Kolumne #mahlzeit

Mit Kumpel Jesus auf der Suche nach der Feindesliebe

Den größten Respekt hat Kolumnist Stefan M. Dettlinger immer vor Leuten gehabt, die sich nicht Mehrheitsmeinungen oder Strömungen anpassen. Es gibt aber auch die anderen. Die zu lieben, ist nicht immer ganz einfach

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Also du bist ein auf dem Planeten nicht mehr akzeptables Subjekt“, sagt Caro aus heiterem Himmel zu Bela und fügt an: „Du Porsche fahrendes Umweltschwein!“ Ein Doppelwumms.

Sicher, man muss ja nicht alle und alles verstehen und auch nicht mit allem und allen einverstanden sein. Bela ist Bela. Keiner versteht ihn ganz. Nicht mal er selbst. Jeder von uns lebt eingeschlossen in sein individuelles Bewusstsein, brütet in seiner Minimalbubble blöde und bedeutungslos vor sich hin und ist schon überglücklich, wenn sein individuelles Bewusstsein mit seinem blöden und bedeutungslosen Vor-sich-hin-Brüten über irgendwelche Sensoren (oder verbale Kommunikation) spürt, dass es mit anderen individuellen Bewusstseins, die ähnlich blöde und bedeutungslos vor sich hin brüten, Schnittmengen bildet, so ’ne Art Sozialbubbles (ja, der Satz war lang). Und plötzlich ist kein Halten mehr: Hormone blubbern, die Sozialbubble feiert sich selbst. Es folgt - zum Beispiel - ein Sturm verbaler Exkremente (Shitstorm).

So wehre auch ich mich jetzt gegen das Blubbern der Hormone in meiner Minimalbubble, rette mich vor dem Hass auf Bela und denke lieber an Matze Knop. Der hat neulich auf die moralische Frage „Katar oder nicht Katar“ gesagt: „Bei allen offensichtlichen Versäumnissen im Vorfeld der WM in Katar, durch die Menschen zu Schaden gekommen sind, machen wir es ja jetzt durch einen Boykott nicht gut oder ungeschehen. Sondern man schadet unter Umständen Menschen, die von der WM profitieren.“ So ein Komiker! Den ersten Satz verstehe ich noch. Beim zweiten muss ich sagen: Hä? Genau darum geht es doch: Es gibt viel zu viele Idiotinnen (okay: Es sind eher Idioten), die von den acht neuen und wüsten Wüsten-Bolzplätzen profitieren, es aber nicht sollten.

Klar, man muss die Dinge differenzieren. Es gebe nun mal kein klares Schwarz und Weiß und Gut und Böse, sagen manche - blenden dabei aber Testosterontretminen wie Sarkozy, Platini, Blatter oder Putin aus, die stets mit dem Strom (des Geldes) schwimmen.

Ich habe immer den größten Respekt vor Leuten gehabt, die sich nicht Mehrheitsmeinungen, Strömungen oder einem wie auch immer gearteten Konsensdruck anpassen, sondern für sich stehen: als Individuum, als autarker Planet in einer Galaxie der Denkmöglichkeiten, was nicht heißen muss, dass man am Ende nicht trotz Meinungsverschiedenheit Kompromisse aushandeln könnte. Freidenker heißen sie, Querdenker hießen sie, bis tumbe Trottelinnen und Trottel diesen schönen Begriff beschmutzt haben.

Insofern muss ich auch, grrr, Bela und seine Porschedrecksschleuder, grrr, akzeptieren und folge mal wieder einem Ratschlag meines Kumpels Jesus: „Ich aber sage euch: Liebet euren Bela; grrr; segne, der euch flucht; grrr, tu wohl dem, der euch hasst; bitte für den, der euch beleidigt und mit einem Porsche verfolgt (Okay, Matthäus 5, 44 ist hier nicht lupenrein). Menschliches Verstehen ist nun mal von verwirrender Vielfalt. Ein vollkommenes Verstehen zwischen Bubbles bleibt Illusion. Bela hört ja immerhin gute Musik …

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Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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