Heinz Strunk, 1962 als Mathias Halfpape geboren, hat sich in einem Dutzend Büchern, in Hörspielen, Kabarettprogrammen und musikalischen Ausdrucksformen zum Basisarbeiter unseres Kulturbetriebs hochgedient. In seinem Erzählband „Der gelbe Elefant“ stand dafür ein Schlüsselsatz: „Soziale Kontakte laugen einen doch nur aus.“
Heinz Strunk gibt denen eine Stimme, die sonst nicht zu Wort kommen, deswegen vor sich hin grummeln und brummeln, am Büdchen stehen oder in ihren unwirtlichen Singlemuchten liegen, gerne mit tapfer aufgefülltem Alkoholspiegel. Stur machen sie weiter, ohne wirklich von der Stelle zu kommen.
Jürgen war 2017 so einer im nach ihm benannten Roman: „Von meiner Sorte gibt es Millionen … die ohne Aufheben vor sich hin pitschern und weiter kein großes Gewese machen.“ Damit sie nicht ausrasten, lässt man sie am besten in Ruhe und beschreibt sie in ihrem ereignisarmen Tun: „Gras wächst auch nicht schneller, wenn man dran zieht.“ Der besondere Ton des Heinz Strunk ist in der aktuellen deutschen Literatur zu einer festen Größe geworden.
Verordnete Ereignislosigkeit und heftige Begleiterscheinungen: Im Kern gehört auch Jonas Heidbrink ins sozialrealistische Aufklärungsprogramm des Hamburger Autors. Doch weil in diesem Jahr das hundertjährige Jubiläum des Erscheinens von Thomas Manns Jahrhundertroman gefeiert wird, stellt Heinz Strunk sich aufs Trittbrett und fährt im Windschatten mit. Das könnte man clever nennen oder witzig finden, in jedem Fall aber ist es anmaßend und in diesem Falle am Ende der Lektüre auch enttäuschend. Hier hat sich einer schlicht verhoben am großen Vorbild, und sein Palimpsest ist bei sehr viel gutem Willen allenfalls unfreiwillig komisch.
Schwellenängste und ein allgemeines Gefühl des Scheiterns
Jonas Heidbrink also. Er ist mit 36 noch einer der Jüngeren im Strunk-Kosmos der Dahinwurstler. Er hat keine familiäre Bezugsperson, ist das Gegenteil einer Frohnatur, fühlt sich permanent unglücklich mit depressiven Ausschlägen nach oben, die er in seiner Verzweiflung auch nicht mehr länger wegonanieren kann. Seelisch labil war er eigentlich immer, weswegen er sein Studium der Informatik und Physik nach vier Semestern schon abgebrochen hat.
Das aber genügte, um auf dem IT-Markt im Bereich Low Code als Erfinder zu reüssieren und nach einem Übernahmeangebot mit dreißig schon privatisieren zu können. Dem allgemeinen Gefühl des Scheiterns und der Schwellenängste in jede Richtung hilft das auch nicht ab, und nach sechs Jahren Dümpeln im Gefühlschaos will er nun seine Probleme proaktiv angehen. Darum setzt er sich ins Auto und fährt viereinhalb Stunden aus dem Norden des Westens in den Norden des Ostens im nicht mehr geteilten Land. Nach der Abfahrt Pasewalk-Süd passiert er auf der Landstraße lauter Lost Places, bis ihn schließlich die dreiflügelige Schlossanlage mit steinernen Löwen, ansehnlichem Park und einer bis ins Jahr 1286 reichenden großen Vergangenheit empfängt. Eine solche Historie bedeutet im konkreten Fall vor allem, dass das Beste lange zurückliegt.
Nun ruhen hier 47 vor allem liquide Kurgäste vor sich hin unter den Augen einer Ärzteschaft, die entweder gut verdienen oder ihre Karriere ausklingen lassen will. Ihre wichtigste Funktion besteht darin, den Hilfesuchenden Krankheiten zu möglichst langer Verweildauer einzureden und dies mit fachwortgespickten Diagnosen plausibel zu machen. Kein Kassenpatient, nirgends.
Langsam, sehr langsam gelingt es Jonas vor allem im Speisesaal, den Abstand zwischen sich und der Welt zu verringern. Auch ein breiter Reigen von Therapien und Anwendungen dient demselben Ende: Musik-, Biblio- und Fototherapie, Gesprächsgruppe und Tanztherapie, Heilbehandlung, progressive Muskelrelaxation und Kulturabende. Aquagymnastik ist angedacht und Frühsport eine irgendwann selbstverständliche Gewohnheit. Es könnte so schön sein: „Morgens Fango, abends Tango.“ Nur danach ist die Personage nicht, der Jonas viel zu lange von seinem Sechsertisch aus den Rücken zuwendet. Bleiben nur ein paar Spaziergänge im Park oder ein Ausflug in die bis zur polnischen Grenze reichende Sumpflandschaft.
So wird einer zwar nicht gesünder, aber ein alter Hase im Kurgeschäft, in dem irgendwann auch ein Herr Zeissner mit seinen Reden wie eine Schrumpfvariante von Settembrini/Naphta (bei Thomas Mann) wirkt und dann auch bald wieder weg ist. Eine auch nur annähernd an Clawdia Chauchat reichende Madame war nie da. Die Hans Castorps unserer Welt sind IT-Heinis, die sich nach ihrem großen Moment breitfläzen. Sie haben genug Gründe für Klagen bis zur allerhöchsten Instanz: „Bitte vergib mir, dass ich so bin, wie du mich geschaffen hast.“
Ein matter Showdown reicht nicht bei so einer Steilvorlage
Die Klinik verfällt vor sich hin und mit ihr der am längsten gebliebene Gast. Der begegnet in einem matten Showdown seinem Professor, der auch nur noch als Schatten seiner selbst durch den Park geistert. Mehr ist nicht, und das ist viel zu wenig bei so einer Steilvorlage. Da helfen auch keine expliziten Beschreibungen von Körperfunktionen und Entzugserscheinungen.
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