Interview

Organisatorin Heike Hoffmann erklärt das Motto der Schwetzinger Festspiele

Am 6. Dezember startet der Vorverkauf für die Schwetzinger Festspiele. Was es mit dem Motto Vanitas auf sich hat und wieso sie 2024 aufhört, verrät die Programmmacherin Heike Hoffmann im Interview

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Stefan M. Dettlinger
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Noch bis 2024 arbeitet sie an den Schwetzinger Festspielen: Heike Hoffmann © Elmar Witt/Schwetzinger Festspiele

Schwetzingen. Es sind ihre letzten beiden Festivals. 2023. 2024. Dann lehnt sich Heike Hoffmann etwas zurück, wie sie im Gespräch mit dieser Redaktion verrät. Sie wird dann auch 66 Jahre alt und lange genug im Geschäft sein. 2024 wird Cornelia Bend die Künstlerische Leitung übernehmen. Damit verpflichtet der SWR wie früher immer ein Eigengewächs: Bend ist derzeit und schon seit 2002 Gesamtleiterin des SWR Vokalensembles. Zuerst aber ist Hoffmann noch am Zug. Hier spricht sie über „Vanitas“, das Motto für 2023.

Frau Hoffmann, wie läuft es denn?

Heike Hoffmann: Es läuft gut, wir sind mitten in den Vorbereitungen. Gerade werden die letzten Verträge geschlossen. Am 6. Dezember beginnt ja der Vorverkauf.

Ihr Motto lautet 2023 Vanitas - Vergänglichkeit. Die Festspiele haben zuletzt wie alle anderen auch Federn lassen müssen. Achtung, Humor: Hat das Motto auch eine gewisse Selbstbezogenheit?

Hoffmann: Also ich finde nicht, dass wir Federn gelassen haben.

Aber das Festival wird kleiner.

Hoffmann: Nein, das Festival wird nicht kleiner, sondern findet im geplanten und gewohnten Umfang statt. Wir sind relativ gut durch die Pandemie gekommen, vor allem dadurch, dass wir jeweils im Herbst Festspiele gemacht haben, wenn auch im kleineren Rahmen. Wir waren präsent, haben den Kontakt nicht verloren und unser Publikum gehalten. Wir hatten 2022 eine Auslastung von 80 Prozent, eine Traumquote angesichts der Situation.

Heike Hoffmann und die Schwetzinger Festspiele

  • Die Macherin: Heike Hoffmann, Festivalmacherin, Kultur- und Theaterwissenschaftlerin, verantwortet seit 2017 das Programm in Schwetzingen. Ihr Vertrag läuft noch bis 2024. Von 1990 bis 2001 war Hoffmann Direktorin der Musik-Biennale Berlin, von 1994 an bis 2008 zudem Direktorin für künstlerische Planung und Produktion des Konzerthauses Berlin. Anschließend folgten die Salzburger und schließlich die Schwetzinger Festspiele.
  • Das Festival: Die Schwetzinger SWR Festspiele bieten von 28. April bis 28. Mai 47 Veranstaltungen. Motto: „Vanitas“.
  • Der Vorverkauf: ab Montag, 6. Dezember (Mo-Fr 10-16 Uhr telefonisch unter 07221/300 100 oder unter www.swrclassicservice.de.

Wollen Sie mit der Vanitas- Thematik die düstere Krisen- stimmung einsaugen und apokalyptische Reiter aussenden, oder, wie Sie am Ende Ihres Leitartikels im Programmheft schreiben, „den manchmal erdrückenden Problemen des Alltags ein positives Momentum der Freude und des Miteinanders“ entgegenrufen?

Hoffmann: Einsaugen oder aussenden will ich erst mal überhaupt nichts. Die Krisen sind ja real. Ich habe mir das Thema im ersten Pandemiejahr überlegt. Wir haben da viel über Vergänglichkeit nachgedacht, über Dinge, die davor vielleicht nicht so auf der Tagesordnung standen. Vanitas ist in der europäischen Kunst- und Musikgeschichte ein immer wiederkehrendes Thema. Sehr spannend. Ich hätte auch nicht gedacht, wie viel man in der Musik dazu findet. Wir wollen niemanden belehren, aber zum Nachdenken anregen.

Also durch die Klimakatastrophe denken wir doch seit Jahren über die Vergänglichkeit nach, selbst über die des Planeten …

Hoffmann: … stimmt, aber es wurde noch mal sehr getriggert durch die Pandemie und ist dadurch wirklich bei jedem angekommen.

Sie beschreiben in Ihrem Beitrag die Polarität: Zum einen ist alles düster und ernst, was Sie schreiben, zum anderen wollen Sie dennoch Leichtigkeit verbreiten. Ließe sich aus diesen Polen der Elfenbeinturm Klassik erobern, der für viele immer noch elitär ist?

Hoffmann: Vergänglichkeit und Leben sind ja eine dialektische Einheit. Der Krieg in der Ukraine führt uns das täglich vor Augen: Nachts fallen die Bomben, am Tag leben die Menschen trotz allem ihr Leben weiter. Das nötigt mir höchsten Respekt ab. Wir in Deutschland erleben schon eine gewisse angstbesetzte Stimmung. Man muss die Krisen ernst nehmen, an Lösungen arbeiten, aber man darf das Leben darüber nicht vergessen. Und dazu gehört auch die Kultur, die so gebeutelt war während der Pandemie, wo manch einer hat schon das Ende der Klassik eingeläutet sah.

Das wird seit Jahrzehnten getan.

Hoffmann: Genau, und deshalb finde ich wichtig, dass wir Musik nicht nur gestreamt, medial vermittelt erleben, sondern endlich wieder Aufführungen in Anwesenheit des Publikums, wo wir die Energie spüren, die entsteht, wenn wir dem künstlerischen Ereignis körperlich beiwohnen. Das ist durch nichts zu ersetzen.

Was entgegnen Sie dem Satz: Das Motto eines Festivals ist so beliebig, dass man alles reinpacken kann, solange man das verbal erklärt?

Hoffmann: Ja, diese Fälle mag es geben. Unser Festival gehört nicht dazu. Wenn man die Programme anschaut, sieht man, dass die nicht von der Stange gekauft sind, sondern sorgfältig dramaturgisch gearbeitet wurden. Diese dramaturgische Arbeit gehört zum schönsten Teil meiner Aufgaben als Künstlerische Leiterin.

Nennen Sie mal ein Beispiel.

Hoffmann: Zum Beispiel das Programm mit dem italienischen Ensemble La Venexiana mit geistlichen Werken von Claudio Monteverdi, die er nach der großen Pest in Venedig geschrieben hat. Die Situation war ein vielleicht bisschen vergleichbar mit der nach Corona. Man musste sich mit einer humanistischen Krise auseinandersetzen und fand Trost in der Musik.

Von den 46 Veranstaltungen werden auch zwei Opern jeweils zweimal gespielt. Würden Sie nicht am Zustand etwas ändern wollen, dass die mit Abstand teuersten Produktionen damit für maximal 700 Gäste erfahrbar werden?

Hoffmann: Na ja, das ist nur die halbe Wahrheit, weil das ja immer Koproduktionen sind, die dann woanders noch von vielen Menschen gesehen werden. Aber das ist die Crux eines Festivals. Man hat keinen Repertoire-Betrieb und kann keine Serien spielen. Es geht um Singularität. Und würde ich die Opern fünf-, sechsmal spielen, könnte ich weniger Konzerte machen. Es würde sich auch nicht rechnen. Wir haben ja weder ein festes Ensemble noch eine technische Crew. Wir müssen für jeden Abend das gesamte Personal organisieren und bezahlen. Je mehr wir spielen, desto höher die Kosten.

Dann reden wir mal über die Oper „Im Dickicht“ von Isabel Mundry. Händl Klaus macht das (mutmaßlich morbide) Libretto, wie schon einige Male - warum?

Hoffmann: Isabel Mundry hat den Stoff von Ryunosuke Akutagawa ausgesucht. Sie wollte das Thema Wahrnehmung und Erinnerung setzen, das sie persönlich sehr umtreibt. Die ersten intensiven Gespräche fanden mit Carolin Emcke statt, die dann nicht genug Zeit für die Arbeit an einem Libretto hatte, weil sie an vielen anderen Themen arbeitet. Mundry hat in Schwetzingen dann 2017 Händl Klaus kennengelernt. Die beiden fanden schnell einen Draht zueinander und haben sich für die Zusammenarbeit entschieden. Ich bin damit sehr glücklich, denn Händl Klaus beherrscht sein Metier wie kaum ein anderer.

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Sie hören in Schwetzingen 2024 auf. Wollen Sie nicht mehr?

Hoffmann: Nein, das war immer so geplant. Ich habe dann acht Festspielprogramme gemacht und finde, 66 ist ein gutes Alter für etwas mehr Freiheit.

Was haben Sie von Schwetzingen und was hat Schwetzingen von Ihnen gelernt?

Hoffmann: Ich habe viel gelernt: dass man an einem kleinen Ort wunderbar arbeiten kann, wenn man sich mit der Region vernetzt und auf die Leute zugeht. Was Schwetzingen von mir gelernt hat, …

… ich meine natürlich die Festspiele. Worauf sind Sie stolz?

Hoffmann: Für eine Bilanz ist es ein wenig zu früh, aber ich denke, es ist mir gelungen, die Festspiele zu öffnen. Wir haben immer wieder neue Spielorte auch außerhalb des Schloßbereiches etabliert - jetzt wieder mit der Kulturkirche in Ketsch. Ich habe das Repertoire erweitert sowohl in die Vergangenheit als auch in die Gegenwart. Außerdem gibt es etliche neue Konzertformate - auch für Kinder und Familien im niedrigen Preissegment - Stichwort Heraus aus dem Elfenbeinturm. So ist das auch wahrgenommen worden, denn die Stadt und der Landkreis haben die Förderung erhöht.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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