung unterschiedlicher Strompreiszonen in Deutschland. Das würde aller Wahrscheinlichkeit nach Strom in Rheinland-Pfalz verteuern, und damit der Wettbewerbsfähigkeit der BASF schaden. Auch der Einsatz von grünem Strom am Standort Ludwigshafen könnte komplizierter werden. Die Konsequenzen einer solchen Einführung sind nur schwer absehbar und noch schwerer berechenbar“, sagt ein Unternehmenssprecher des Ludwigshafener Chemiekonzerns BASF. Manfred Schnabel, Präsident der IHK Rhein-Neckar, wird da noch deutlicher: „Die Konsequenz wäre, dass wir in Süddeutschland dauerhaft höhere Strompreise zu zahlen hätten als in Norddeutschland. Für unseren Standort würde das einen massiven Wettbewerbsnachteil bedeuten.“
TransnetBW verweist beim Thema Strompreiszonen auf den Koalitionsvertrag
Unterstützung erhält Schnabel vom CEO des baden-württembergischen Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW. „Die erneute Debatte ist Ausdruck von klaren Einzelinteressen. Die Energiewende ist jedoch eine gesamtdeutsche und gesamtgesellschaftliche Herausforderung und braucht deshalb Solidarität“, sagt Werner Götz. Er begrüßt deshalb, dass sich „die Bundesregierung im Koalitionsvertrag eindeutig zur Beibehaltung einer Preiszone positioniert hat“.
Fragt sich nur, ob sich Schnabel & Co. mit ihren Argumenten durchsetzen können. Nur wenige hundert Meter entfernt von der IHK-Zentrale in den Mannheimer Quadraten beschäftigt sich Achim Wambach schon lange mit dem Thema. Der Präsident des ZEW Mannheim kommt zu einem ganz anderen Ergebnis: „Die derzeitige Praxis, einen einheitlichen Strompreis für das gesamte Land festzulegen, ignoriert regionale Unterschiede in Angebot und Nachfrage und führt zu ineffizienten Entscheidungen und hohen Kosten“, so der Wissenschaftler, der bereits im vergangenen Jahr zusammen mit elf weiteren Ökonomen einen Gastbeitrag in der „FAZ“ veröffentlichte.
Netzeingriffe kosten mehrere Milliarden Euro pro Jahr
Die zwölf Wissenschaftler kritisieren, dass der Preis in der Republik überall gleich hoch ist –unabhängig von der Energiemenge, die die Produzenten anbieten. Das Problem bei der ganzen Sache: Immer wieder kommt es zu Staus auf den Stromautobahnen, weil die Übertragungsnetze noch nicht vollständig ausgebaut sind. Wenn der Wind im Norden stark ist, kann der Strom die Netze überlasten. Dann stehen die Windräder still. Die Betreiber erhalten dafür eine Entschädigung und im Süden werden mit teurem Geld die Gaskraftwerke hochgefahren, um den Bedarf auszugleichen. Das ist ökonomischer Wahnsinn. Rund drei Milliarden Euro hat das Netzengpassmanagement (Neudeutsch: Redispatch) allein 2023 verschlungen.
„Wir müssen deshalb das Problem an der Wurzel packen und die Kapazitäten im Übertragungsnetz schnellstmöglich erweitern. Dieser Prozess ist auch schon in Angriff genommen“, sagt Schnabel. Das stimmt. TransnetBW und Amprion treiben gegenwärtig das ehrgeizige Netzausbauprojekt Ultranet voran. Die 340 Kilometer lange Stromtrasse von Philippsburg bis Meerbusch-Osterath (NRW) soll Ende 2026 fertig sein. 2027 wird sie dann bis nach Emden an der Nordseeküste verlängert werden. Und sollte dann 2028 tatsächlich die Suedlink-Trasse stehen, wäre auch Bayern ans 700 Kilometer lange Übertragungsnetz angeschlossen.
„Modelle sind nur Modelle und in diesem Fall an der Realität vorbei“
Die Übertragungsnetzbetreiber glauben, dass die Redispatchkosten deutlich sinken würden, wenn die genannten Trassen gebaut sind. Ohne Netzeingriffe wird es aber auch in Zukunft nicht gehen. Beim Strompreis, kritisiert Wambach, gilt das Prinzip von Angebot und Nachfrage nicht, weil er sich der Illusion hingibt, dass die Kapazitäten zur Durchleitung des Stroms immer ausreichen. Da regionale Preisunterschiede „politisch unerwünscht sind“, fällen die Marktteilnehmer „häufig Entscheidungen, die in der Physik des Netzes nicht möglich und volkswirtschaftlich unsinnig sind“, sagt Wambach und nennt dafür einige Beispiele: „Pumpspeicherkraftwerke im Schwarzwald pumpen trotz der Stromknappheit in Süddeutschland Wasser in die Berge und intelligente Elektroautos in Stuttgart laden ihre Batterien auf, weil der für sich sichtbare Strompreis niedrig ist. In Wirklichkeit erreicht der günstige Windstrom Baden-Württemberg jedoch gar nicht.“
Doch damit nicht genug: „Deutschland exportiert Strom nach Frankreich und die Schweiz, weil die Preise dort höher sind, kann aber den Strom gar nicht an die Grenze liefern. Gleichzeitig importieren wir aufgrund des Preissignals Strom aus Schweden und Dänemark, obwohl die Leitungen in Niedersachsen ja bereits von der heimischen Produktion überfordert sind“, erklärt Wambach.
Der ZEW-Chef plädiert also für Strompreise, die Angebot und Nachfrage regional ausgleichen und dadurch den lokalen Stromwert widerspiegeln. „Der Strompreis an der Börse sollte dort höher sein, wo gerade hohe Nachfrage herrscht, und dort niedrig, wo in diesem Moment ein Überangebot vorliegt.“
EU-Kommission könnte Deutschland zum Einlenken zwingen
IHK-Präsident Schnabel will davon nichts wissen. „Die ökonomischen Modelle, die dem Vorschlag zugrunde liegen, vernachlässigen, dass eine Anpassungsreaktion in Form von Produktionsverlagerungen nur mit erheblichen Investitionen möglich wäre. Schon die Planung und Genehmigung von Standortverlagerungen benötigt Jahre“, sagt Schnabel und setzt noch einen drauf: „Modelle sind eben nur Modelle und in diesem Fall weit von der Realität entfernt.“ Der IHK-Präsident spielt damit auf die These von Wambach an, dass bei regionalen Strompreiszonen Betrieb dort investieren könnten, wo der Strompreis niedrig wäre, weil es einen Grünstromüberschuss gibt. Also zum Beispiel in Norddeutschland.
Auch der Mannheimer Energiekonzern MVV hält wenig von der Abschaffung der einheitlichen Stromgebotszone. „Sie würde zu mehreren kleineren Märkten mit weniger Anbietern führen, auf denen kleinere Strommengen gehandelt würden. Das führt zu weniger Wettbewerb und mehr Unsicherheit über Preise und Mengen“, sagt Kommunikationschefin Stephanie Raddatz und strickt ihren Gedanken weiter: „Steigende Handelskosten und ein höherer Aufwand für die Umsetzung wären die Folgen – also das Gegenteil von dem, was wir erreichen wollen.“
Natürlich weiß auch sie, dass die „hohen Strompreise für viele Menschen und Unternehmen ein Grund zur Sorge sind“. Der Ausbau der Stromnetze reicht ihr nicht aus. „Mehr Kunden müssen die Möglichkeit erhalten, dynamische Tarife zu nutzen und so ihren Stromverbrauch nach den Marktpreisen zu richten.“ Stromspeicher bräuchten zuverlässigen Rechtsrahmen, damit sie wirtschaftlich und netzdienlich betrieben werden könnten. „Und schließlich müssen wir die Windenergie in Süddeutschland mit Hochdruck weiter ausbauen, denn sie erzeugt den Strom dort, wo er gebraucht wird“, sagt Raddatz.
Der Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E hat sich mit Blick auf Deutschland schon im April für eine Aufteilung in fünf Strompreiszonen ausgesprochen. Im günstigsten Fall ließen sich jährlich 339 Millionen Euro einsparen. Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber, die in dem Verband Mitglied sind, lehnen das ab. Sollte sich Deutschland bis Ende des Jahres mit den anderen EU-Mitgliedern in dieser Frage nicht einigen, wird die EU-Kommission über das mögliche Aus der einheitlichen Strompreiszonen entscheiden. Die Uhr tickt also schon.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Strom darf im Süden nicht teurer werden